Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
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Ödipus Ratz

Mit "Sitcom" scheitert ein Versuch, die Familien-Soap zu persiflieren

Jeder kennt ihn bis zum Abwinken, den Mythos der Kernfamilie, das von Freudianern wie konservativen Politikern gleichermaßen bevorzugte Instrument zur Verbreitung angestaubter Ideologien. Und dennoch - oder gerade deshalb - gibt es kaum einen Stoff, der sich hartnäckiger in den TV-Sendeplätzen für die vorabendliche Erbauung halten würde, als das ewige Auf und Ab familiärer Schicksalsschläge und Glücksmomente zahlloser in- und ausländischer Soap-Produktionen.

Erosionstendenzen sind zwar erkennbar. So wurde in der stets um Authentizität bemühten Lindenstraße vor langem schon Abschied genommen vom Bild stabiler Familiengefüge, aus denen heraus die Protagonisten agierten, und Al Bundys "schrecklich nette Familie" hat sich als gelungenste Verfilmung der Anti-Familie schon längst goldene Scheidungsurkunden verdient. Doch zeichnet sich gerade die Fernsehlandschaft dadurch aus, daß noch ein gutes Stück Dekonstruktionsarbeit zu leisten ist.

Ein Film wie "Sitcom" von Fran¨ois Ozon, der das Genre der Familien-Soap im Kino persiflieren will, dürfte da, so meint man, gerade recht kommen. Eine skurrile Sitcom-Persiflage sollte er sein, er wurde sogar auf dem letztjährigen Fantasy-Filmfest gezeigt. Doch was am Ende herauskam, wurde angesichts des hohen Potentials, das in der Geschichte steckt, eher zum Negativbeispiel für die ödipale Konstruktion filmischer Tragödien als zur originellen Untergrabung der Familien-Sitcom mit eigenen Mitteln.

Dabei ist die Handlung schön schräg ausgedacht. Seitdem der Hausherr einer wohlsituierten Bürgerfamilie eine Ratte (?) mit nach Hause brachte, steht dort das Familiengefüge kopf. Das brave Söhnchen entdeckt seine schwule Seite und feiert Orgien im Jugendzimmer. Die lebensmüde Tochter stürzt sich aus dem Fenster, um in der Folge vom Rollstuhl aus ihren Freund mit langweiligen S/M-Spielchen zu drangsalieren, während eine vor Mutterliebe platzende Mama ihren Sohn zum Inzest verführt, in der Überzeugung, ihn so von seiner Homosexualität zu "heilen".

In ihrer Inszenierung frustrierend plump und platt-ödipal, verlieren diese Wirrnisse leider jegliche Spannung und allen Witz, der darin stecken könnte. Zu allem Überfluß entpuppt sich schließlich der phrasendreschende und stets im Hintergrund bleibende Papa als Wurzel allen Übels, mutiert zur Riesenratte (!) und darf von seinen Angehörigen geschlachtet werden. Da hat die "Komödie jenseits aller Tabus", wie sie im Presseheft beworben wird, wohl ein Tabu zuviel gebrochen: Keine Langeweile im Kino!
Markus Sailer

Sitcom. F 1998; Regie: Fran¨ois Ozon; mit Evelyne Dandry, Marina de Van, Adrien De Van, Fran¨ois Marthouret u.a.

Kinostart: 23.3. "Sitcom" läuft unter anderem in den Kinos Filmkunst 66 und Blow Up.

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