Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
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Anarchie mit Alpenblick

"Die Siebtelbauern" macht Lust auf Heimatfilm

Im Heimatfilm geht es immer ums Ganze: Leben und Tod, Freiheit und Ter- ritorien, um Schuld und Sühne oder um die Unmöglichkeit, als Außenseiter in den engen Machtstrukturen einer "gottgegebenen" Ordnung zu überleben. Darum sind Wilderer und ledige Mütter immer die Loser. Das ist ganz ähnlich wie im Western. Angesiedelt in der Vergangenheit und an einem Ort, an dem sich nichts ereignen kann außer dem (bildlichen) Kampf ums Überleben, lassen sich Mythen über die grundlegenden Konflikte menschlichen Daseins am besten propagieren. So sind denn auch die Blut-und-Boden-Filme der Nachkriegszeit mit ihrer gnadenlosen Verkitschung einer heilen Natur und der brutalen Verdrängung äußerer Einflüsse auch heute noch unerträglich, weil sie auf so hemmungslose Art an der Rekonstitution einer unbefleckten und wohlgeordneten Heimat arbeiteten.

Stefan Ruzowitzky, der vor zwei Jahren mit "Tempo" für Aufsehen sorgte, präsentiert nun einen Heimatfilm, der die Jenseitigkeit von Zeit und Ort des Alpenwesterns für eine gänzlich unreaktionäre und spannende Geschichte der Emanzipation aus einer knöchernen Geschlechter- und Klassenordnung nutzt. Die "Siebtelbauern", das sind sieben Mägde und Knechte in einem österreichischen Bergdorf der 20er Jahre, deren Bauer eines Morgens mit aufgeschlitzter Kehle vor dem Haus gefunden wird. Wie sich herausstellt, hat ihr Herr sie gegen alle Regeln der Dorfhierarchie als Alleinerben des Gehöfts vorgesehen - in der Hoffnung allerdings, sie mögen "sich totschlagen, wenn sie darum streiten".

"Wer gegen den Willen vom Herrgott lebt, der wird ein Unglück haben.", prophezeit denn auch der Großbauer Danninger (Ulrich Wildgruber), der es wie die andern Bauern aufs perfideste versteht, die "göttliche Ordnung" für eigene Machtinteressen zu gebrauchen. Gläubig sind sie alle, die Menschen im Dorf. Die Bauern, weil´s ihnen ihre Tyrranei ermöglicht, die andern, weil´s ihnen eingetrichtert wurde, damit die Angst vor Blitz und Donner auch groß genug bleibt. Doch die Emmy (Sophie Rois), der Lukas (Simon Schwarz) und der Severin (Lars Rudolph), die mutigsten der "Siebtelbauern", wissen, daß es auch anders sein kann. Sie spüren, daß die Anarchie auf ihrem Hof schon funktionieren kann, auch wenn erstmal alles komisch ist - wo gab´s das schließlich schon, daß eine Frau sich nichts mehr sagen lassen muß von einem Mann, daß keiner einfach Recht hat, weil er stärker ist, und daß am Sonntag alle Freizeit machen dürfen! Sie wissen auch, daß das Unheil, wenn es kommt, von Menschenhand gemacht sein wird. Doch die vielen köstlich illustrierten Momente, in denen die sieben ihre unfaßbare Freiheit auskosten, sind nur von kurzer Dauer. Das geht dann damit los, daß die Männer an ihr eigenes Haus pissen und die Frauen im Stall die Kühe umstellen "so wie sie´s gerne haben, dann geben sie mehr Milch!" Doch so sehr sich alle sieben abrackern, was mit dem Tod des Bauern begonnen hat, das wird bald deutlich, ist eine Tragödie, aus der es kein Entrinnen gibt.

"Die Siebtelbauern" ist ein Film mit Bildern, die so kalt und unbarmherzig wie die Bauern, so kraftvoll und so lichterfüllt sein können, wie die sieben Anarchisten. Ein Film des Widerstands und des Scheiterns - und ein Film über die, die trotzdem nicht aufgeben.
Markus Sailer

Die Siebtelbauern. Österreich 1998; Regie: Stefan Ruzowitzky; mit Sophie Rois, Simon Schwarz, Lars Rudolph u.a.

Kinostart: 4.3. Der Film läuft u.a. in den Kinos Hackesche Höfe, Broadway, Filmtheater am Friedrichshain und York.

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