Ausgabe 04 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Wie macht man Filme, wenn es nicht um Karriere und Geldverdienen geht?

Gespräch mit dem Filmemacher Stefan Hayn

Sein neuester Film "Dreizehn Regeln oder Die Schwierigkeit sich auszudrücken" konfrontiert zwei Texte: Ad Reinhardts Verhaltensregeln für bildende Künstler von 1960 und ein Theaterstück von Copi, in dem radikal Geschlechteridentitäten in Frage gestellt werden. Die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen zeigen jetzt seinen "Film über den Arbeiter" (1997/98). 1965 in Rothenburg o. d. T. geboren, studierte Stefan Hayn zunächst bildende Kunst an der HdK, ging später an die Filmakademie Baden-Württemberg. Filmauswahl: Schwulenfilm (1989), Pissen (1990), Fontvella´s Box (1991/92), Klassenkampf in Amerika (1993), Das Festspiel (1996)

Nachdem die Berlinale deine beiden neuen Filme abgelehnt hatte, hast du sie nicht nur in Privatinitiative gezeigt, sondern auch ein Flugblatt an die Festivalbesucher verteilt. Dort schreibst du: "Nur als Kriegserklärung an die mediale Verwurstung macht Filmemachen, -zeigen und -sehen überhaupt noch Sinn."

Der Satz behauptet thesenhaft, daß bestimmte Filme kaum noch eine Chance haben, daß es beinahe unmöglich ist, solche Filme zu produzieren und zu zeigen und daß man dagegen etwas unternehmen muß. Da braucht man nicht bei meinen Filmen anzufangen. Es gibt ganz andere Leute, die jahrzehntelang Filme gemacht haben und heute vor solchen Schwierigkeiten stehen. In Frankreich sind das etwa Godard oder die Straubs. Der Hessische Rundfunk ist der einzige Sender, der ihre letzten Filme unterstützt hat, und ansonsten haben sie immer das Geld aus den vorhergehenden Filmen reingesteckt.

Deine früheren Filme wurden auf verschiedenen Festivals gezeigt, die neuen sind auf diesem Markt nur sehr schwer anzubringen. Der "Arbeiterfilm" läuft jetzt in Oberhausen, die "Dreizehn Regeln" sind noch nirgends gezeigt worden. Was hat sich verändert? Sind es die Institutionen oder ist es dein ästhetischer Weg, der mit diesen Institutionen plötzlich nicht mehr kompatibel ist?

Beides sicher. Zum einen habe ich mich weiterentwickelt. Meine Filme sind inhaltlich und formal zugespitzter geworden. Dadurch stoßen sie auf Widerstände. Das andere ist, daß sich schon auch die Möglichkeiten, solche Filme zu zeigen, enorm verschlechtert haben in den letzten Jahren. Für meine Filme kamen immer schwul-lesbische Filmfestivals in Frage, die am Anfang auch noch offener waren und improvisierter. Die wurden dann aber immer "professioneller". Es heißt jetzt auch "Internationale Kurzfilmtage Oberhausen GmbH". Festivals, Filmhochschulen, Filmförderungen - alles ist inzwischen eine GmbH. Das bedeutet, daß sich diese Einrichtungen nur noch finanziell legitimieren müssen, und damit sind gewisse Grenzen gesetzt.

Viele der flotten, neuen deutschen Filmemacher würden jederzeit für sich in Anspruch nehmen, daß man in einem schmissig erzählten Spielfilm ernsthafte Themen wie die deutsche Vergangenheit aufbereiten kann und damit auch das Publikum erreicht.

Ich denke, mit dem Flugblattsatz ist auch behauptet, daß es so natürlich nicht geht. So ging´s noch nie und so kann es auch nie gehen. Ein Interesse an einer Sache entsteht ganz anders, und wenn es mit dem Taktieren losgeht, dann ist das Ganze schon vorbei. Ich hab´ die Filme immer so gemacht, daß sie erst mal meinen Ansprüchen genügen müssen. Danach treffen sie auf ein Publikum und dann passiert etwas oder passiert nichts. Das andere ist einfach nicht zu verantworten. Heute weniger denn je.

