Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
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Sind fünf Jahre genug?

Der Mietobergrenzengeltungsdauerstreit eskaliert: Abwahlantrag gegen Dubrau

Der Streit um die Neufestsetzung der Mietobergrenzen in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg macht das Dilemma deutlich, in das die Stadterneuerung geraten ist: Will man die Bevölkerung wirksam vor Verdrängung schützen, ist der Fortgang des Sanierungsprozesses als Ganzes gefährdet.

Vor fünf Jahren wurden in Prenzlauer Berg die ersten der heute fünf Sanierungsgebiete mit dem Ziel festgesetzt, einerseits die heruntergekommene Bausubstanz zügig zu sanieren und andererseits die Bewohner vor einer Verdrängung durch die mit den Modernisierungen einhergehenden Mieterhöhungen zu bewahren. Dabei standen weit weniger öffentliche Fördermittel zur Verfügung als im Westberlin der achtziger Jahre, so daß die Sanierung im Osten hauptsächlich von den Investitionen privater Eigentümer getragen werden sollte. Als Regulativ wurden Mietobergrenzen eingeführt, die den Sanierungsumfang und die Renditeerwartungen der Eigentümer dämpfen und den alteingesessenen Bewohnern das Bleiben ermöglichen sollten.

Ungenügender Verdrängungsschutz

Zunächst galten die Mietobergrenzen nur direkt nach dem Abschluß der Modernisierung und waren von den Vermietern leicht zu umgehen. Doch auch nachdem die Geltungsdauer der Mietobergrenzen auf ein Jahr verlängert wurde, zeigte sich, daß sie als Verdrängungsschutz nicht ausreicht. Untersuchungen besagten, daß nach einer privaten Modernisierung nur noch etwa die Hälfte der alten Bewohner im Haus verbleiben. Nach der Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostberlin am 1. Januar 1998 sahen die Betroffenenvertretungen in den Mietobergrenzen nur noch einen "Sockelbetrag für weitere Mietsteigerungen" und verlangten eine Absenkung der Grenzwerte sowie vor allem eine längere Gültigkeitsdauer.

Im Februar 1999 hat das Bezirksamt Prenzlauer Berg eine Neuregelung der Mietobergrenzen beschlossen. Das unter der Federführung der Baustadträtin Dorothee Dubrau (parteilos, für Bündnis Prenzlauer Berg) mit den Sanierungsbeteiligten ausgearbeitete Modell sieht eine fünfjährige Geltungsdauer der Mietbegrenzung vor und setzt die Höhe der Mietobergrenzen neu fest: Bei kleinen Wohnungen wurde sie leicht abgesenkt, bei Wohnungen über 60 qm wurde sie leicht erhöht.

Kurzlebiger Überraschungserfolg

Als diese Regelung am 17. März der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vorgelegt wurde, fiel sie jedoch unerwartet durch. Statt dessen erhielt ein von der PDS unterstützter Antrag der Betroffenenvertretungen eine knappe Mehrheit, wonach die Mietobergrenzen niedriger angesetzt sind und vor allem über die gesamte Dauer der Sanierungssatzung gelten - das heißt mindestens 15 Jahre. Aus Sicht der Betroffenenvertretungen ist damit erstmals ein "echter Verdrängungsschutz" erreicht, der Entwurf des Bezirksamts sei zu halbherzig, um den Bevölkerungsaustausch zu stoppen.

