Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Shoppen und Kuscheln

Jazzvermarktung zwischen Buchdeckeln

Was haben Branford Marsalis, Nat Adderley, Archie Shepp, Dewey Redman und Clark Terry gemeinsam? - Sie sind schwarz, kommen aus Amerika und spielen Jazz. Außerdem waren sie alle irgendwann in Berlin zu Gast, liefen dort Jazzradiochef Christian Broecking vor die Linse und zieren jetzt als Illustrationen das Buch "Jazz in Berlin", das in der Reihe "Berlin kompakt" des Jaron Verlages erschienen ist. Was die genannten Musiker allerdings mit Berlin zu tun haben, bleibt schleierhaft. Der Untertitel "Wo man Jazz hören, spielen und kaufen kann" liefert einen Hinweis: "Jazz kaufen" bzw. "Jazz verkaufen", das ist wohl der Punkt. Wer Jazz zum massenkompatiblen Konsumgegenstand machen will - Herausgeber Broecking hat da mit seinem Jazzradio ja einige

Erfahrung - muß eben die gängigen Klischees bedienen: Jazz ist schwarz und kommt aus Amerika - das stimmt ja sogar irgendwie. Trotzdem ist es doch reichlich absurd, daß man sich in einem Buch über Jazz in Berlin, in dem Berliner Jazzprotagonisten von Till Brönner über Karlheinz Drechsel bis Helmut Brandt porträtiert werden, mit Bildern von amerikanischen Jazzstars begnügen muß. So hatte dieses Buch bei mir eigentlich schon nach dem ersten Durchblättern verschissen. Auch die Gestaltung macht da keinen Boden gut: Hinter dem matt-abwischbaren Paperbackeinband mit Clark Terry-Foto und Jazzradiowerbung verbirgt sich ein stocknüchternes Funktional-Layout mit dem Charme eines Baedeker oder DuMont.

Im Vorwort heißt es dann: "In Berlin ...können Sie mit Jazz frühstücken, brunchen, schoppen und shoppen, arbeiten, studieren, lesen, lehren und lernen, freizeiten, feiern, kuscheln und ruhen." Schoppen und shoppen! Aber nicht nur das mißlungene Wortspiel ist ärgerlich, sondern auch die "Verkaufsstrategie", die hier anklingt: Jazz als Lifestyle-Soundtrack. "Jazz ist Zahnärztemusik" hat eine Bekannte einmal zu mir gesagt und mich mit dieser Einschätzung ziemlich verwirrt und auch ein bißchen traurig gemacht - spätestens jetzt weiß ich, wie man auf sowas kommt.

Jazz, Jazz, Jazz - 14mal alleine im Vorwort. Bei allem Assoziationsreichtum des Wortes kann ich es dann doch schnell nicht mehr hören. "Jazz" als Markenartikel und Verkaufsargument. Daß man sich da nicht auf das schlüpfrige Parkett der Frage "What is Jazz?!" begibt, die Wolf Kampmann in seiner wöchentlichen Sendung auf Jazzradio aufwirft, kann nicht verwundern. Leider ist Kampmann einer der wenigen Moderatoren des aufstrebenden Senders, die keinen Beitrag zu diesem Buch beigesteuert haben.

Spannende Gedanken zum Jazzbegriff oder zur Sozialgeschichte dieser Musik, kritische Anmerkungen zur öffentlichen Jazzförderung, Hinweise auf die Durchlässigkeit von Jazz hin zu anderen Genres - das alles findet man höchstens zwischen den Zeilen der streckkenweise durchaus lesenswerten Porträts, die durchweg im etwas anstrengenden Plauderton des Formats Interview-minus-Fragen gehalten sind. Das ausführliche und anregende Interview von Broecking mit "Jazz-Papst" Joachim-Ernst Behrendt bildet hier die einzige rühmliche Ausnahme.

Sieht man von der Unterschlagung der jungen Ostberliner FIIB (Freie Initiative Improvisation Berlin) und der quicklebendigen Anorakszene mit Volker Schneemanns "algen"-Label einmal ab, bleibt als Kernstück des Buches ein recht kompetent zusammengestelltes Kompendium mit Informationen zu Festivals, Clubs, Plattenläden, Jamsessions, Lehrangeboten etc. Hier dürfte es für die meisten Jazzinteressierten die eine oder andere Entdeckung geben. Lediglich das Kapitel "Jazz zum Tanzen", in dem nur vier Clubs aufgeführt sind, macht schmerzlich bewußt, wie eng und rückwärtsgewandt der Jazzbegriff hier gefaßt wird.

Alles in allem liegt das Büchlein nicht völlig daneben und hat Jazzinteressierten die ein oder andere Entdeckung zu bieten.

Thomas Gläßer

Christian Broecking (Hrsg.),
Jazz in Berlin - Wo man Jazz hören, spielen und kaufen kann,
Jaron Verlag, Berlin 1998

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