Ausgabe 17 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Gegendarstellung oder Bring mir das Ohr von Philip Johnson

Die Ausstellung "Baustop.randstadt,-"

Früher war Berlin eine Stadt. Heute ist das "Neue Berlin" ein Standort, Regierungssitz, internationale Metropole, mindestens aber Dreh- und Angelpunkt zwischen Ost und West und Nord und Süd. Vor allem präsentiert sich Berlin als Unternehmen: Durch Rationalisierungen, Investitionen und Marketing soll eine erfolgreiche Bilanz erzielt werden, um endlich in der globalen Standortekonkurrenz mitmischen zu können. Ach ja, irgendwo wohnen da auch noch Menschen.

Die Ausstellung "Baustop.randstadt,-", die zur Zeit in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK) gezeigt wird, setzt sich damit auseinander und zielt gerade auf die Punkte, die in der offiziellen Berlin-Repräsentation ausgeblendet werden. Das "Neue Berlin" ist eben nicht nur glänzend, schick, glatt und sauber, sondern hat auch reichlich Dreck am Stiefel. Die soziale Spaltung der Stadt verfestigt sich immer mehr, alles, was anders ist als das "Normale", wird zunehmend ausgegrenzt. Bedrohungsszenarien werden so lange an die Wand gemalt, bis man tatsächlich vor Hütchenspielern oder der "Russenmafia" Angst hat oder tatsächlich glaubt, in Neukölln stünden tödliche Messerstechereien an der Tagesordnung. Der Ruf nach mehr Polizeivollmachten ist dann meist nicht weit. Derweil wird die Privatisierung des öffentlichen Raums weiter vorangetrieben. Als Grund werden immer wieder Sachzwänge angegeben, zum Beispiel die faktische Pleite des Senats - das ist nun mal so, da kann man nichts machen.

Kann man doch. Die Ausstellung thematisiert "aggressives, nicht-akkumulatives, städtisches Handeln", wie es im Untertitel heißt. Ihr ist zwar der (halbe) Spruch "Wenn Ausstellungen etwas verändern könnten, wären..." vorangestellt, doch die Tatsache daß "Baustop.randstadt,-" trotzdem realisiert wurde, zeigt die Hoffnung der Initiatoren, doch etwas bewirken zu können. Das Projekt wurde als argumentative Ausstellung zur sozialen Stadtentwicklung von mehreren künstlerisch und stadtpolitisch tätigen Gruppen und Einzelpersonen erarbeitet.

Auf 50 Stellwänden und vier Videoeinspielungen wird die schöne, heile Welt mit der Realität konfrontiert. Während Kriegsflüchtlinge in Massenunterkünften hausen müssen oder abgelehnte Asylbewerber monatelang in Abschiebeknästen auf ihre Abschiebung warten müssen, spielt die deutsche Kleinfamilie, die es leid ist, in einer Mietwohnung zu leben, in der Fernsehshow "Hausfieber" um ein Eigenheim im Grünen, damit der Junge endlich sein eigenes Musizierzimmer kriegt. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg stellt ein Flüchtlingswohnheim auch keine Wohnnutzung dar: Flüchtlinge wohnen nicht.

In einer Bilderhölle wird der Berlin-Imagewerbungsoverkill in Szene gesetzt. Ausführlich wird die Entführung der Blech-Werbestatue des Architekten Philip Johnson nachgezeichnet. Das abgesägte Ohr kam einige Tage später mit einem kryptischen Bekennerschreiben beim Tagesspiegel an. Täter und Tatmotive blieben bis heute im Dunkeln. Die gescheiterte Verleihung einer "Hanno-Klein-Gedenkmedaille" an Hans Kollhoff, Gerhard Merz und Klaus Biesenbach wird anhand der scheinschlag-Berichterstattung (14/95) dokumentiert. Als Leiter des Senatsreferats für besondere Investitionen hatte Hanno Klein sich für eine "Gründerzeit mit Markanz und Brutalität" ausgesprochen, bevor er 1991 durch eine Briefbombe getötet wurde.

Die Austellung ist äußerst textlastig und deshalb kaum zu bewältigen. Leider gerät die Sprache oft in einen linken Stadtsoziologen-Jargon, so daß wohl kaum Menschen erreicht werden, die nicht sowieso schon mit dem Thema befaßt sind.

Jens Sethmann

"Baustop.randstadt,-" läuft noch bis zum 11. Oktober, täglich 12 - 18.30 Uhr in der NGBK, Oranienstraße 25, und wird von einer Reihe von Diskussionsveranstaltungen zu Themen wie Ausgrenzung, Kulturbetrieb und Stadtumbau begleitet, die ab dem 12. September in der ehemaligen Markthalle "Berlin-Carré" am Alexanderplatz stattfindet. Am gleichen Ort ist vom 12. September bis zum 11. Oktober jeweils donnerstags bis sonntags (16- 20 Uhr) eine Videothek eingerichtet, in der man sich auf drei Monitoren 30 Videos ansehen kann - von "AK Kraak" bis "Züri brennt". Darüber hinaus zeigt das fsk-Kino (Segitzdamm 2 / Oranienplatz) vom 17. bis zum 30. September, jeweils um 18 Uhr, eine Filmreihe zum Thema Stadt und Raumaneignung.

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  Ausgabe 17 - 1998