Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Vermeide den Kater, bleib betrunken!

Saufen in Moabit und anderswo. Nachruf auf den "Humpen"

Lots Töchter, so steht es in der Genesis geschrieben, machten ihren Vater betrunken, um anschließend mit ihm zu schlafen: "Also wurden die beiden Töchter Lots schwanger von ihrem Vater. Und die ältere gebar einen Sohn, den hieß sie Moab. Von dem kommen her die Moabiter bis auf den heutigen Tag" (1. Mose 19, 36. 37). Ob die im Suff gezeugten Moabiter Eingeborenen tatsächlich schlimmere Trinker sind als die Bewohner Neuköllns oder des Friedrichshains, ist schwer auszumachen.

Schultheiss- und Engelhardt-Leuchtschriften sind zuverlässige Orientierungsmarken auch in der Moabiter Dunkelheit, und irgendwo kann zu jeder Tages- und Nachtzeit weitergetrunken werden. Im Gegensatz zum Wedding oder zu Neukölln ist Moabit jedoch mit der unmittelbaren Nachbarschaft des künftigen Regierungsviertels geschlagen. Der sogenannte Spreebogen wurde ja bereits mit fünftklassiger "postmoderner" Architektur verunstaltet. Er ist Teil Moabits, der so einen gleichsam exterritorialen Charakter erhielt und den man getrost vergessen könnte, würde die Spekulation nicht immer weitere Kreise ziehen: Die Wohnviertel und Industriebrachen Moabits liegen innerstädtisch zentral.

Eine Kneipe geht verloren


Als besonderer Einschnitt muß nun der Tod einer Kneipe gelten, die zweifellos ein Fixstern im Moabiter Saufkosmos war. Der "Humpen" in der Turmstraße 54 war Teil jenes Netzes von rund um die Uhr geöffneten Alkoholiker-Anlaufstellen, die sich an Westberliner neuralgischen Punkten etablieren konnten. Heinz Zellermayer sei Dank: Dem Obermeister der Berliner Hotel- und Gaststätteninnung gelang es 1949, den Westalliierten die de-facto-Aufhebung der Polizeistunde abzutrotzen, als Schachzug gegen die Russen, die immer noch eine Stunde länger als im Westteil der Stadt genehmigten, um Alkoholikervermögen in die sowjetisch besetzte Zone abzuziehen. Das "Bierhaus 3" am Richard-Wagner-Platz ist eine solche Kneipe, der "Magendoktor" am Nettelbeckplatz, die "Molle" am S-Bahnhof Wollankstraße oder der "Schinken" in der Luxemburger Straße, gleich am Leopoldplatz.

Das "Bierhaus 2" in Kreuzberg (Wrangel-/Ecke Cuvrystraße), die unterste Etage, in die ein Alkoholiker auf dem Weg in die Obdachlosigkeit abrutschen konnte, existiert nun auch nicht mehr. Bier gab es dort nur aus der Flasche, zusammen mit einem Korn für 3 Mark. Was aus den Säufern, die dort wohl den größten Teil ihrer Zeit verbracht haben, nach dem Verlust ihres Treffpunkts geworden ist, möchte man sich gar nicht ausmalen.

Auch der "Humpen" in Moabit, wenngleich kein vergleichbarer Brennpunkt des Elendsalkoholismus, hatte seine Funktion als Zufluchtsstätte, wurde in der Hauptsache besucht von Trinkern mit wenig Geld. Eingerichtet war die Kneipe zweckmäßig schlicht, dunkles Holz, alles gut abwaschbar. Eine nachdem alle Glitzersteinchen abgefallen waren vollkommen schwarze Discokugel und ein großer Neonluster waren sehenswerte Unikate. Mit gastronomischer Dienstleistungseilfertigkeit wurde hier niemand malträtiert, sein Bier und seinen Schnaps hat aber jeder bekommen. Musikterror herrschte keiner, wenn nicht gerade jemand den Raum mit Schlagermüll aus der Musicbox beschallte. Oft war es lange ruhig in der Kneipe, jeder ging für sich und ganz in Ruhe seiner Beschäftigung nach, dem Trinken.

Der alte Pächter, der nach 20 Jahren aufhören wollte, hatte schon einen Nachfolger gefunden, doch in einer Mieterhöhung auf 9300 Mark für hundertundfünf Quadratmeter zeigte sich der Eigentümer kompromißlos. Noch gemahnt der überdimensionale Bierkrug auf der Leuchtschrift "Zum Humpen" an die ermordete Kneipe. Im Schaufenster klebt ein Plakat: "Wieder muß eine alte Gaststätte schließen. Soviel Bier kann gar nicht fließen. Die Mieten sind gar nicht bezahlbar."

Die Kneipe als Ort des kulturellen Gedächtnisses

Der Borsigsteg, welcher die Spree zwischen Hansa- und Lessingbrücke überquerte, existiert schon lange nicht mehr. Der Kneipenname "Zum Alten Borsigsteg" hat die Erinnerung jedoch bis vor kurzem wachgehalten. Die Kneipe am Bundesratsufer ist nun auch verschwunden, das Haus wird gegenwärtig saniert. Wie die Kneipe mit dem schönen Namen "Zur Alten Mittenwalder" am S-Bahnhof Hermannstraße, welche dort auf den ehemaligen Endpunkt der Bahnlinie nach Mittenwalde hinweist, die nurmehr als Rudiment in Form von Industriegleisen existiert, war auch der "Alte Borsigsteg" ein Ort des kulturellen Gedächtnisses. Das sind diese Kneipen nicht nur durch ihre Namen: Geschichte sammelt sich an diesen Orten, die von so etwas wie Innenarchitektur in der Regel verschont bleiben, im wahrsten Sinne des Wortes an in vielen Schichten: Neben der 50er-Jahre-Theke finden sich Stühle aus den 70ern, ein neuer Spielautomat, Photos, Erinnerungsgegenstände. Hier wird keine Einheit erzwungen, es herrschen Vielfalt und Disparatheit. Hier überleben Dinge, die anderswo keine Chance hätten.

Gewiß nicht immer, aber in geglückten Momenten eben doch, werden in der Eckkneipe Modelle befreiten Lebens durchgespielt. Die Verbrüderung an der Theke ist sprichwörtlich, aber es geht noch weiter: Spielerisch können Rollen und Identitäten angenommem werden, die dann außerhalb der Kneipe keine Gültigkeit mehr haben und auch nicht müssen. Das nächste Glas, die nächste Runde wird zur Utopie der Befreiung von allen äußeren Nöten und Zwängen.

Ebenfalls eingerüstet ist jetzt das Haus an der Birken-/ Ecke Bandelstraße, noch in einem pittoresken Zustand, wie er auch im Prenzlauer Berg schon selten wird. Die wunderbare Kneipe dort, "Zur Guten Laune", gibt es glücklicherweise noch.
Florian Neuner

© scheinschlag 2000
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