Ausgabe 01 - 1999berliner stadtzeitung
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Das Jüdische Museum

Vor zehn Jahren, kurz vor dem Mauerfall, gewann Daniel Libeskind den Wettbewerb für das Jüdische Museum, am 22. Januar wurde es offiziell fertiggestellt. Das Barockgebäude des Berlin Museums in der Lindenstraße (Kreuzberg) sollte durch eine Jüdische Abteilung erweitert werden, in der die jüdische Geschichte als Teil der Berliner Geschichte dargestellt werden sollte.

Libeskinds Entwurf war radikal: ein Zickzackbau mit geneigten Wänden, der von einem geradlinigem Raum durchzogen wird, in dem sich überhaupt nichts befindet. Dieser gewaltige Leerraum (Void) ist weder begehbar noch vollkommen einsehbar und steht für die traumatische Abwesenheit der jüdischen Kultur Berlins nach ihrer Vernichtung im Holocaust. Der zinkverkleidete Neubau steht isoliert, hat aber keinen eigenen Eingang; unterirdisch ist er mit dem benachbarten Altbau verbunden.

Doch das Tauziehen mehrerer Jahrzehnte um den Bau eines solchen Museums war mit dem Wettbewerbsentscheid nicht zu Ende. Als endlich die Gelder zur Verfügung standen (die geneigten Außenwänden waren inzwischen gerade geworden, vieles andere am Konzept verändert) und der Rohbau wuchs, entfachte sich ein weiterer Streit: Ist der Neubau tatsächlich nur eine Erweiterung des benachbarten Barockgebäudes und das neue Jüdische Museum nur eine Abteilung des Berlin Museums? Der ausdrucksstarke Bau fordere Unabhängigkeit, so das Argument. Die bekam er dann auch. Seit dem 1. Januar 1999 arbeitet das Jüdische Museum Berlin als selbständige Stiftung. Das Gebäude wird man aber weiterhin durch den Barockbau des Berlin Museums betreten: Die Architektur läßt die Verknüpfung beider Gebäude, beider Museen und der nicht auseinanderzudenkenden deutsch-jüdischen Vergangenheit nicht so leicht auflösen.

Das Museum ist fertiggestellt, aber noch nicht richtig eröffnet: Im Rahmen von Führungen kann man ein leeres Museum besichtigen. Die Ausstellung läßt noch bis zur offiziellen Eröffnung im Oktober 2000 auf sich warten. Im Museum werden neben Ausstellungen eine Bibliothek oder vielleicht ein öffentlich zugängliches Archiv von Steven Spielbergs Shoa Foundation (mit tausenden Filmaufzeichnungen von Zeitzeugenberichten) intensive Möglichkeiten der Begegnung mit einer Kultur und ihrer Zerstörung eröffnen.

Doch erst einmal nur weiße Wände und die Frage, was das Museum über die Funktion als architektonisches Weltereignis hinaus für uns Berliner bedeutet.

Guido Rörick

Jüdisches Museum, Lindenstr. 9-14, Kreuzberg. Ab 5. Februar nur mit Führung zu besichtigen: freitags um 15 Uhr(Deutsch), samstags um 13 Uhr (Deutsch) und 13.30 Uhr (Englisch) und sonntags 11 Uhr (Deutsch) und 11.30 Uhr (Englisch). Die Führungen finden nur mit telefonischer Anmeldung statt. fon 28 39 74 44. Preis 8/5 DM.

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