Ausgabe 09 - 1999berliner stadtzeitung
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Doing the timewarp

Ein Gespräch mit dem Autor M.G. Burgheim (31) über den Roman "Future Pop" und die Umbrüche im Fadenkreuz von Pop und Politik

Die Demarkationslinie zwischen dem Vollidioten und der coolen Sau, zwischen Pfadfindern und Rebellen, Strickjacke und Lederjacke glich im Golden Age des Pop der chinesischen Mauer. Ein semiotisches Bollwerk, garantiert vom Weltraum aus sichtbar, das rigoros trennte, was nicht zusammengehört: Ziggy Stardust von Franz-Josef Strauss etwa, später Tarantino von Peter Hahne. Doch die Lebensversicherung kultureller Opposition scheint abzulaufen. Das Fingerspiel mit den Tabus erschöpft sich im ironischen Däumchendrehen; hinter jeder Ecke lauert der Fake. Und während szeneseelig am neusten Piercing herumgepopelt wird, heben Nazi-Subkulturen neue Schützengräben aus und die Zitty (17/99) titelt: "Nazis sind Pop". Warnend? Oder erleichtert, daß die ironisierte Massenkultur auch die härtesten Kotzbrocken zu Brei kocht?

Was noch? M.G. Burgheim aus Berlin ist zurück in die Zukunft des Pop geflüchtet und hat an Spex und Popkomm vorbei sein Erstlingswerk zurückgeschmuggelt: "Future Pop".

Wieder heißt es Abschied nehmen, und zwar vom Outsider, vom Sonderling, vom Exzentriker sowieso; denn nach 2000 steht das Comeback des Pfadfinders an, bieder, organisiert - aber cool: Die Musiker der "Pioniere" mixen Hip-Hop, DDR-Mode und positives Denken zu einem angesagten Lifestylecoctail, der nicht nur in die Beine fährt, sondern die Jugend bewegt. Soziales Engagement hat Konjunktur, Gruppenautorität auch. An den Schulen rühren sie die Werbetrommel für Disziplin. Im frischen Wind pfeifen faschistoide Untertöne mit, weswegen die Lehrerin Arietta dem Treiben ihrer SchülerInnen eher skeptisch begegnet. Prompt wird sie mit Intrigen und Drohungen unter Druck gesetzt, und ob die Kids nun einer Scientology-Masche aufgesessen sind oder nur einem erweiterten Musik-Fan-Club und dem üblichen Merchandising-Rausch, das wird immer undurchsichtiger.

Im "Enzian", der vom "wahren Heino" zünftig bewirtschafteten Kreuzberger Jause orakelte Burgheim exklusiv für den Scheinschlag über die neuen Piraten, vermißte Spießer und alte Pop-Gefühle.

Im Buch "Future Pop" beschreibst Du eine Bewegung, die protofaschistische mit sozial konstruktiven Elementen verbindet. Die Hauptfigur kämpft verunsichert um ihr klares politisches Gesellschaftsbild. Tut es noch was zur Sache, ob jemand links oder rechts ist?
Ich würde auf jeden Fall sagen, daß es nicht egal ist. Genau darum geht es: Wieviel ist diese links-rechts Kategorie noch wert? Bedeutet Links-sein heute doch noch mehr als Schlagworte wie "soziale Gerechtigkeit" und "materielle Sicherheit für möglichst viele?"

Würdest du dich als links bezeichnen?
Ja, aber ich sehe auch, daß mich eine gewisse Unsicherheit erfaßt hat. In der Basisgruppe früher an der Uni, schien alles noch vollkommen klar zu sein, aber schon damals haben wir diskutiert: Begriffe wie Heimat oder Nation - soll man die komplett den Rechten überlassen? Das Gefühl des Verwurzeltseins - kann man darüber als Linker überhaupt nicht drüber sprechen?

Ein typisches, konservatives Feindbild der Popkultur war immer der Spießer. Wo siehst Du den heute noch?
Vielleicht noch in einem starren Festhalten an alten Werten und bei übertriebenen Ordnungsvorstellungen. Sehr materialistische Einstellungen. Aber ich glaube, daß es so ein eindimensionales Feindbild wie in den 70ern heute gar nicht mehr gibt. Die Gesellschaft ist dermaßen fragmentiert, die Spießer können heutzutage ganz unterschiedliche Leute sein. In gewisser Hinsicht bin ich wahrscheinlich auch selbst irgendwo spießig. So eine gewisse Gemütlichkeit und Trägheit, die sich einstellt. Inwieweit ist es nicht spießig, den Begriff "spießig" überhaupt zu benutzen.

Lohnt es sich noch, für irgendwas zu kämpfen?
Für eine alltägliche Figur, wie ich sie in meinem Buch konstruiert habe, gibt es zunächst ein Motiv zu kämpfen: Irgendwie Durchblick zu kriegen.

Sind die Helden von morgen jene, die besonders gekonnt mit den Moden und Zeichen verschiedener Szenen spielen können?
In Deutschland definieren wir uns sehr stark über einzelne Szenen. In Japan dagegen wird viel mehr mit Zeichen gespielt: Da gibt es Leute, die sich als Punk kleiden, ohne eine klassische Punk-Einstellung zu haben. Wenn davon was rüberschwappt, könnte es ein Prototyp werden.

Gibt es noch den Typ des Piraten oder auch des Outlaws?
Bei Piraten, da denke ich sofort an junge Wirtschaftsfreaks, die ihre Beute an der Börse machen oder bei Immobilienspekulationen. Das ist sicher eine Form von Piraterie. Andererseits denke ich an das Buch "Sewer, gas & electric" von Matt Ruff, da gibt es einen klassischen Piraten, der im U-Boot durch die Weltmeere fährt und jeden Coup, den er landet, direkt live in die Datennetze einspeist.

Versteckt sich hinter einem ironischen Pop-Zitat irgendwo auch echte Emotion?
Im Kern von Popmusik finde ich immer wieder tiefe Gefühle, ob es nun eine gewisse Seligkeit ist oder die Lust am Zerstörerischen. Beispielsweise "Go West" von den Pet Shop Boys, einer aalglatten Elektropop-Band. Die kann man ironisch aufnehmen, und trotzdem erfaßt einen beim Hören Euphorie.

Droht uns eine neue Biedermeier-Zeit?
Ich würde es nicht so nennen, aber vielleicht bewegen wir uns wirklich in einer Art neuer Fifties. Diese neue Wirtschaftswunderideologie haben viele gefressen, wobei uns im Moment noch das Wirtschaftswunder fehlt.
Interview: Klemens Vogel

AM.G. Burgheim, Future Pop, Roman. Eichborn.Berlin Dm 34,- Berlinpremiere: 2.11. Kulturbrauerei, 20 Uhr; Lesung + Musik

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