Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
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Schelm und Zauberer des Kinos

Ein neues Buch über Lars von Trier nimmt ihm nichts von seinem Enigma

Was sind das für Typen, die in postdogmatischen Zeiten ein Dogma formulieren und feierlich einen stilistischen Purismus geloben, der sich gegen alle Tendenzen des gegenwärtigen Kinos der Slickness und Effekte wendet? Man könnte die "Bruderschaft" des Dogma 95, dessen erstes Ergebnis mit Tomas Vinterbergs "Das Fes" man schon jetzt zu den faszinierendsten Filmen des Jahres zählen darf, auch als einen weiteren genialen Coup des Lars von Trier betrachten. In dem kürzlich erschienenen Buch "Breaking the Dreams - Das Kino des Lars von Trier" jedenfalls tritt ein ums andere Mal die Neigung des Dänen hervor, als filmisches enfant terrible permanent und mit verschmitztem Lächeln Stil- und Tabubrüche zu begehen - und dabei eine beeindruckende Ernsthaftigkeit beizubehalten, die einen großen Filmbesessenen erkennen läßt.

Folgt man Autor Achim Forst, zeigt sich von Triers Hang zu Stilbruch und Filmmanie bereits an seinem Hochschul-Abschlußfilm, "Bilder der Befreiung". Mit der Geschichte um einen deutschen Kriegsverbrecher und eine dänische Widerstandskämpferin eignete er sich ein klassisches Thema der von ihm verachteten "Schule des dänischen Realismus" an und abstrahierte es zu einer düsteren, stilistisch versierten Reflexion über Schuld und Sühne.

Silistische Versiertheit, perfektionistische Ausleuchtungseffekte, das Spiel mit monochromen Einfärbungen und nicht zuletzt die fesselnde Symbolik seiner Bilder - all diese Merkmale, die von "The Element of Crime" bis "Europa" so faszinieren, sind hier schon erkennbar. Forst deckt mit akribischem Eifer die Ursprünge dieses Bilderzaubers auf und kehrt in nahezu jedem Kapitel auf von Triers grenzenlose Bewunderung für Carl Theodor Dreyer, Ingmar Bergman und Andrej Tarkowskij zurück, deren Filme er als Filmstudent haarklein nacherzählen konnte.

Doch auch der Wandel in den Arbeiten des Regisseurs wird detailreich nachvollzogen. So etwa seine Hinwendung zu einer Art "kunstvollem Realismus", der mit "Breaking the Waves" begann, vor allem aber in dem Dogma-Film "Idioten" wirkt, der ab April im Kino anläuft. Darüberhinaus erfährt man viel über von Triers Arbeitsweise und wie er in diesen Filmen erstmals leicht von seiner Kontrollsucht bei der Filmarbeit abläßt. Für seine ersten Filme befaßte sich von Trier damit, wie sich die Augen bei der Betrachtung eines Films bewegen, um in seinen Filmen die Blicke der Zuschauer durch Schnitt und Kameraführung optimal zu steuern.

In "Breaking the Dreams" wird das Autorenprinzip hochgehalten, daß es einem schwindelig wird. Wer immer schon wissen wollte, wie von Trier die Emily Watson ("Breaking the Waves") zu schauspielerischer Höchstleistung brachte, was er über Katholizismus denkt oder welchen Einfluß seine - ungläubigen - Eltern auf ihn hatten, ist hier gut bedient. Doch das Bild, das man sich von diesem großen Bildermacher nie erstellen konnte, weil sein Werk so heterogen und markant zugleich ist, verdichtet sich beim Lesen des Buches auf angenehme Art. Dabei nimmt das gelieferte Detailwissen nichts von der Faszination für den Regisseur und seine Filme. Es wird im Gegenteil nur deutlich, daß die vielen Fäden um den Katholiken, Kontrollfreak und Schelm, den Film-Maniac und Genre-Surfer von Trier niemals zu einem großen Faden zusammenlaufen werden, an dem sich die Analyse entlanghangeln könnte.
Markus Sailer

Achim Forst: Breaking the Dreams - Das Kino des Lars von Trier. Schüren Presseverlag, 208 Seiten, 28 DM.

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