Ausgabe 14 - 1998berliner stadtzeitung
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Ein "Nein" wird patentiert

Für viele Kinder ist die Kindheit keine Zeit der Unbefangenheit und Unbeschwertheit. Ganz im Gegenteil: Gewalt und/oder sexuelle Übergriffe sind für sie Erfahrungen, die schon früh erlebt werden - meistens regelmäßig. Allein in Berlin gehen jährlich ca. 1000 Anzeigen wegen sexueller Übergriffe ein. Das sind drei Fälle pro Tag, über die Dunkelziffer können nur Vermutungen angestellt werden. Angesichts dieser bitteren Tatsachen könnte man leicht in eine lähmende Deprimiertheit verfallen.

"NoXno"

Genau den gegenteiligen Weg hat ein Projekt des Bezirksamts Tiergarten seit März diesen Jahres eingeschlagen: "NoXno" ist eine Präventionskampagne gegen Gewalt und sexuellen Mißbrauch an Kindern. NoXno (gesprochen: noksno) wendet sich dabei direkt an die Kinder mit dem Ziel, ihren Mut zum Widerstand und Nein-sagen zu stärken und sie dabei zu unterstützen.

Als Hauptmaßnahme wurde dazu eine massive Öffentlichkeitsarbeit im Bezirk geleistet: Auf den Straßen, in den Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen wurden auffällig-bunte Plakate aufgehängt, zusätzlich wurden noXno-Flyer verteilt, "in einer solchen Stückzahl, daß wir eigentlich davon ausgehen, daß jedes Tiergartener Kind das erhalten kann", so Frau Rodé, Bezirksstadträtin und politisch Verantwortliche der Kampagne.

Auf diesen Plakaten, Flugblättern und Aufklebern werden in kindgerechter Form auch explizit sexuelle Übergriffe gegen Kinder thematisiert: "Sie wollen Dich blöd anfassen oder Dir ihren Penis zeigen." Damit ist bereits ein wichtiger Schritt auch für jene Kinder getan, die bereits von sexuellen Übergriffen betroffen sind. Viele dieser Kinder wissen nicht, daß das, was mit ihnen geschieht, sexueller Mißbrauch ist; sie finden es nur eklig oder unangenehm.

Gefängnis des Schweigens

Da dieses Thema kaum in der Öffentlichkeit angesprochen wird, glauben sie entweder, es sei ganz normal, was der Elternteil oder Bekannte mit ihnen macht, oder sie halten sich selbst für unnormal und schlecht, weil ausgerechnet ihnen so etwas geschieht. So ist die Geheimhaltung für die Täter gesichert. Oft finden betroffene Kinder jedoch den Mut, aus dem "Gefängnis des Schweigens" auszubrechen, wenn sie wissen, daß ihre Erfahrung anerkannt und ihnen geglaubt wird. Dafür sind die Plakate ein erstes Zeichen. Sie sollen jedoch auch Mut machen, "Nein!" zu sagen, bevor die eigentlichen Übergriffe anfangen.

Da das Projektpersonal nicht sehr zahlreich ist, hofft Frau Rodé auf den Schneeballeffekt: Statt die noXno-Mitarbeiter hin und wieder in die einzelnen Einrichtungen zu schicken, sollen die ErzieherInnen, LehrerInnen und SozialarbeiterInnen motiviert werden, Gewalt und sexuelle Übergriffe wiederholt zum Thema zu machen. Dabei sollen sie sich auch als Ansprechpartner anbieten oder auf die Möglichkeit hinweisen, sich anonym an noXno zu wenden.

Zu diesem Zweck hat noXno ein Krisentelefon eingerichtet, welches kostenlos angerufen werden kann. Der große Vorteil im Vergleich mit anderen besteht hier darin, daß noXno im Bedarfsfall auf sämtliche Möglichkeiten und Leistungen des Jugendamtes zurückgreifen kann, als Projekt jedoch eine größere Akzeptanz bei Kindern und Jugendlichen zu haben scheint als das Jugendamt direkt. Es kann direkter Kontakt mit der entsprechenden Kita oder Schule aufgenommen werden. Die Kinder, die sich bei noXno melden, erhalten jedoch die Zusicherung, daß keine Schritte gegen ihren Willen eingeleitet werden. Dies gilt auch für Anzeigen gegen die Täter: Oft ist eine Vertrauensbasis gegenüber betroffenen Kindern nur möglich, wenn sie keine negativen Konsequenzen für die Täter (die sie in der Regel gut kennen!) befürchten müssen.

Optimismus

Trotz all dieser bedrückenden Fakten ist es Frau Rodé wichtig, die optimistische Herangehensweise an die Problematik zu betonen. "Ein ganz wesentlicher Punkt, der uns von verschiedenen anderen Beratungsstellen und Kampagnen unterscheidet, ist, daß wir eindeutig eine positive Ausrichtung haben. Wir zeigen kein weinendes Kind, sondern eines, daß sich wehrt."

Um sicher zu gehen, daß das Logo noXno nur mit diesem Konzept in Verbindung gebracht werden kann, wurde der Name beim Deutschen Patentamt angemeldet. Damit soll ein Mißbrauch dieses Namens verhindert werden - einzelne Fälle, in denen angebliche Beratungstelefone von dubiosen Betreibern eingerichtet wurden, um leichter an potentielle Opfer zu gelangen, gab es schon in der Vergangenheit.

Nach einer anfänglichen Anschubfinanzierung vom Bezirksamt werden jetzt noch die Raum- und Telefonkosten getragen, ansonsten ist das Projekt auf Sponsoren angewiesen. Die Firma Koschwitz erklärte sich bereit, kostenlos vierhundert Plakate auf freie Reklameflächen zu kleben. Die weitere Idee ist, die Plakatwände von freien Wirtschaftsträgern sponsoren zu lassen.

Andreas Hartmann II

noXno ist gebührenfrei zu erreichen unter fon 0800/6696676;
Internet: www.snafu.de/hansa.junet
Post: noXno, Postfach 210770,
10507 Berlin

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