Baustadträtin Dubrau sah jedoch schon gegen eine Ausdehnung der Gültigkeit auf fünf Jahre erhebliche Widerstände aus der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr auf sich zukommen. Den BVV-Beschluß vom 17. März gegenüber der Bauverwaltung durchzusetzen, schien ihr unmöglich. Die nicht genau bestimmte Geltungsdauer - der Sanierungsprozeß ist auf 15 bis 20 Jahre angelegt, Westberliner Gebiete standen aber auch schon bis zu 35 unter Sanierungsrecht - würde wahrscheinlich verstärkt Widersprüche von Hauseigentümern hervorrufen. Die Senatsbauverwaltung hat als Widerspruchsbehörde bereits angedeutet, daß sie solchen Widersprüchen stattgeben würde. Wenn sich diese Praxis bei den Eigentümern herumspräche, würden die Mietobergrenzen bald nur noch auf dem Papier stehen. Diesen Einwand hält auch Theo Winters, Koordinator der Arbeitsgruppe Prenzlauer Berg des Sanierungsträgers S.T.E.R.N., für berechtigt. Matthias Bernt von der Betroffenenvertretung Helmholtzplatz bezweifelt jedoch, ob es tatsächlich zu massenhaften Widersprüchen kommt, und meint: "Man muß es drauf ankommen lassen." Die Bauverwaltung muß im Widerspruchsverfahren über jeden Fall einzeln entscheiden.

Als weiterer Einwand gegen des BVV-Beschluß kommt hinzu, daß die Mieten unsanierter Häuser im Zuge der normalen Mieterhöhungen die von sanierten Häusern übersteigen könnten, so daß es für Eigentümer einträglicher sein kann, Häuser weiter verfallen zu lassen - was nicht im Sinne der Sanierungssatzung ist.

"Ende der Fahnenstange"

Daher hat das (nach der Abwahl des Sozialstadtrats Frank von Olszewski nur noch vierköpfige) Bezirksamt am 30. März beschlossen, den BVV-Beschluß nicht umzusetzen. Dorothee Dubrau begründete diesen Schritt auch mit der fehlenden Entscheidungskompetenz der BVV. Das löste einen Proteststurm der Betroffenenvertretungen aus, die schwere Geschütze auffuhren: Die Baustadträtin ignoriere das demokratisch gewählte Bezirksparlament und verrate die Interessen der Mieterinnen und Mieter. Die Betroffenen sehen keine Möglichkeit mehr, weiter mit Frau Dubrau zusammenzuarbeiten, und werden in der BVV-Sitzung am 12. Mai einen Abwahlantrag gegen sie stellen. "Nach jahrelangen Bemühungen, auch mit dieser Stadträtin, durch Bürgerbeteiligung etwas zu erreichen, ist nun für uns das Ende der Fahnenstange erreicht", heißt es in einer Presseerklärung der Betroffenenvertretungen. Die PDS-Fraktion wird voraussichtlich die Abwahl unterstützen, doch obwohl man auch in den anderen Fraktionen Probleme mit der Baustadträtin hat beziehungsweise hatte, ist ein Zustandekommen der nötigen Zweidrittel-Mehrheit fraglich.

Die Auseinandersetzung macht deutlich, daß die bauliche und die soziale Zielsetzung der Stadterneuerung kaum noch unter einen Hut zu bekommen sind. Auf der einen Seite ist der Senat immer weniger dazu bereit, die Sanierung finanziell zu unterstützen, auf der anderen Seite verschärft sich die soziale Lage der in den Sanierungsgebieten ansässigen Bevölkerung. Einerseits würden Maßnahmen, die zum Schutz der Bewohner vor übermäßigen Mietsteigerungen nötig sind, die bauliche Sanierung ins Stocken bringen. Andererseits würde ein Weitermachen wie bisher die Verdrängung großer Teile der Bewohnerschaft in Kauf nehmen. Dorothee Dubrau hat die undankbare Aufgabe, zwischen den immer weiter auseinanderdriftenden Interessen zu vermitteln - und bezieht nun von beiden Seiten Prügel.

Egal, wie der Streit endet: Von ihm geht eine Signalwirkung auf die anderen Bezirke aus. Wenn in Prenzlauer Berg eine längerfristige Bindung der Mieten möglich sein sollte, könnten sich Mitte und Friedrichshain, wo die Bauressorts von der PDS besetzt sind, etwas ähnliches ausdenken.

Jens Sethmann

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