Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
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Die Templer kommen!

Neue Nutzungen für das Reichsbahnausbesserungswerk an der Warschauer Straße


Gemunkelt wird zwar schon lange, was aus dem Reichsbahnausbesserungswerk, kurz: RAW, an der Warschauer Straße werden soll, doch seit Ende Februar wird es offiziell konkreter: Der Verein "RAW-tempel" strebt eine kulturelle Zwischennutzung des historischen Eisenbahngeländes an.

Unklar ist bis jetzt eigentlich noch alles, doch die beiden Initiatorinnen - Carola Ludwig und Bibiena Houwer - stecken zuversichtlich mitten in den Verhandlungen. Die Deutsche Bahn als Eigentümerin des Geländes ist gesprächsbereit, die Behörden werden in die Verhandlungen einbezogen, eine erste Nutzung des Geländes vielleicht schon im Sommer?

Bis dahin soll es kein fertiges Konzept geben. Die Idee ist, einige Ausgangspunkte - etwa Aktionen oder erste feste Veranstaltungsräume - zu öffnen, um dann nach und nach ein breites Spektrum an Aktivitäten auf dem Gelände zu entwickeln. Werkstätten, Jugendprojekte, Ateliers, Probenräume, Bürgerbüros, Ausstellungen sind geplant. Etwa zwanzig Projekte arbeiten bis jetzt schon an den Vorbereitungen mit. "Viele denken, wir renovieren ganz schnell und investieren hier, doch die wirkliche Vision des Projektes liegt in der sozialen Plastik", so Bibiena Houwer. Durch die Möglichkeit der Mitnutzung von Gebäuden und Hallen soll ein Anreiz zur Eigeninitiative gegeben werden.

Roh und ungekocht

RAW-tempel versteht sich nicht als Hausverwaltung, sondern als Vernetzer von Initiativen: "Erst dadurch, daß die Leute mit den Gebäuden selber umgehen, entsteht eine Identität mit dem Gelände." Der vernetzende Verein ist übrigens keine Sekte, sondern der Name bezieht sich auf ein älteres Projekt, den "Industrietempel" aus Mannheim, der punktuelle Nutzungen von verlassenen Industriegebäuden initiierte. Und das "RAW" im Namen bezieht sich nicht nur auf die offizielle Bezeichnung des Geländes, sondern spielt mit dem englischen Wort "raw": roh, ungekocht, unfertig.

Die Kultur, die hier entstehen soll, soll sich also nicht als kulturelles Endprodukt selbst genügen, sondern dadurch, daß sie immer wieder nach der Initiative der Menschen fragt, einen realistischen Beitrag zu einem Brükkenschlag zwischen Ost und West, zwischen jung und alt werden. "Es ist aufgesetzt", so Bibiena Houwer, "wenn wir jetzt zu den Senioren gehen und fragen, ob sie nicht in den Trümmern Karten spielen wollen. Wir müssen sie einladen und fragen, ob sie uns helfen." In Friedrichshain gibt es vor allem sehr viele ältere Menschen, die früher einmal etwas mit dem RAW zu tun hatten und auch heute noch eine enge Bindung zu diesem Gelände spüren. Früher gab es, ganz anders als in der heutigen Arbeitsorganisation, nach der Arbeit ein kulturelles Angebot für die Mitarbeiter, das Reichsbahnausbesserungswerk hatte einen eigenen Kulturraum. Ehemalige Mitarbeiter finden sich heute immer noch regelmäßig zusammen und stehen bereits in Kontakt zu dem neuen Projekt.

Also nicht nur Flower-Power, wilde Kunst, akademische Soziokultur, sondern vielleicht wirklich ein Ort, an dem sich Menschen mit verschiedensten Ideen und Biographien treffen und in ein Gespräch treten, indem sie einen Teil "ihrer" Stadt für erst einmal zwei Jahre mitgestalten.
Guido Rörick

Kontakt: RAW-tempel e.V. fon 2924695

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