Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Reise aufs Land

Personen: Kunde, Fahrkartenverkäuferin.

(Bahngeräusche, Züge, Lautsprecherdurchsagen usw. im Hintergrund)

KUNDE: Guten Tag, sagen Sie, wie komme ich am billigsten nach Luckow und zurück?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Mit Super-Spar-Preis, allerdings dürfen Sie dann nicht am Wochenende und nicht an ungeraden Tagen fahren.

KUNDE: Ich hab da aber von diesem Schönen-Wochenende-Ticket gehört, mit dem man für 35 Mark das ganze Wochenende fahren kann.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Ja, selbstverständlich, wenn Sie das wollen. Da dürfen Sie allerdings keine ICE, keine Interregio-Züge und keinen Schienenersatzverkehr fahren.

KUNDE: Aber wie so denn keinen Schienenersatzverkehr?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Das überschneidet sich mit dem Hässlichen-Biber-Angebot.

KUNDE: Das Hässliche-Biber-Angebot?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Ja, das ist ganz neu. Das wurde von der Zentrale als Ersatz für die Heisse-Kühlschrank-Karte geplant.

KUNDE: Die Heisse-Kühlschrank-Karte? Was um Gotteswillen ...

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Das ist ja gar nicht mehr aktuell. Das hat sich nicht rentiert und ist abgeschafft.

KUNDE: Aber worum ging es denn dabei?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Mann und Frau, beide über 70 können mit einem Kühlschrank beliebiger Größe eine ganze Woche auf allen Linien der Bundesbahn fahren, ICE aber nur mit Zuschlag.

KUNDE: Das hat sich aber nicht rentiert?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Es wurde schon viel benutzt, aber auch viel Missbrauch. Polnische und türkische Händlerbanden mit gigantischen als Tiefkühltruhen getarnten Kisten voller Zeug.

KUNDE: Und das Hässlicher-Biber-Angebot?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Das schließt gleichzeitig die Lücke zwischen dem Rosa-Sparpreis und dem Grünen-Frohe-Laune-Ticket.

KUNDE: Aber dieser Name, Hässliches-Biber-Angebot, ist das nicht eher abschreckend?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Das war ja genauso gedacht, nach dieser Pleite mit der Heissen-Kühlschrank-Karte. Beim Hässlichen-Biber-Angebot darf eine Person beliebigen Alters mit bis zu acht Säugetieren an zwei Werktagen alle ICE- und Interregio-Linien benutzen.

KUNDE: Säugetiere, warum gerade Säugetiere?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Naja, nach dieser Pleite mit den Tiefkühltruhen wollte man auf Nummer Sicher gehen. Wobei es auch schon wieder Probleme gibt. Aber ich rate Ihnen sowieso zum rot gelb gestreiften Tick-Tack-Ticket. Damit können Sie zu jedem beliebigen Zielort, nur dürfen Sie den nicht selbst bestimmen.

KUNDE: Ich darf meinen Zielort nicht selbst bestimmen? Wozu soll das gut sein?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Es geht um ungenutzte Reserven, wenig befahrene Strecken. Wenn diese Linien gar nicht mehr benutzt werden, müssen wir sie schließen. Dafür ist das gedacht. Dabei ist im Preis enthalten, dass Ihnen ein Taxi gerufen wird und beim Hotel-Suchen geholfen. Zur Not können Sie auch in der Privatwohnung des Bahnhofsvorstehers übernachten.

KUNDE: Das klingt interessant, wird das denn viel genutzt?

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Nein, überhaupt nicht. Viele Menschen sind so engstirnig auf ihr Ziel festgelegt.

KUNDE: Ich wollte ja auch eigentlich nach Luckow.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Sehen Sie? Egal, am billigsten wäre für Sie, wenn Sie warten bis noch acht andere nach Luckow wollen. Dann können Sie mit dem Hässlichen-Biber-Angebot hin und wieder zurückkommen.

KUNDE: Ich dachte, das wäre nur für Säugetiere.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Wenn man so will eine Lücke in den Vorschriften. Menschen sind ja auch Säugetiere, biologisch gesehen. Und sowas ist uns natürlich immer noch lieber, als beladene Esel und Pferde. Das kommt ja inzwischen leider auch vor. Ich glaube ja es waren dieselben Händlerbanden, wie damals bei der Heissen-Kühlschrank-Karte. Aber irgendwelche Lük- ken gibt es immer. Es gibt ja sogar schon Leute, die mit der Schönen-Wochenende-Karte Weltreisen machen. Die sehen natürlich sehr viel, weil sie immer die ganze Woche irgendwo Pause haben.

KUNDE: Na ich weiß eigentlich nicht, ob jetzt wirklich noch acht Leute nach Luckow kommen. Ich glaube, ich nehme einfach eine Fahrkarte hin.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Wir haben auch noch das Heck-Ticket. Das darf ich Ihnen aber erst 20 Sekunden vor Abfahrt des Zuges ausstellen.

KUNDE: Nein nein, ich glaube das ist mir zu stressig. Dann doch lieber eine ganz normale Fahrkarte.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Haben Sie denn eine Bahncard?

KUNDE: Nein, leider nicht.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Die sollten Sie sich anschaffen, da kostet alles nur die Hälfte.

KUNDE: Vielleicht später.

FAHRKARTENVERKÄUFERIN: Gut, einfach nach Luckow, macht 2 Mark 70.

KUNDE: Danke!

ENDE

Falko Hennig

Texte wie dieser werden bei RADIO HOCHSEE inszeniert, jeden Montag 21 Uhr im ZOSCH, Tucholskystraße 30.

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