Ausgabe 15/16 - 1998berliner stadtzeitung
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Bewußtseinserweiternde Rucks

Hanf-Parade und Potlatsch: Ein Wohlfühlwochenende

Wer diesen Sommer noch keinen Joint geraucht hat (warum auch immer), der sollte am letzten August-Wochenende auf keinen Fall damit anfangen. Und allen, die sich regelmäßig einrauchen, sei empfohlen, das ausnahmsweise mal bleiben zu lassen. Warum? Am 29. August findet zum zweiten Mal in Berlin die Hanf-Parade statt, eine Demonstration für die Legalisierung von Haschisch, ganz im Stile einer 90er-Jahre-Manifestation, mit viel Spaß, viel Musik, vielen Körpern und sehr viel Tüten vermutlich. Nachdem im letzten Jahr ca. 30000 Hanfdemonstranten gekommen waren, rechnen die Veranstalter in diesem Jahr mit 100000 Teilnehmern.

Von all den vielen Paraden war die Hanf-Parade die interessanteste, das muß man sagen, weil da Leute auf der Straße zu sehen waren, die man seit Jahren nicht mehr demonstrieren gesehen hat. Freaks, Freaks, Freaks aller Generationen, in allen Schattierungen. Menschen, die garantiert nicht in der Werbung vorkommen. Und anders als bei der Love Parade, wo die Leute nur dabeisein und sonst gar nichts wollen, kämpfen die Hanfparadler geradezu sozialistisch für die Durchsetzung von Rechten. Die geforderte (und tatsächlich längst überfällige) Legalisierung von Cannabisprodukten aller Art meint mehr als nur das Recht auf den selbst gewählten Rausch. Ginge es nur darum, würde man sich mit der Praxis ja zufrieden geben, die mittlerweile fast überall toleriert wird. Aber hier geht es nicht nur um Lebenseinstellung, um Ideologie, sondern um eine der letzten Mauern, die das kapitalistisch frei umherschweifende Bewußtsein von der häßlichen Realität trennt. Das aufrecht erhaltene Verbot von Haschisch, so unverständlich es ist, erzählt ganz einfach, daß nicht alles möglich ist, wie es immer erzählt wird. Der tiefere Sinn der Legalisierungsforderung liegt darin, daß er, auf absehbare Zeit jedenfalls, utopisch ist und deshalb bewußtseinserweiternd wirkt.

Wie zur Bestätigung hat der Polizeipräsident die beantragte Sperrung des Platzes vor dem Brandenburger Tor abgelehnt, wo im Anschluß an die Demonstration die Abschlußfeier stattfinden sollte. Die Begründung ist, daß es sich dabei um ein Straßenfest mit kommerziellem Charakter handeln würde, das in keinem besonderen Zusammenhang zur Demonstration steht. Bausenator Kleman hat zudem noch angemerkt, daß diese Veranstaltung keine Werbung für Berlin sei und lehnt sie auch deshalb ab. Es ist so lustig wie erschütternd, daß einige Tausend Kiffer den Repräsentanten dieser Gesellschaft immer noch Angst machen können. Aber schließlich war es nur das, was man nur nochmal hören wollte: Politiker sprechen mit gespaltener Zunge; ihnen geht es vor allem um die Freiheit der Besserverdienenden und Straighteraussehenden (Love Parade). Die Veranstalter geben sich derweil kämpferisch: "Wir sind aber fest entschlossen - auch stellvertretend für alle anderen Demokraten in unserem Lande - gegen die fortschreitende Aufweichung des Grundgesetzes und eine Unterhöhlung des verfassungsmäßig garantierten Demonstrationsrechts zu kämpfen." So können Drogen wirken, wenn sie nicht inhaliert werden.

Wie und wo das Abschlußfest stattfinden wird, ist bis zum 29. August sicherlich irgendwie geklärt. Vielleicht haben sich ja die mit der Hanf-Parade kooperierenden Wohlfühlaktionisten den Platz vor dem Tor sichern können. Eine Initiative mit dem Namen "Ready to Ruck" führt just an diesem Wochenende ein Generationen-Meeting durch, das netzmäßig die spirituellen Grundlagen für Revolutionen im nächsten Jahrtausend legen soll. Die Vorgeschichte dieses Treffens führt weit in die 60er Jahre der BRD zurück und hat in Rainer Langhans einen Initiator, der auf knapp 30 Jahre Selbsterforschung im weltabgeschiedenen München zurückblicken kann. Er hat im Zuge der 68er Jubiläumsfeiern mit einigen anderen Veteranen der eher hedonistischen Fraktion die Idee eines großen Festes ausgesponnen, das "die Auflösung des Staus, unsere Liebe, unsere vielen Projekte, das Medium Schröder, den stillgelegten großen Brüter Kohl, die unnötig gewordenen Parteien - und eben uns" feiert. Daraus ist jetzt ein Sammeltreffen aller Generationen und Stämme geworden, die sich seit ´68 irgendeine kulturell oder politisch subversive Praxis zusprechen wollen.

Da fällt mir die Frage ein, ob es eigentlich zulässig ist, von einem (subversiven) DDR-Stamm zu sprechen. Oder strukturiert sich das dann alles nach übergreifenden Mustern: Alternative, Punks, Müslis, Autonome, usw.? (Vorschläge gern an diese Zeitung!)

Das dreitägige Treffen, vom 28. bis 30. August, steht unter dem Motto "Potlatsch", was auch nach Drogendemonstration klingt, tatsächlich aber ein indianisches Ritual des Schenkens bezeichnet. Beim Potlatschen gibt man anderen etwas, ohne dafür etwas zu verlangen. Eine Art Tauschökonomie, die sowohl immateriell wie auch ganz handfest funktionieren kann. Die Inspiration zu dem Treffen hat der Bundespräsident Roman Ruck mit seiner legendären Berliner Rede vom 26. April vergangenen Jahres geliefert. Neben der Sehnsucht nach einem Ruck durch Deutschland formulierte Herzog damals ein ganzes Weltbild, wie es sich Langhans oder Dr. Motte nicht besser hätten ausdenken können: "Wenn ihr schon dem System nicht mehr traut, dann traut euch doch wenigstens selbst etwas zu!", rief er der Jugend Deutschlands zu. Im Ruck-Manifest liest sich das dann so: "Wer rafft, baut Mauern. Am Fall der Berliner Mauer haben wir gesehen, daß es nur einen kleinen Ruck braucht, um scheinbar auf ewig versteinerte Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Der Potlatsch bedient sich dieses Schmetterlingseffekts, um auf lange Sicht alle Mauern zum Einsturz zu bringen. Das Reich der Freiheit ist da und nur den Flügelschlag der Bewußtwerdung entfernt." Solche poetischen Träume schreibt man, wenn man zuviel Drogenträume und zuwenig Welt gesehen hat. Vielleicht sollte Langhans die nächsten 30 Jahre besser in Frankfurt/Oder mit Meditieren verbringen.

Wer jetzt denkt, daß ich mich darüber lustig mache, der täuscht sich. Der Generationen-Potlatsch, die Hanf-Parade und auch das parallel stattfindende, subkulturelle Jungkapitalistentreffen "berlinbeta", in der Kongreßhalle am Alexanderplatz, sind Veranstaltungen von hohem Aufklärungs-, Unterhaltungs- und Wohlfühlwert. Da fließen Sachen zusammen. Um zu sehen, was dabei herauskommt, braucht man allerdings einen klaren Kopf.

Stefan Strehler

Hanf-Parade, 29. August, 14 Uhr ab Alexanderplatz. Alle anderen Termine und Orte siehe dort oder Tagespresse.

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