Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Nachsicht, Volksbühne oder... Entertain us, Peymann!

Castorf, Kresnik, Marthaler, Schlingensief:
Die fantastischen Vier des politischen Theaters erstmals gemeinsam auf einem Podium

Okay - es war Sensationsgeilheit. Ich wollte Opfer sehen. Ich wollte Schuldige. Sieben fette Jahre Volksbühne - bekanntlich müssen darauf sieben magere folgen. Ich habe die Harfouch bejubelt als Teufels General, ich habe dem armen Werner Brecht in der "Raumpatrouille Schlingensief" eine Banane geschenkt - aber irgendwann muß ja Schluß sein. Jede Ära geht einmal zu Ende. Ich wollte dabei sein, wenn die Fetzen fliegen. Und so kam es. Aber eigentlich auch ganz anders.selbst ...

Die halbe Lizenzabteilung der Berliner Kulturmafia plus Underground drängelt sich im zur Mannschaftskabine umfunktionierten Sternfoyer der Volksbühne, um dem Dream-Team in den Halbzeittee zu gucken. Das Programmheft hat die Veranstaltung zwar zur Podiumsdiskussion heruntergedimmt, was mit dem ersten Atemzug nach Politik, mit dem zweiten dann eher nach Anekdötchen riecht, doch davon wollte sich keiner täuschen lassen: Schließlich hatte Schlingensief noch in der Nachspielzeit ein Eigentor namens "Berliner Republik" geschossen und überhaupt - sieben Jahre an der Spitze der ersten Liga, da muß doch wohl ein bißchen FC Hollywood drin sein, oder? Aber dann das: Die vier Delinquenten versprühen die Harmlosigkeit von Klassenbesten, die gerade in alten Jahrbücher geschmökert haben.

Ein Schock. Hinter Kennerblicken im Publikum schimmert die Angst vor einer weiteren Ribbeckisierung (Berliner Zeitung) der Theaterlandschaft durch: Erst die Sache mit Wilms und dem DT, und jetzt womöglich charmante Null-Konversation am Hort des politischen Theaters! Sekundenlang währt die Hoffnung, daß alles nur Show ist, doch dann fragt Moderator Franz Wille (Zeitschrift "Theater heute") gleich zum Auftakt verschmitzt: "Besteht das Projekt Volksbühne nach dieser Diskussion wohl weiter?"

Anale Perspektive und Altherrenrunde

Indigniert nippen alle am Sekt. An einen Eklat mit Ansage will keiner wirklich glauben. Castorf flutet sofort das Spannungsloch und lenkt den Diskurs routiniert auf Begriffe wie "Müdigkeit" und "ausbrennen", als hätte er die Story mit den sieben mageren Jahren selbst erfunden. Marthaler und Schlingensief assistieren mit Bonmots über die aufregend anarchische Frühphase der Volksbühne, der erste aus Schweizer ("Alles so exotisch!"), der zweite aus gewohnt analer Perspektive: "Wir hatten nur ein Klo für 8 Leute. Das war Scheiße." Während einzig Kresnik sich müht, ein wenig wie Kalli Feldkamp auszusehen und Halbzeit-Kabinen-Aroma zu verströmen, beschäftigen mich zunehmend einige irritierende Details: Mit wem flirtet Schlingensief, wieso hat noch keiner aus dem Publikum "Altherrenrunde" geschrien und warum hat eigentlich Diedrich Diedrichsen (dritte Reihe Mitte) noch nichts gesagt? Ein hysterisches "Peymann!" ruft meinen schweifenden Geist wieder in Hab-Acht-Stellung. Die Castorf´sche Halsschlagader schwillt. Wie war das? Was errrlauben Peymann? So ähnlich. Der Laden kommt kurzzeitig auf Trab.

"Altherrenrunde!" schreit dann doch einer. Ich frohlocke. Ist das die Trendwende? Conferencier Wille, zwischenzeitlich selbst in der Kritik ("Du rauchst und nuschelst doch nur!"), deklamiert beleidigt die Öffnung zum Publikum. Das tastet sich zaghaft an die Redefreiheit heran: "Theater hat mit Menschen zu tun", kommt es noch aus sicherer Deckung. "Es geht um die Abgründe im Menschen", wagt sich dann einer vor und schließlich, wir ahnten es: "Theater muß viel idiotischer werden." Hoppla. Alle gucken automatisch zu Schlingensief. Der, eben noch von einem anderen Zuschauer schwer gescholten ("Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie da reden!") behauptet dreist, alles, was er mache, sei wohlkalkuliert

Sieben Jahre Lüge?

Das Podium schiebt die Bälle in der eigenen Hälfte, das Publikum geht voll auf Pressing: Er komme aus Bonn, bekennt einer todesmutig. Castorf, eben noch wild entschlossen, das "Territorium Ost nicht aufzugeben", rutscht zusehends unter den Tisch. Den Big Point macht schließlich ein junger Herr mit schneidigem Seminaristen-Timbre. Elegant bereitet er vor, fügt die Worte Tarantino, Entertainment und Interpunktionen in einen grammatikalisch korrekten Satz und stößt dann zu: "Herr Schlingensief, gibt es noch einen Unterschied zwischen der Wolfgangsee-Performance und ihrer medialen Darstellung?" Betretene Minen. Alle ahnen: Der Mann hat Baudrillard gelesen, den Philosophen, der weiß, das nichts Realität, dafür aber alles Simulation ist. Ja sollte denn...

...alles gar nicht echt gewesen sein? Sieben fette Jahre lang?! Nun brechen die Dämme: Marthaler rechtfertigt müde sein plötzliches Verlangen nach Identitätsflucht ("Wollen wir nicht alle Heino sein?"), Schlingensief kichert manisch in sich hinein. Er war clever genug, sich schon zu Beginn der Veranstaltung in einen anderen Beruf zu verabschieden: "Ich bin die Nato." Castorf ist unter der Tischkante verschwunden. Sollte dies das Ende sein? Das Ende einer Ära? Nein, nicht ganz. Denn ganz am Ende, da durfte auch Diedrich Diedrichsen noch was sagen. Soviel sei verraten: Es hatte mit POP zu tun.
Klemens Vogel

© scheinschlag 2000
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