Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Freie Radikale

Wolfgang Krause, treibender Kopf der Galerie "o zwei", arbeitet mehr als Laborant, denn als Künstler im herkömmlichen Sinne. Dabei extrahiert sich seine Kunst aus der gemeinsamen Arbeit mit anderen und kommt als eine Art Freifeldversuch im öffentlichen Raum durch zahlreiche Projekte zur Geltung. In den zehn Nachwendejahren sind es nunmehr über 200 Arbeiten mit fast 700 Künstlern, sowohl internationaler als auch regionaler Bedeutung und Herkunft. Die Betonung der Arbeiten liegt mehr auf der künstlerischen Darstellung als der gesellschaftlichen, impliziert diese aber durch die Form der Präsentation. Das 1991 initiierte Projekt "kunst-raum-straße" veranschaulicht das am deutlichsten: Ob bildende Kunst, Klang oder Performance - das Medium ist nur das Mittel zum Zweck des inhaltlichen Transportes in die öffentliche Diskussion.

Die Fluten-Reihe oder das jährlich stattfindende Großprojekt "nachtbogen", Kooperationen mit der Volksbühne, etwa bei "Amorphic Robot Works" von Chico MacMurtrie oder Staalplaat-Cocktail verdeutlichen die Bandbreite, auf der "o zwei" initialisiert.

"o zwei" ist gleich reiner Sauerstoff, beste Atemluft - die aber der Reaktion und Umwandlung durch andere Gase ausgesetzt sind. Dahingegenen steht "o zwei" auch für zehn Jahre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit, trotz der aktuellen Entscheidung des Kulturamtes Prenzlauer Berg, die Förderung für 1999 einzustellen. "Die freien Träger befinden sich immer im freien Fall", so Wolfgang Krause. Gute Arbeit leistet "o zwei" trotzdem oder gerade deshalb.

"o zwei" als Molekül gesehen bedeutet "freie Radikale". Der Stützpunkt in der nunmehr verbleibenden Minizelle der Oderberger Straße 2 dient als Rückzugsort und zur Sammlung für neue Energien des ältesten freien Kunstprojektes in Prenzlauer Berg. Andere Mitstreiter haben ihr Notquartier in den Räumen der ehemaligen Schule in der Auguststraße 21 aufgeschlagen. "o zwei" wird auch in Zukunft für frische Luft in der von Großmolekülen beherrschten Kunst- und Kulturszene stehen.
stephan eßwein

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