Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Wolkenkratzer wackeln

Die Hochhausplanung am Alexanderplatz wird vorerst nur teilweise weiterverfolgt - und dadurch noch fragwürdiger

Das geplante "Hochhausgewitter" am Alexanderplatz droht an der Realität zu scheitern. Mehrere Investoren haben von dem Bau der Hochhauskomplexe Abstand genommen, weil offensichtlich kein Bedarf an weiteren Büroräumen besteht. Aus diesem Grund will der Senat den Bebauungsplan I-B4, mit dem konkretes Baurecht für die Planung von Hans Kollhoff und Helga Timmermann geschaffen werden soll, teilen. Bausenator Klemann (CDU) möchte damit erreichen, daß die noch bauwilligen Eigentümer im inneren Bereich des Alexanderplatzes schneller eine Baugenehmigung erhalten können. Kritiker der Hochhauspläne wie die Bündnisgrünen und die Bürgerinitiative Alexanderplatz sehen in der Teilung der Planung ein Eingeständnis für das Scheitern des Kollhoff-Entwurfs und fordern, die gesamte Planung zu stoppen.

Die 1994 beschlossene Kollhoff-Planung für den Alexanderplatz sah ursprünglich 13, dann zehn 150 Meter hohe Hochhäuser im Manhattan-Stil der dreißiger Jahre vor. Der Entwurf war ein Produkt der Planungseuphorie der ersten Nachwendezeit - die Rezession und der Zusammenbruch des Büroflächenmarktes haben diese Illusion mittlerweile nachhaltig zerstört. Mit der nun vorgesehenen Teilung des Bebauungsplans werden nur noch die Planungen für sechs Hochhäuser weiterverfolgt. Die Bearbeitung der anderen Baufelder wird für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt - ob sie überhaupt wieder aufgenommen wird, ist fraglich. Herausgenommen werden sollen die Bereiche beiderseits der nördlichen Karl-Liebknecht-Straße mit den Flächen von Gruner+Jahr (Berliner Verlag) und der TLG (Haus der Elektrotechnik) sowie der

Bereich südlich der S-Bahn um das ehemalige Gesundheitsministerium. Im weiterzuverfolgenden Bereich liegen die Projekte der Trigon/Deutsche Interhotel mit drei Hochhäusern als Ersatz für das heutige Forum-Hotel, der Hines-Gruppe auf der Ostecke des Platzes zwischen Hotel und Haus des Lehrers, das Hochhausprojekt der Kehrer-GbR anstelle des Hauses des Reisens, das DeGeWo-Projekt zwischen Alexanderstraße und S-Bahn sowie das Kaufhof-Warenhaus, dessen Eigentümer aber auch schon den Verzicht auf ein dort vorgesehenes Hochhaus signalisierte.

"Karikatur" wird durchgeboxt

Wenn der halbe Kollhoff-Entwurf gebaut werden sollte, würden sowohl der Kollhoffsche Gesamtplan als auch der heutige Baubestand des Alexanderplatzes zur "Karikatur", so die baupolitische Sprecherin der bündnisgrünen Abgeordnetenhausfraktion Rita Keil. Daher solle der Senat so konsequent sein, den ganzen Plan einzumotten. Die Senatsbauverwaltung möchte jedoch nach einem erfolgten Teilungsbeschluß den Teil-Bebauungsplan I-B4a in die nächste Stufe der Bürgerbeteiligung bringen und ihn bis Anfang 1999 zur sogenannten Planreife führen, auf deren Grundlage schon Baugenehmigungen erteilt werden können.

Gegen ein solches Durchpauken des Plans spricht sich neben den Bündnisgrünen auch die Bürgerinitiative Alexanderplatz aus. Statt das Scheitern von Kollhoffs Gesamtkonzeption zu kaschieren, muß nun eine Lösung gefunden werden, die den baulichen Bestand des Alex respektiert und vor allem die Wünsche der Bürger mit einbezieht. Im bisherigen Planungsverfahren sind die Einwände der Anwohner, die zum größten Teil die Hochhauspläne ablehnen, nicht berücksichtigt worden. Nach dem Kollhoff-Entwurf werden nur die Vorkriegsbauten wie Alexanderhaus und Berolinahaus erhalten, die Gebäude aus der DDR-Zeit werden mit Ausnahme des Hauses des Lehrers und der Kongreßhalle zum Abriß freigegeben. Damit erhielte der Alex ein völlig anderes Gesicht, seine Identität als "Platz des Ostens" und seine sozialräumlichen Strukturen wären getilgt.

Die bauhistorische Bedeutung und die zweifellos vorhandenen städtebaulichen Qualitäten des heutigen Platzes wurden schon in den letzten Jahren von verschiedensten Seiten durch ständig wiederholte Vorwürfe wie "unerträgliche Weite", "Betonwüste" oder "Vorhof zur Mongolei" in Verruf gebracht. Dabei wird allzugern vergessen, daß der heutige, teils tatsächlich erbärmliche Zustand des Alex auch durch die Kollhoff-Planung mitverursacht wurde: Weil das Damoklesschwert des Abrisses über den Gebäuden schwebt, sieht sich niemand veranlaßt, etwas in die Häuser zu investieren oder Zwischennutzungen zuzulassen. "Den Investoren ist der Platz im Grunde völlig egal", meint Dirk Kaden, Sprecher der Bürgerinitiative. Durch jahrelange Leerstände wie im "Alextreff" und dauernde weiträumige Baustellenabsperrungen wie um den Fernsehturm wird der Platz eben nicht belebter oder attraktiver.

Sofortmaßnahmen statt Bebauungsplan

Diese Defizite sind auch ohne Bebauungsplan zu beseitigen. Die Bürgerinitiative schlägt eine Reihe von Sofortmaßnahmen vor, die sich kurz- und mittelfristig mit relativ geringem baulichen und finanziellen Aufwand verwirklichen lassen. So sollen alle Stadtbahnbögen wieder genutzt und die Diskothek "Alextreff" reaktiviert werden. Auf der noch unbebauten östlichen Platzecke könnte eine temporäre kulturelle Nutzung installiert werden. Generell solle der Alex in Zukunft öfter Schauplatz

öffentlicher Veranstaltungen werden. Die überbreiten Straßen müssen zurückgebaut werden, um deren Trennwirkung zu beseitigen. Mit der Schaffung oberirdischer Querungsmöglichkeiten soll der gesamte Bereich fußgängerfreundlicher gestaltet und die Anbindung des Alexanderplatzes an die umliegenden Wohnviertel verbessert werden. Mit der in Bau befindlichen Straßenbahnlinie ist bereits ein erster Schritt zu einer besseren Vernetzung der öffentlichen Verkehrsmittel gemacht.

Um die längerfristigen Perspektiven des Alexanderplatzes zu erörtern, fordert die Bürgerinitiative, einen Planungsbeirat einzuberufen, in dem Vertreter von Senat und Bezirk, Gewerbetreibende, Investoren, Fachleute und nicht zuletzt Anwohner gemeinsam neue Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung des heutigen Alexanderplatzes erarbeiten. Darüber hinaus wäre die Einrichtung einer Betroffenenvertretung, wie sie in Sanierungsgebieten üblich ist, ein Beitrag zur Schaffung einer demokratischen Planungskultur, in der Bürgerbeteiligung nicht nur eine lästige Pflichtformalie im Bebauungsplanverfahren ist.

Jens Sethmann

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 15/16 - 1998