Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Neubeginn durch Entfesselung

Das Bulgarische Kulturinstitut in Berlin

Sie singt ohne Worte, improvisiert eine schillernde Melodie. Die Eingangshalle ist in gedämpftes Licht getaucht und die Künstlerin steht mitten im Publikum. Sie nennt sich Ortrun Blase und zaubert jetzt ein dickes, rotes Wollknäul aus ihrer Tasche hervor. Bedächtig wickelt sie den Faden ab, schlängelt sich singend zwischen den verdutzten Zuschauern hindurch. Die stehen perplex, lassen sich widerstandslos umspinnen. Nur einer entwindet sich den Umgarnungsversuchen, die anderen lachen erleichtert: stimmt, so geht es ja auch. Der Faden ist zu Ende und die Musik verstummt. Jetzt beginnt die eigentliche Veranstaltung: Die Entfesselung. Es dauert ein Weilchen, bevor sich auch der letzte von Knoten, Schlingen und Stricken befreit hat und alle wieder in hellem Licht stehen.

Mit dieser Performance namens "Entfesselte Bulgaren" eröffnete das Bulgarische Kulturinstitut Anfang Februar die Ausstellung "Transpolare IV" mit den Bildern von Ortrun Blase. Ihre grellfarbigen Werke sind künstlerischer Ausdruck des sich Bewegenden, des Aufquellens, aber auch des Unbestimmten, das jedem Neuanfang anhaftet. Bis zum 5. März sind sie noch zu sehen. Außerdem hängt in den Nebenräumen des Instituts eine nicht minder bewegende Fotodokumentation der "Zweiten Bulgarischen Wende".

Kontinuität nach der "Zweiten Wende"

Die erste Wende hatte im November 1989 mit dem Sturz des sozialistischen Regierungschefs Todor Schiwkow stattgefunden. Die ersten freien Wahlen gewann die Demokratische Partei. Die von ihr gebildete Regierung wurde allerdings bereits nach neun Monaten wieder abgesetzt. Nach einer Zeit der Übergangsregierungen gewann 1994 die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) die Wahlen. Seitdem verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage Bulgariens zunehmend, bis es im Winter 1996 zu Demonstrationen und Streiks kam und im Januar 1997 erneut ein demokratisches System eingerichtet wurde.

Diese "Zweite Wende" hat jetzt noch Nachwirkungen auf das Bulgarische Kulturinstitut in Berlin: hier sind seit Januar diesen Jahres mit einem neuen Institutsleiter neue Zeiten angebrochen. Der heißt Christo Bakalski, hat erstmal die Wände neu streichen lassen und entschuldigt sich für sein noch nicht ganz perfekt eingerichtetes Büro.

Das Bulgarische Kulturinstitut entstand vor über 30 Jahren und hatte bis vor der Wende, als es noch Unter den Linden zu finden war, einen Laden, der Liebhaber besonders wegen seiner Schallplattenauswahl anzog. Seit 1989 kennt das Institut keine Ruhe mehr: allein in den letzten sieben Jahren gab es sieben verschiedene bulgarische Kulturminister - und deshalb auch unterschiedliche Programmaufträge und Leiter des Instituts in Berlin.

Austausch durch Kultur

Christo Bakalski hofft nun, daß jetzt endlich ein wenig Kontinuität einkehren wird, und außerdem könnten sie jetzt selber entscheiden, wie sie das Programm gestalten wollen. Noch steht das Konzept nicht auf dem Papier, aber an konkreten Vorstellungen herrscht kein Mangel. Das Institut hat zwei Hauptanliegen: erstens soll es Bulgarien in Berlin bekannter machen. Denn das, so der zweite Wunsch, möge einen regen Austausch in Gang setzten: Das Institut soll nämlich zugleich eine Begegnungsstätte sein. Deshalb ist auch hier (ähnlich wie im Polnischen Kulturinstitut in Berlin, siehe scheinschlag 1/99) geplant, die Internationalität groß zu schreiben: es sollen Künstler aus osteuropäischen und anderen Ländern eingeladen werden, so wie auch eine Zusammenarbeit mit anderen Berliner Kulturinstituten angedacht ist. Da ist also vieles möglich - unter der Bedingung, daß die Mittel es zulassen. Das Bulgarische Institut muß mit vier Mitarbeitern auskommen (früher waren es einmal 20), und die Kapazitäten ermöglichen es im Moment nicht einmal, daß die frühere Bibliothek wieder geöffnet werden kann. Vorher muß noch viel über die Finanzierung nachgedacht werden. Man will unter anderem Kontakte zu Sponsoren knüpfen.

Trotz dieser Unsicherheiten steht einiges schon fest: Im März wird Bulgarien der Länderschwerpunkt der Leipziger Buchmesse sein, dazu wird es eine Lesung mit Angelika Schrobssdorf geben, die in ihrem Werk bulgarische Themen verarbeitet hat. Weitere Ausstellungen mit dem Berliner Künstler Peter Neuhaus und der Malerin Eva David aus Paris stehen für Frühjahr und Sommer in Aussicht. Und: Dienstags wird der Dokumentarfilmabend sein - vielleicht ein Treff für weitere Entfesselungen und neue Kontaktknoten.
Milena Büchs

Bulgarisches Kulturinstitut, Leipziger Str. 114-115, 10117 Berlin, fon 2299527, Ausstellung: Mo. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, bis 5. März.

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  Ausgabe 02 - 1999