Ausgabe 02 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Schreibste auch selbst?

"Der Haupterfolg der Arbeit ist die Verhinderung des Müßiggangs der gemeinen Naturen, auch z.B. der Beamten, Kaufleute usw. Der Haupteinwand gegen den Sozialismus ist, daß er den gemeinen Naturen den Müßiggang schaffen will. Der müßige Gemeine fällt sich und der Welt zur Last. Man nennt heute diese Tatsache, etwas unehrlich, den «Segen der Arbeit´." (Nietzsche)

Dieser Segen hat nun auch mich erfaßt. Vierzig Stunden die Woche finanziert durch denn Sozialfond der EU. Ob das eine gute Sache ist, bzw. «mir gut tun wird´, wie sog. Freunde hämisch behaupten, kann ich noch nicht sagen.

Zu kreativen Äußerungen bin ich jedoch nicht mehr fähig, und so präsentiere ich - als einen Abgesang auf bessere Tage - den Text meines lieben Kollegen Andreas Scheffler, und sage: So gings mir auch. Damals konnte ich noch schreiben. (hd)

Was soll ein Autor ohne Auftrag mit dem langen Tag anfangen? Ñ Zunächst einmal lange schlafen. Dann ausgiebig die Zeitung lesen und anschließend überlegen, was Nützliches im Haushalt zu erledigen wäre. Es ist mir unverständlich, wie ein Autor ohne Auftrag eine verkommene Wohnung haben kann. Die Bettwäsche wäre mal wieder dran. Bettwäsche ist gut, macht viel Arbeit: Abziehen, in die Maschine, Ökosack füllen, Weichspüler dazu und dann den Schnellwaschgang an, damit ich die Wäsche bald aufhängen kann. In der Zwischenzeit Betten neu beziehen. Das dauert lange, aber nicht lange genug. Ich hole mir Wattestäbchen, um meine Ohren zu reinigen. Auf der Packung steht, man soll sie nicht in den Gehörgang einführen. Was soll ich denn sonst damit machen? Da können sie ja gleich auf die Packung schreiben, daß die Dinger eigentlich nur zum Reinigen der Computertastatur gedacht sind.

Und wie entsteht eigentlich Ohrenschmalz? Viel ist geschrieben worden über alle möglichen Ausscheidungsprodukte, nichts aber über Ohrenschmalz. Also dann: Weil ich verdreckte Ohren hab, nehm ich den kleinen Wattestab. Ich schieb ihn mir ins Haupt und prokel daß es staubt. Du ekelhaftes Ohrenschmalz. jetzt hab ich dich für heut vom Hals.

Kreative Arbeit, die nichts einbringt. Aber es ist genügend Zeit vergangen. Ich kann die Wäsche aufhängen.

Anschließend schneide ich mir die Finger- und Fußnägel. Keine leichte Sache, wenn man es jeden Tag macht. Ich schnippe die geringe Ausbeute aus dem Fenster und ärgere mich über solche Verschwendung eines natürlichen, ständig nachwachsenden Stoffes. Könnte man aus den Nägeln nicht Kämme schmelzen?

Jetzt ist es an der Zeit, neues Bier zu kaufen, was vom Zeitvertreib her wenig bringt, weil der Laden gleich nebenan liegt. Immerhin zehn Minuten.

Manche werden sagen, ich könnte doch ein Buch lesen. - Liebend gern, aber den neuesten Stephen King habe ich schon durch.

Ich mache mir noch ein Bier auf, zünde mir eine Zigarette an und sehe aus dem Fenster. Aufgepaßt! Zu häufig sollte ich mich nicht am Fenster sehen lassen. Sonst denken alle, ich hätte nichts zu tun. Ich könnte die Fenster putzen. Keine schöne Arbeit. Dann rasiere ich mich lieber. Es gibt Menschen, die müssen sich zweimal täglich rasieren, aber die haben meistens auch einen Job. Unsereins, der nichts zu tun hat, macht sich schon lächerlich, wenn er alle zwei Tage an sich herumschabt. Statt dessen Fernsehn: Fliege, Thema: Mein Mann hat Fußpilz. Zum Kotzen. Das Thema aus SAT 1: Warzen besprechen. Tut mir leid, keine Zeit; ich hab ne Besprechung mit meiner Warze. O Gottogott. Ist noch Goldbrand da? - Ja, aber gesund ist das nicht.

Allmählich entgleitet mir die Tagesplanung. Ein Gedicht über Fußpilz? - Fällt mir nichts zu ein, hab ich noch nie gehabt. Schuppen hab ich, aber da will ich nichts drüber schreiben. Für wen auch? Vielleicht ein Mittagsschläfchen? Aber ich bin nicht müde. Noch einen Goldbrand, dann geht es möglicherweise. Ach Mist. Aber so ist es doch: Den Leuten keine Aufträge erteilen, keine Arbeit geben und sich dann wundern, daß sie saufen. Was soll ein Autor ohne Auftrag den ganzen Tag machen? Joggen? - Sinnlos. Telefonieren? - Kost Geld. Sich einen Job suchen? - Was denn!? Denken, ja den ganzen Tag denken bis zum Abwinken. So wird es Abend. Ich nehme mir das sechste Bier und die 32. Zigarette und denke: Die Ärzte wissen auch nicht alles.
Andreas Scheffler

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