Ausgabe 07 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1899

Morgen ist Sonntag. Wir sind daheim, jeder zwischen seinen vier Pfählen, in seinen weißgetünchten, mit Jagd-Trophäen oder Heimat-Andenken dekorierten Räumen.

Unterwegs, wenn das Ziel in weiter Ferne liegt, viele Meilen öder Steppe oder finsteren Urwalds uns von ihm trennen, verwischt sich der Begriff des Sonntags. Sicher zählt man sehnsüchtig die Tage, abends beim trüben Lampenlicht vor dem Zelt, wohl gibt es einmal nach Tagen sengenden Sonnenbrandes einen Ruhetag, wenn die Träger nur noch mühsam fortkeuchen und den drückenden Lasten, wenn ein schattiger Hain mit rieselndem Bach erreicht ist, an den Felder eines betriebsamen Dörfchens grenzen. Doch dann geht es wieder hinaus in die Steppe, ob Sonntag, ob nicht.

Wir sind daheim, morgen ist Sonntag. Unser Daheim ist waldiges Hochland, wo unsere Arbeit mühsam dem unermesslichen Urwald den Raum abtrotzt für die Kultur. Was hier tun an einem Sonntag? Mit den Nachbarn Skat spielen und Whisky trinken? Wir drei treffen uns zur Beratung, die Idee: Waldausflug mit Picknick.

Am Abend werden die Mattenkörbe gegepackt. Eine Menge Flaschen Sodawasser, dazu der nötige Whisky, Münchener Spatenbräu, und da die Gewehre auch mitkommen, darf Zielwasser nicht fehlen: ein kräftiger Schluck Cognac. Einige Büchsen Conserven, ein frisches Brot, Käse und Wurst sowie die notwendigen Blechteller vervollständigen die Ausrüstung.

Im sonntäglichen Morgengrauen sammeln wir uns und die Frühstückskarawane tritt an. Voran vier Mann, stämmige Wanyamwesi, mit Buschmessern, um den Weg durch Dschungel und Urwald zu bahnen, dann wir drei, mit mächtigen Bergstöcken ausgerüstet, den Patronengürtel umgeschnallt, die Büchsen tragen uns nebst den Regenmänteln unsere Boys hinterher. Den Schluss bildet eine Fourage-Colonne in Gestalt von drei Trägern mit den eingepackten Herrlichkeiten. Wehe, wenn einer auf dem schlüpfrigen Wege ausgleitet und seine kostbare Last an den Steinen zerbricht! Es geht hinein in den Busch.

Wie sich die Brust erweitert, die Sehnen entspannen, die Augen leuchten, wenn auch der Schweiß in Strömen von der Stirn läuft. Es geht durch afrikanischen, hochstämmigen Urwald, bald durch Dornengebüsch, bald über gestürzte, verwitterte Urwaldriesen, bald führt der mühsam gehauene Pfad über schlüpfrige Steinflächen. Wir haben keine Eile, immer hübsch langsam voran!

Da öffnet sich der Wald: Vor uns breitet sich eine üppige Wiese und bildet in ihrer sonnenbestrahlten Morgenfrische einen lieblichen Gegensatz zu dem dumpfen Dunkel bisher. Wie friedlich und sicher liegt sie da. In stiller Schadenfreude lasse ich den hier zu Lande noch weniger bewanderten Genossen den Vortritt. Frohen Schrittes treten sie hinaus und - bums! schon stecken beide bis über die Knie im Morast, während das Gras über ihren Schultern zusammenschlägt. Afrika: Selbst wo es gesund und lieblich dem Besucher entgegenlacht lauert der Sumpf unter der friedlichen Decke und wird vielen zum Leichentuch.

Durch das Schimpfen der Kollegen und mein Lachen wird auf der anderne Seite des Idylls ein schlanker Buschbock flüchtig und verschwindet im Wald, ehe ich mein Gewehr greifen kann. Wir gehen weiter hinauf in den Bergwald. Tauben girren, dem Auge unsichtbar, in den Baumwipfeln, Nashornvögel streben hoch in der Luft in schwerfälligem Flug krächzend zu ihren Futterplätzen, ein freches Affenvolk bellt und keift in den grünen Ästen, winzige graue Eichhörnchen huschen die Stämme hinauf, ein dunkelfarbiger Waldfalter flattert um die wenigen Blumen. Es wird warm.

Die Szenerie ändert sich. Schlanke Bambus mit ihren feinen, blaugrünen Blättern zeigen sich, die Steine werden zahlreicher, leises Rauschen klingt ans Ohr. Ein lauschiges Plätzchen bietet sich dem Auge. Schnell ist der Platz etwas gesäubert, die Regenmäntel dienen als Decken, die Boys öffnen die Flaschen für uns durstige Seelen. Die anderen Leute tragen Brennholz für zusammen zwei Feuer. Bald brodeln an einem unsere Konserven, am andern der Reis. Der erste Luftzug schlägt uns den ganzen Qualm ins Gesicht, wenigstens hält uns das die Moskitos fern.

Herrlich schmeckt so eine Mahlzeit im Urwald. Dann die Siesta. Das Rauschen der hunterjährigen Riesen wiegt uns in Träume, die uns ins Feenland führen. Durch ein leises Schütteln fahre ich empor. Mein Boy ist es, der mich weckt:

"Bana, mona!" ("Herr, Regen!") Die ersten Tropfen, einzeln, schwer, stärker, stoßweise das Rauschen in den Wipfeln. Schnell die Kameraden geweckt, nun in die Mäntel gewickelt, die Büchsen mit verpackt. Es fängt an: ein Windstoß, die stärksten Äste knacken, ein Donner, dass die Felsen ringsum zu beben scheinen, dann schlägt es herunter, nicht tropfenweise, nicht rieselnd, sondern klatschend, brausend, wie ein Bergstrom aus geöffneter Schleuse, auf zehn Schritte ist kein Gegenstand erkennbar. Wenige Sekunden und um uns, unter uns strömt es.

Wir ducken uns zur Erde, die Flut läuft zum Mantelkragen hinein. Keine Hilfe ist die Schutzdecke, bei einer Bewegung verrutscht, schon ist der Stiefel vollgelaufen. Wir rücken noch näher aneinander und freuen uns über unsere grotesken, lehmgefärbten Gestalten. Nass sind wir doch, nun den Cognac heraus, damit wir uns nicht erkälten.

Es folgt Sonnenschein, und dabei geht es heimwärts auf dem durchweichten, schlüpfrigen Waldboden. Eine Ewigkeit, bis unsere Wellblechdächer in der Abendsonne leuchten. In trockenen Sachen bei einem steifen Grog um die Lampe versammelt bilden wir uns ein, in der deutschen Sommerfrische gewesen zu sein.
Falko Hennig

© scheinschlag 2000
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