Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
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"... dann ist vielleicht unsere Idee blöde"

Der Wrangelkiez hat wenig Lust, sich managen zu lassen

Gleich der Beginn der Auftaktveranstaltung zum Quartiersmanagement im Kreuzberger Wrangelkiez verlief unplanmäßig. Ein großes Aufgebot von Schülern, Eltern und Lehrern aus Kreuzberger Schulen protestierte lautstark gegen die Stellenkürzungspläne der Schulsenatorin. Auch Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) ist nicht erschienen. Aus seinem Etat wird das Quartiersmanagement bezahlt, mit dem sich sogenannte "Problemgebiete" aus dem Strudel aus Armut, Verwahrlosung und Desinteresse befreien sollen. Strieder schickte seinen Staatssekretär Hans Stimmann, der im "Stadtteilforum Wrangelkiez" von den zahlreich im Oberstufenzentrum Handel erschienenen Anwohnern reichlich verbale Prügel einstecken mußte.

Stimmann und die von seiner Verwaltung eingesetzten Quartiersmanager Volker von Tiedemann vom Stadtplanungsbüro urbanistica und Martin Thiel von Kirchbauhof bemühten sich von vornherein, die Erwartungen niedrig zu halten. Man wolle auf den vorhandenen Potentialen im Kiez aufbauen und vor allem die Kommunikation befördern. Stimmann nannte das Quartiersmanagement "keine neue Wunderwaffe" sondern einen "Versuch". Von Tiedemann sah die größte Gefahr darin, daß der Wrangelkiez "schlechtgeredet" wird. Er hat offenbar noch nicht gemerkt, daß durch die ständige Berichterstattung über Quartiersmanagement und "Problemkieze" reißerische Kreuzberg-Katastrophenszenarien Hochkonjunktur bekamen.

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (B´90/Grüne) zeigte sich skeptisch und kritisierte, daß alle Bemühungen des Quartiersmanagements zwecklos seien, wenn die aktuellen Sparpläne des Senats das schulische Angebot im Kiez noch weiter verschlechtern oder wenn die Senatsbauverwaltung das "Cuvrycenter" der BOTAG genehmigt und somit den Einzelhandel im Wrangelkiez massiv schwächt. Die Hauptprobleme seien Armut und Arbeitslosigkeit - Probleme, deren Ursachen nicht im Kiez selbst liegen.

Ein Anwohner aus dem Publikum machte dafür die Senatspolitik verantwortlich, die die Bezirke kaputtspare: "Was fehlt, ist Geld, Geld, Geld." Hans Stimmann meinte dazu, man hätte in Berlin lange Zeit über die Verhältnisse gelebt, und forderte: "Wer mehr Geld haben will, muß auch sagen, wo wir das Geld einsparen sollen." - "Tiergartentunnel! Messeausbau! Staatssekretäre!", prasselten die Antworten der empörten Anwohnerschaft auf ihn ein, worauf Stimmann resignierend feststellte: "Wenn Sie unseren Ansatz, auf den Potentialen aufzubauen, blöde finden, dann ist vielleicht unsere Idee blöde."

In einem der ärmsten Gebiete Berlins davon zu reden, man hätte über die Verhältnisse gelebt, fand Franz Schulz "nur zynisch". Die hohe Bewohnerfluktuation liegt nach seinen Erkenntnissen weniger daran, daß Mittelstandsfamilien mit Kindern ins Umland ziehen, sondern mehr daran, daß die enormen Mietsteigerungen der letzten Jahre die ärmeren Bewohner dazu zwingen, sich woanders billigere Wohnungen zu suchen.

Alle Versuche der Moderatorin Georgia Tornow, positive Stimmung zu verbreiten, waren sinnlos geworden. Vom Anfangselan der Quartiersmanager war am Ende des Abends schon nicht mehr viel übrig: "Wir werden uns auf wenige Probleme konzentrieren. Wir stehen nicht dazu zur Verfügung, daß jedes Problem im Kiez bei uns abgeladen wird", stellte Volker von Tiedemann klar.

"Ein Quartier, das gemanagt werden muß, ist ein totes Quartier", meinte kürzlich der Architektursoziologe Werner Sewing. Der Wrangelkiez machte an diesem Abend allerdings einen sehr lebendigen Eindruck.
Jens Sethmann

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