Ausgabe 18 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Freiwillig in den Knast

Ehrenamtliche Helfer des "Freie Hilfe Berlin" e.V.

Sinn und Zweck des Justizvollzuges ist, neben einer Bestrafung begangener Delikte und dem Schutz der Öffentlichkeit, die Befähigung des Verurteilten, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen", wie es im ¤ 2 des Strafvollzugsgesetzes heißt.

Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen Häftlinge jedoch auf ihr zukünftiges Leben in Freiheit vorbereitet werden. Und auch während der Haftzeit benötigen sie meist Hilfe, um mit den verschiedenen Belastungen des Vollzuges umgehen zu können: Jobverlust, Freunde, die sich abwenden, die Familie, die vielleicht auseinanderbricht.

Aufgrund von Einsparungen müssen sich jedoch immer weniger Betreuer mit einer zunehmenden Anzahl von Inhaftierten auseinandersetzen. Sich auf die individuellen emotionalen Probleme der Straffälligen einzustellen, ist fast unmöglich. Bei dieser Personalsituation wäre das Betreuungspersonal völlig überfordert.

Die "Freie Hilfe Berlin" (FHB) bemüht sich deshalb, ehrenamtliche, engagierte Menschen für die Vollzugshilfe zu gewinnen und anzuleiten. Sie sollen die Inhaftierten während ihrer Haft begleiten und dabei seelische Unterstützung, aber auch konkrete Hilfestellung zur Bewältigung verschiedener Probleme anbieten. Gemäß dem Vorsatz, Straffällige auf das Leben nach der Haft vorzubereiten, gilt hierbei das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe".

Hilfe erst nach Wartezeiten

Um diese Unterstützung so effektiv wie möglich gestalten zu können, sollte die Beziehung zwischen Vollzugshelfer und Häftling im günstigsten Fall bereits während der Untersuchungshaft beginnen. Für Inhaftierte, die Vollzugshilfe beantragen, ergeben sich jedoch erst einmal Wartezeiten von durchschnittlich neun bis zwölf Monaten, da im Verhältnis zu den Anträgen eine nur ungenügende Zahl an HelferInnen verfügbar ist.

Menschen, die sich für diese Tätigkeit interessieren, werden in einführenden Kursen neben den Rechten, Pflichten und Möglichkeiten eines Vollzugshelfers Überblicke über das Strafvollzugsrecht, unterschiedliche Haftformen und unterstützende Gesprächsführung vermittelt. Diese Einführung kann gleichzeitig als Bedenkzeit benutzt werden.

Wer sich danach für die Arbeit als Vollzugshelfer entscheidet, sucht sich aus einer Kartei einen inhaftierten Menschen, von dem er meint, gut mit ihm in Kontakt treten zu können. Häftlinge, die einen Antrag auf Vollzugshilfe stellen, werden nämlich von der FHB aufgefordert, ein Persönlichkeits- und Situationsprofil anzufertigen. Darin sollen Informationen enthalten sein wie Alter, Beruf, Hobbys, aber auch Inhaftierungsgrund, Erwartungen an die Vollzugshilfe sowie etwaige konkrete Probleme und so weiter. Obwohl keine persönlichen Daten angegeben werden müssen, möchte die FHB dennoch zu deren Bereitstellung ermuntern, denn aufgrund dieser Daten entscheidet ein Helfer mit Unterstützung eines Projektkoordinators, mit welchem Menschen er wahrscheinlich zusammenarbeiten kann. Die endgültige Bestätigung des Helfers allerdings obliegt der Vollzugsanstalt.

Kennenlernen in zwei Stunden

Wird der Antrag bewilligt, folgt der spannende Moment des ersten Besuches. Der Weg durch das Gefängnistor, durch immer neue, verschlossene Türen und dabei immer wieder Sicherheitskontrollen, Überprüfung der Papiere. Währenddessen beschäftigen einen Fragen, wie: "Was für ein Mensch erwartet mich? Wie sieht er aus? Nimmt er mich an?", bis man ihm im Besucherraum gegenübersitzt.

In der zweistündigen Besuchszeit haben Helfer und Inhaftierter Gelegenheit, einander kennenzulernen. Zeit, in der andere Insassen Familienprobleme besprechen müssen oder Zärtlichkeiten mit ihrem Partner auszutauschen versuchen.

Ob die Zusammenarbeit erfolgreich ist, hängt zu einem großen Teil davon ab, inwieweit die HelferInnen in der Lage sind, den Insassen als Mensch zu akzeptieren und seine Darstellungen anzuerkennen. Fundiertes soziales Wissen oder erlernte pädagogische Fähigkeiten sind dabei nicht so wichtig. Was man einbringt, sind persönliche Stärken und der Vertrauensbonus, den man aufweist: Als ehrenamtlicher Helfer kann man nicht gezwungen werden, über den Inhalt der Gespräche auszusagen.

Mit den verschiedenen Belastungen, die sich aus der Arbeit als Vollzugshelfer ergeben, wird man nicht alleingelassen. Burn-Out-Syndrom, fehlender Abstand zu Problemen des Häftlings, aber auch Unverständnis seitens des eigenen Umfeldes sind Belastungen, die in Helferkonferenzen besprochen werden können. Für schwerere oder persönliche Probleme oder Verweis auf weiterführende Hilfseinrichtungen stehen die Projektkoordinatoren als Ansprechpartner zur Verfügung.

Den Problemen und Schwierigkeiten zum Trotz scheint die Tätigkeit als Vollzugshelfer auch für die HelferInnen lohnend zu sein. Die Abbruchquote der Betreuungsverhältnisse liegt bei gerade zehn Prozent.

Andreas Hartmann II

Die "Freie Hilfe Berlin" e.V. ist erreichbar unter fon: 2385472 oder 4496742 (Frau Jost)

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 18 - 1998