Ausgabe 18 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Gibt´s nichts Neues?

Am Samstag dann Party. Mache die Beobachtung, daß "wir um 30" ein neues Schönheitsideal haben: Barbie und Ken. Und daß auf solchen Festen regelmäßig eine Lesbe attraktivste Frau des Abends ist. Das geht nicht gut. Das geht nicht gut. Das geht keinesfalls gut.
Auf der Heimfahrt in der U-Bahn erklärt ein Typ seiner Freundin den Film, den die gerade gesehen haben. Und gegenüber liest jemand den Tagesspitzel von morgen: "Rußland will Honecker wegen illegaler Einreise ausweisen". Da müssen sich unsere Regierenden was einfallen lassen, sonst haben sie ihn am Hals.
"Das kann doch nicht stimmen", bemerkt die aufmerksame Leserin, "der ist doch schon lange tot."
Er & Sie stehen vor der Wohnungstür. Sie klingelt. Nichts geschieht. Sie klingelt erneut. Keine Reaktion. Da betätigt er den Klingelknopf. Woraufhin sie ihn fragt: "Meinst du, daß du besser klingeln kannst als ich?" Er antwortet nicht (was soll man da auch drauf sagen), er zieht nur eine verlegene Schnute. Aber ich sehe, daß er davon überzeugt ist, daß er besser klingelt als sie. Der Chauvinismus ist entlarvt, und nichts ändert sich. Nur die beiden blicken sich an und lachen über seinen Defekt, an dem man ja eh nichts ändern kann.
Kurz darauf, in einem Werbespot, fallen einer sympathisch-unperfekten jungen Frau in einem Café die Tampons aus der Tasche. Ho, ho. Wir alle kennen diese peinliche Situation. Ich rechne mit dem Schlimmsten, denn die Welt der Werbe-Filmchen ist solche Provokationen nicht gewohnt.
Aber nein! Alles geht noch einmal gut aus. Es gibt ein großes Hallo und alle haben gelacht (während sie ihre Monatshygiene schnell wieder einpackt), und dazu spielt diese fröhliche, schwungvolle Musik. Es ist alles so natürlich. Ich bin begeistert.
"Das ist doch nicht die Realität."
Stimmt.

Eine 3/4 Stunde "Kultur in 3":
Neue Hobbys für die gutbürgerliche Ehefrau, die nicht nur dekorativ wirken möchte, werden vorgestellt, und dann geht's ganz lange um das Neueste aus dem Subventionstheater. Aktuell ist das, provozierend und kritisch und verströmt eine Aura von gepflegter Langeweile, die bei jahrzehntelanger Beamtenlebensform wohl nicht ausbleiben kann.

Historischer Exkurs:
1991: Der Spruch von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Die Frage lautet: Wie lange, bis alle hier so reich sind wie "drüben"? (Als ob es in Westdeutschland keine SozialhilfeempfängerInnen gäbe und Rentner, die sich Hundefutter aufbraten.) Drei Jahre? Fünf Jahre? Zehn Jahre?
Damals schrieb ich: "Schon die Frage ist falsch. Der Osten wird arm bleiben, weil die Menschen, die in diesem Land das Sagen haben, die Großaktionäre und Vorstandsvorsitzenden, das so wollen. (Bestenfalls ist es ihnen egal.) Weil die DDR ökonomisch sinnlos ist. Selbstverständlich auch ihre Bewohner. Weil es ein objektives Interesse an billigen Arbeitskräften gibt. Nicht zuletzt: Weil Kolonien arm sind und arm bleiben.
Und wer das nicht begreifen will, sollte einmal den Atlas aufschlagen: Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse ist auch in anderen Ländern eine Illusion: In Großbritanien ist der Süden reich und der Norden arm; in Italien ist der Norden reich und der Süden arm; in der Türkei ist der Westen reich und der Osten arm. Wie bei uns. Und so wird ´s bleiben.
Abgesehen davon ist es mir unbegreiflich, wie man sich nach einem Leben sehnen kann, wie es in den wohlhabenden Gegenden Westdeutschlands geführt wird. Einem Leben, bestehend aus Arbeit, Eigenheim und ein bißchen Video. In einer Gegend, die sauber und intakt ist, wo die Straßen täglich gefegt werden, weltberühmte Designer die Supermärkte ausstaffieren und wo es nur noch zwei Gesprächsthemen gibt: Einkaufen und den Beruf."
Heute seh ich das anders.

Hans Duschke

Bov Bjerg meint dazu:´91?! Ich glaube, Hans hat den Redaktionsschluß verschlafen.

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