Ausgabe 14 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Imi, mondos, kittifix

Wieder ein Versuch, sich dem Alltag der DDR zu nähern

Auf dem Plakat lächelt das Tele-Lotto- Männchen. "Glück im Osten" kündigt es an. Nein, keine Renaissance der alten Fernsehsendung, eine Ausstellung der Sammlung für industrielle Gestaltung in der Kulturbrauerei.

Für viele scheinen die Begriffe Glück und Osten quasi antagonistische Widersprüche zu sein. Und für jeden ist Glück etwas anderes. Dieser Tatsache waren sich die Macher auch bewußt. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Allgemeingültigkeit. Ein Versuch, sich behutsam anzunähern eher. Das ist zum einen das Glück im Heim: Neuer Staat, neue Häuser, neue Möbel, ein bißchen Wohlstand nach den Entbehrungen der Kriegsjahre. Der Durchschnittsbürger war´s zufrieden. Um den Arbeiter kümmerte man sich. Später gab es außer der Wohnung noch die Datsche, auf deren Gelände die handwerkliche Kreativität sich austoben konnte. Weit verbreitet waren beispielsweise durch Auseinanderschneiden und Drapieren von alten LKW-Reifen entstandene Werke. Ein Beispiel gibt es als Zeitungsreproduktion auch in der Ausstellung. Also unbedingt die Tafeln ansehen! Weiterhin sind Etiketten oder Werbeplakate für Konsumgüter, eine Zuckertütchensammlung und alle möglichen Verpackungen in der Vitrine zu betrachten, und der im Osten sozialisierte Mensch entdeckt, daß er zu Hause Museumsstücke zu stehen hat. Dieser lächelt dann wissend und denkt vielleicht an damit verbundene Glücksmomente. Im Osten. So geht das auch.

Die Jagd nach seltenen Konsumgütern hatte bekanntermaßen immer was mit Glück zu tun. Man kam entweder zur rechten Zeit oder hatte das Glück, eine Verkäuferin gut zu kennen. Das galt auch für ein weiteres Glücksgut: seltene Bücher. Wer verrenkt sich denn heute noch in der U-Bahn, um zu sehen, was sein Gegenüber liest und ob das Buch nicht gerade erst erschienen ist. So konnte man mal Leute kennenlernen. Offizielle Varianten, repräsentiert von Losungsplakaten, wie der Kampf für den Frieden oder eine höhere Produktivität sind erfreulich subtil plaziert, ihrer Wichtigkeit für den Einzelnen angemessen. Anders sieht es mit den Formularen aus: der Ehekredit, die Auszeichnung, eine Karte für das Bob Dylan-Konzert 1987 (für 9,90M plus Kulturgroschen), der Ausreiseantrag und leise Anklänge an die so glücklich im Überfluß schwelgende Konkurrenz im Westen.

Rückblickend erschauert man einmal mehr vor der Miefigkeit und Kleinbürgerlichkeit, die damals vorherrschte, und die Ernst Bloch schon 1956 in "Das Prinzip Hoffnung" vorausahnend beschrieb: "Am schlimmsten, wenn eine Gruppe zwar halb rot geworden, aber in der anderen Hälfte ebenso kleinbürgerlich und diese andere Hälfte all die edlen Eigenschaften des Spießers überliefert, anerzieht und fortentwickelt. Da ist nicht nur die Liebe zum äußeren Kitsch, sondern noch bedenklicher würde die Erzeugung von menschlichem Kitsch, ja von Entartung menschlicher Beziehungen sein, mitten im Aufstieg zu den freiesten und kühnsten Zielen."

ib

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  Ausgabe 14 - 1998