Ausgabe 20 - 1998berliner stadtzeitung
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Gruftis mit Glatzen

Rechtsextremisten versuchen, die Grufti-Szene zu unterwandern

"Skinheadkonzert von der Polizei wegen Zeigen des Hitlergrußes oder Naziparolen aufgelöst " - solche Meldungen verwundern inzwischen kaum noch jemanden. Doch die Musikvorlieben der Rechten werden zu Unrecht noch immer zwischen Skingedröhn und Volksmusik eingeordnet. Dies machte der Spex-Autor und Mitarbeiter des Düsseldorfer Instituts für Sprache und Sozialforschung (DISS), Alfred Schobert, auf zwei Veranstaltungen in Berlin deutlich, die die Gruppen "Venceremos" und "Gruftis gegen Rechts" organisierten. Das leicht ironische Bekenntnis des früheren Neonazis und heutigen Mitglieds der Freiheitlichen Volkspartei Österreich (FPÖ) Jürgen Hatzenbichler "Pardon, ich höre Popmusik" löste im rechtsextremen Strategieorgan "Nation & Europa" vor Jahren noch Befremden aus. Mehr Erfolg hatte Hatzenbichlers Kollege Roland Bubik in der neurechten Wochenzeitung "Junge Freiheit" (jF), die sich die Abgrenzung sowohl zu den Traditionsrechten, als auch zu den militanten Jungnazis auf die Fahnen geschrieben hat. Auf ihrer Suche nach der idealen Musik für den postmodernen Rechten wurde die Redaktion im Darkwave-Spektrum fündig. Über einen Nachwuchswettbewerb wurde für das jF-Musikressort eine auf die Gruftiszene spezialisierte Jungautorin gewonnen. Doch die "Operation Darkwave" (Schobert) währte nicht lange. Die Szeneschreiberin verließ die Redaktion bald und wendet sich mittlerweile öffentlich gegen rechte Infiltrationsversuche ihrer Musikszene.

Die sind kein Zufall. Ein verklärtes Mittelalterbild und seine Neigung zu Mystizismus und Mythologie können schnell in Aufklärungsfeindlichkeit, ja Irrationalismus umschlagen. Auf der symbolischen Ebene bietet eine Enttabuisierung, teilweise gar Rehabilitierung von Naziemblemen eine offene Flanke nach Rechts, so Darkwave-Experte Schobert. Zudem suchen Musiker der Szene-Kultbands Death In June, Forthcoming Fire, Allerseelen, Sol Invectus und Blood Axis nicht nur in der Musik den Schulterschluß mit Rechtsaußen. So schwärmte Death In June-Frontmann Douglas Pearce von den faschistischen kroatischen HOS-Milizen, dier er während des Bürgerkrieges besuchte. Josef Klumb von Forthcoming Fire grüßt den antisemitischen Verschwörungstheoretiker Jan van Helsing auf dem Plattencover.

Sooft Schobert auch betont, daß er keinesfalls die gesamte Gruftiszene in die rechte Ecke stellen will - es wird ihm doch immer wieder vorgeworfen. Außerdem nehmen selbst eher linke Grufti-Fanzines wie das "Maul" antifaschistische KritikerInnen, weil (igitt) politisch, nicht ins Blatt. Die Macher des Berliner "Darkszine" gar kehrten mit ihrer Unterstellung, AntifaschistInnen wollen alle Gruftis vergasen, eher ihre eigenen Vernichtungsphantasien an die Oberfläche.

Lange standen Darkwave-Bands wie "Das Ich" und "Deine Lakaien" mit ihren antifaschistischen Statements in der Szene auf verlorenem Posten. Doch jetzt könte sich das ändern. Unter dem Label "Gruftis gegen Rechts" wollen DJs und Konzertveranstalter aus Bremen, Berlin, Mannheim und Heidelberg die braunen Geister in ihren eigenen Reihen bannen. In einer informativen Broschüre rufen sie DJs, Fanzines und Labels zu einer klaren Positionierung und dem Bruch mit einer sich unpolitisch gebenden Toleranz gegenüber rechten Tendenzen in der eigenen Szene auf.

Peter Nowak

Kontaktadresse: Gruftis gegen Rechts, Music For a New Society, c/o St.Pauli Str. 10/12, 28230 Bremen
e mail: feb@uni bremen.de
Die Broschüre steht auch unter:
t online.de/home.F.Bernhard

Die Gruftis gegen Rechts sammeln Spenden für ihre Arbeit: Spendenkonto:
Sparkasse Bremen BLZ: 29050101, Kontonr.: 46224445

Literaturempfehlungen:
Schobert Alfred: Kreuz, Totenkopf und Gruft. Darkwave und Neue Rechte in: Jäger, Margret/Wichert, Frank (Hg.): Rassismus und Biopolitik.
Werkstattberichte. DISS Forschungsbericht 1996, Duisburg 1996, S.67-74
ders.: Geheimnis und Gemeinschaft. Die Dark Wave Szene als Operationsgebiet neurechter Kulturstrategie in: Cleve, Gabriele u.a. (Hg.): Wissenschaft
Macht Politik Intervention in: Aktuelle gesellschaftliche Diskurse.
Siegfried Jäger zum 60. Geburtstag. Münster 1997, S. 384-395

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