Wie hast Du Deine Filme bisher finanziert?

Die ersten Filme waren mehr oder weniger Taschengeldfilme. Dann hatte ich ein Drehbuch geschrieben und hab´ damals, als es noch diese kulturelle Filmförderung in Berlin gab, Geld bekommen. Das hat meine Arbeit auf eine andere Ebene gehievt, was sehr wichtig war. Es hat sich aber schnell gezeigt, daß es so einfach nicht weitergeht. Ich mußte meine Filme wieder selbst finanzieren und entsprechend ärmlicher sind sie geworden. Ich würde aber durchaus vertreten, daß es richtig ist, wenn man einem Film ansieht, daß nur so und so viel Geld da war und so und so viel Zeit, weil man nebenher noch arbeiten mußte. Das heißt nicht, daß man deswegen schlampiger sein darf, aber es ist richtig, daß das den Produkten ins Gesicht geschrieben steht, denn das sind die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie entstehen.

Als es mit den Filmförderungen an dem Punkt nicht mehr weiterging, hab´ ich mich entschlossen, an die Filmhochschule in Ludwigsburg zu gehen, die damals neu war und noch Leute gesucht hat, um in diesem Rahmen, mit der Technik und dem Geld Filme zu machen. Es war mir von Anfang an klar, daß das ein Ort ist, der völlig konträr ist zu meiner Vorstellung vom Filmemachen. So eine Schule achtet bei der Auswahl der Studenten inzwischen vor allem darauf, wieviel Geld sie zurückbringen. Dann nimmt man halt noch, um das Ganze ein bißchen aufzumischen, ein, zwei Quertreiber auf. Diese Rolle sollte ich in Ludwigsburg übernehmen.

Dein "Film über den Arbeiter" hat dann dort auch zum Eklat geführt und du hast jetzt gar keinen Abschluß. Es ist ein Film über die Unmöglichkeit von Dokumentarfilmen. Du filmst keine Arbeiter, sondern stellst dich selbst hin und berichtest von deinen Erfahrungen, die dann diese Representativität und Pseudo-Objektivität nicht beanspruchen können.

Ein Redakteur hatte angeboten, einen Fernsehfilm zum Thema "Der Arbeiter am Ende des 20. Jahrhunderts" zu machen. Meine erste Überlegung war: das bin ich selbst, weil ich selbst das Geld so verdiene. Und natürlich hat mich der größere politische Kontext interessiert und die Frage, wie man dafür überhaupt noch eine Form finden kann, die nicht vollkommen korrumpiert ist.

Würdest du sagen, daß man Dokumentarfilme eigentlich nicht mehr machen kann?

Es ist nicht so einfach, daß man sagt, das geht nicht mehr, wobei die Lage schon ernst ist. Peter Nestler hat neulich geschrieben, daß er keine Chance mehr für sich sieht, weiterzuarbeiten und daß das Genre komplett korrumpiert ist. Das muß man bei so jemandem schon ernstnehmen. Ich meine, man muß nur den Fernseher einschalten und sieht, daß es sehr ernst ist. Heute sind sogenannte "Doku-Soaps" der große Renner. Die Leute werden monate-, teilweise jahrelang vor die Kamera gezerrt. Wenn man sich vorstellt, welche Wracks da übrigbleiben, kommt einem das kalte Grausen. Aber ich glaube, wenn man von einer inhaltlichen, politischen Motivation aus an eine Sache herangeht, kann man letztlich doch immer wieder alles machen. Der Straub hat immer gesagt, daß es darum geht, erst mal etwas zu machen, das keinen Schaden anrichtet. Darum geht´s, glaube ich, wirklich.

Das ist schwierig genug.

Das ist schwierig genug. Wenn das nur ab und zu mal jemand an einer Filmhochschule sagen würde, dann hätte er seinen Lehrauftrag erfüllt. Interview:
Florian Neuner

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 04 - 1999