Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
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Alles andere geht auch, aber es geht viel schwerer

Bewerbungstraining: Gespräch mit einem Dienstleister

Tatsächlich soll es Leute geben, die sich nie offiziell bewerben, die so reinrutschen in ihr Arbeitsleben. Bewunderung, Neid und Gratulation sei mit ihnen.

Wer sich hingegen schon einmal bewerben mußte, hat entweder in der Bibliothek oder im Buchladen schon vor den Büchern des Autorenduos Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader gestanden. Diese publizieren seit zehn Jahren Ratgeber für Bewerbungen aber auch Testknacker und Ähnliches, was der verzweifelte Kandidat für die Arbeitswelt zu benötigen scheint. Einen Schritt darüber hinaus geht nun das "Büro für Berufsstrategie", vor mittlerweile über sechs Jahren von Jürgen Hesse und Sabine Hartwig gegründet. Dieses bietet Bewerbungstraining und Orientierungshilfen für`s Berufsleben an. Mit Sabine Hartwig sprachen Ingrid Beerbaum und Sabine Schuster.

Können Sie die Leute einordnen, die zu Ihnen kommen oder: wer kommt auf keinen Fall?

Zuerst einmal arbeiten wir für jeden: Auszubildende und oberes Management. Trotzdem pegelt sich das ein. Das hat was damit zu tun, wen die Bücher und die Seminarthemen ansprechen. Der Schwerpunkt sitzt altersgruppenmäßig zwischen Anfang 30 und Mitte 40. Die Männer-Frauen-Verteilung hat sich ein bißchen verschoben. Es gab eine Zeit, da hatten wir mehr Frauen, das ist aber jetzt nicht mehr der Fall. Momentan ist das Verhältnis 50 zu 50.

Vielleicht trauen sich die Männer jetzt mehr?

Prinzipiell gibt es mehr Bereitschaft von Frauen, sich Rat zu holen. Aber vielleicht trauen sich die Männer jetzt wirklich mehr. Gleichzeitig brennt es ihnen auch mehr unter den Nägeln. Dadurch, daß es immer noch schwieriger geworden ist, haben vielleicht auch Männer erkannt, daß sie Unterstützung brauchen.

Diese Altersstruktur läßt darauf schließen, daß es mehr Leute sind, die schon im Berufsleben stehen. Das Buch "Neue Bewerbungsstrategien für Hochschulabsolventen" richtet sich dagegen an Berufsanfänger. Ich habe von Leuten gehört, daß sie nach dem Lesen deprimiert waren, als sie die Forderungen gelesen haben, die ein Berufsanfänger beispielsweise gar nicht erfüllen kann. Kommen dann diese Leute zu Ihnen?

Nachfrage: Warum genau waren diese Leute deprimiert?

Da steht dann: Sie bewerben sich. Aber wenig, wie man´s macht. Wenig praktischer Rat.

Das würde ich nicht so sehen. Ich glaube schon, daß die Bücher sehr handfesten Rat geben. Was ich aber ohne weiteres hinnehme, ist, daß eine starke Diskrepanz besteht zwischen dem, was man will, und dem, was der Arbeitsmarkt einem bietet. Daß man den Schutzraum Universität verlassen und ganz anders an die Sache rangehen muß: daß also nichts zu Füßen liegt, sondern man sich das hart erarbeiten muß. Ich glaube, das macht oft so diesen Schreck, diese Unzulänglichkeit und Unfähigkeiten aus.

Für Geisteswissenschaftler ist es doch ziemlich schwierig.

Wobei es wieder besser geworden ist, aber nicht, weil es für Geisteswissenschaftler besser geworden ist, sondern für die anderen schlechter. Das ist vielleicht ein bißchen fairer. Was ich wirklich glaube, ist, egal ob man Geistes- oder Naturwissenschaften studiert hat: die Wenigsten landen heutzutage, in dem sie einfach einen klassischen Bewerbungsweg beschreiten. Ich glaube schon, daß ich in meinen Beratungsgesprächen über die Bücher hinausgehe, kreative Ansätze finde, mutiger auch Leute direkt anzusprechen und sich nicht darauf zu verlassen, was der Stellenmarkt bietet. Meine Klienten kriegen alle ein Stellenanzeigen-Leseverbot. Es gibt Imageanzeigen ohne Ende; Firmen, die wirklich nur Anzeigen schalten, ohne daß sich dahinter eine Stelle verbirgt. Und das andere ist, wenn eine Stelle z.B. in der FAZ steht, dann bewerben sich da tausend Leute. Deswegen halte ich mehr von dem Ansatz Kontakte zu knüpfen, Leute direkt anzusprechen. Ich kann nicht einfach aus der Uni kommen und sagen: Morgen fang ich an mich zu bewerben, sondern dann muß ich mir überlegen, wo sind meine Stärken, womit kann ich mich denn präsentieren, was kann ich denn anbieten?

Zwischen den Arbeitssuchenden

herrscht eine immer größere Konkurrenz. Sie arbeiten dann praktisch an

einer Optimierung der Bewerber.

Sicher, wir schaffen keine Arbeitsplätze, außer unseren eigenen und denen unserer Mitarbeiter. An dem gesellschaftlichen Gefüge ändern wir nichts.

Wer nicht so stark ist, sich durchzusetzen, muß ja nicht unbedingt schlechte Arbeit leisten...

Nein, natürlich nicht. Aber auf dem Standpunkt stehen wir auch nicht.

Es ist aber so, das bestimmte Leute ganz runterfallen. Ich denke jetzt an Arbeitgeber, die kaum noch bereit sind, einen "krummen Lebensweg" zu akzeptieren.

Ich sehe nicht, daß Arbeitgeber nicht bereit sind, krumme Lebenswege zu akzeptieren, wenn sie so präsentiert sind, daß man die Ecken und Kanten als etwas erkennen kann, was auch einen Bewerber reizvoll macht. Wir wollen keine stromlinienförmigen Kandidaten hervorbringen. Im Gegenteil. Daß es um Optimierung geht im Sinne einer Darstellung, das ist richtig. Aber nicht um stromlinienförmige Kandidaten. Wobei es aber allgemein eine Tendenz dahin gibt. Wenn man auf diese Absolventenkongresse geht, braucht man sich nur die Optik anzugucken. Es ist ja schon in den Firmen falsch angedacht. Ich halte davon überhaupt nichts. Weder was die Firmen sich wünschen und suchen, noch wie die Leute sich da präsentieren.

Was machen Sie mit den Leuten, wenn Sie sagen, es geht um Optimierung?

Entscheidend ist immer der Wunsch: Wenn man sich mit dem Bewerbungsvorhaben beschäftigt, ist ein Hauptansatzpunkt eine eventuell vorhandene Berwerbungsmappe durch die man entscheiden kann: Gut, das steht in der Mappe und wie erlebe ich den Kandidaten - gibt es da eine Kongruenz? Es ist idiotisch, wenn sich jemand mit einer Mappe präsentiert, die ihn nicht re-präsentiert. Dann drehen wir die Mappe um und nicht den Kandidaten. Aber wenn es noch keine Mappe gibt, wenn also jemand noch im Vorfeld steckt, oder an einem beruflichen Scheideweg steckt, versuchen wir, gemeinsam mit dem Kandidaten herauszufinden, wo die Schwerpunkte sitzen, die Leidenschaften stecken, was jemanden reizt, und wo jemand glaubt, daß er das und das zwar auch tun kann, aber nur sehr ungern. Einfach aus der festen Überzeugung heraus, daß wirklich auch nur jemand da landet, wo er sich wohlfühlt und wo er eine Aufgabe erfüllen kann, die ihn reizt und die er mag und die er auch will. Alles andere geht auch, aber es geht viel schwerer. Die meisten Leute fangen andersrum an. Die sagen: ich muß mich jetzt bewerben und versuchen, was aufs Papier zu kriegen und scheitern daran. Viel wichtiger ist, sich klarzumachen, was ist es denn nun eigentlich.

Was kostet eine Beratung bei Ihnen?

Wir haben einen prinzipiellen Stundensatz von 200 Mark plus Mehrwertsteuer, egal, ob wir vor Ort beraten oder am Telefon. Wir haben viele Klienten von außerhalb. Das beinhaltet unsere Arbeitszeit, die wir aufwenden, wobei eine solche Stunde immer sehr gut vorbereitet ist. Wir telefonieren vorher mit den Leuten, egal was die von uns wollen, wir lassen uns von denen die Unterlagen schicken, so es welche gibt. Die Leute kommen in der Regel wohlpräpariert zu uns mit relativ klar umrissenen Geschichten, wobei sich im Gespräch auch noch ganz bunte andere Sachen ergeben können. Dann zählt die Stunde.

Hesse/Schrader, Büro für Berufsstrategie, Stubenrauchstraße 10,
12161 Berlin (Friedenau) Tel. 8519206

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