Ausgabe 13 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Rummel um Rechts

Manchen schwante für den 20. Juni schon von harten Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken. Zu Konfrontationen ist es dann doch nicht gekommen. Befürchtungen im Vorfeld der Großdemonstration waren keineswegs unbegründet. Schließlich hatten linke Organisationen und Parteien - einschließlich der SPD - vergeblich von Schönbohm gefordert, den Aufzug der NPD durch Berlin zu untersagen. Dafür gab es laut Innenstaatssekretär Kuno Böse aber keine rechtliche Grundlage. Eine Verlegung des NPD-Marsches von der Innenstadt nach Hohenschönhausen und die Veröffentlichung falscher Informationen über die Route sorgten dafür, daß sich die Antifas vor dem Rathaus Spandau einfanden, wo ihnen kein Rechter begegnete.

In Hohenschönhausen...

Der Umgang des Senators für Inneres mit der NPD zog neben den Vorwürfen von links nun auch Kritik aus den eigenen Reihen auf sich. Nicht nur die parteilose Bürgermeisterin aus dem Bezirk Hohenschönhausen empfand das Vorgehen von Schönbohm als anmaßend; besonders deshalb, weil er nicht einmal das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung informiert habe. Auch der CDU-Parteikollege Michael Szulczewski, Stadtrat in Hohenschönhausen, sieht einen schweren Schaden für den Bezirk, der "gerade soweit war, daß schlechte Plattenbau-Image loszuwerden". Auf Ablehnung stießen die stramm defilierenden Glatzen auch bei vielen Anwohnern und Passanten. Furchtbare Erinnerungen an die Jahre der faschistischen Machtergreifung wurden bei einigen Älteren wach. Ausdrücke wie "Nazischweine" signalisierten, daß der NPD-Aufmarsch nicht gewollt war.

So ärgerlich es für die Bürger Hohenschönhausens ist, daß ihr Bezirk im Senat für Inneres offenbar der geeignete Ort ist, um rechten Extremisten eine Öffentlichkeit zu geben, war die Verlegung doch das kleinere Übel. Verhindern konnte oder wollte Schönbohm den Aufzug nicht. In der Innenstadt hätte dieser jedoch noch mehr Aufmerksamkeit erlangt. Wahrscheinlich hätte die Großdemo obendrein darunter gelitten. Denn die nicht zu verhindernden Krawalle zwischen Autonomen, Rechten und zwangsläufig auch der Polizei hätten für die Intention der zahlreichen friedlichen Demonstranten keinen Platz gelassen.

Während am Linden-Center Holger Apfel, Chef der NPD-Jugendtruppe, in gewohnt demagogischer Weise vor seinen 300 Kameraden gegen das "Kroppzeug am Alex" hetzte, zeigten dort ungefähr 40000 Menschen, daß sie mit Rassismus nichts am Hut haben. Soziale Gerechtigkeit und Demokratie sowie ein Engagement gegen Ausgrenzung waren die weiteren Anliegen, für die sich die u.a. zahlreichen Schüler, Studenten, Gewerkschafter, Rentner und Erwerbslosen hier versammelt hatten. Aufgerufen hatte ein Aktionsbündnis aus Arbeitslosen, Gewerkschaften, Studierenden, Basisgruppen, Kircheninitiativen und TrägerInnen der Erfurter Erklärung. Die Adressaten der Demonstration waren klar. Es wurde vom Willen gesprochen, der herrschenden Politik außerparlamentarisch etwas entgegenzusetzen. Mehr Arbeitsplätze wurden ebenso gefordert wie mehr menschliches Miteinander. Der Theologe Friedrich Schorlemmer brachte es auf den gemeinsamen Nenner, als er vor einem bloßen "Wechsel von Köpfen" warnte und "neue Konzepte" anmahnte. IG-Metall Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner pflichtete ihm bei. Auch ihm ging es um eine neue Politik. Darum forderte er Gerhard Schröder auf, bei einem Wahlsieg der SPD von einer großen Koalition abzusehen. Der Unmut über sechzehn Jahre Helmut Kohl war allgegenwärtig.

Am Brandenburger Tor...

Für wenig Überraschung sorgte es daher, daß CDU-Obere wie der Regierende Bürgermeister, der auf dem Alex eine Seniorenwoche eröffnete, bei den Demonstranten nicht willkommen waren. Bedrängt und beschimpft verließ er unter Polizeischutz das Geschehen.

Nicht viel besser erging es einigen Christdemokraten, die sich auf der Westseite des Brandenburger Tors mit einem Transparent postierten. Sie konnten sich nicht damit abfinden, daß ein "Lesen gegen Rechts" auf dem Pariser Platz auch von der PDS unterstützt wurde. Mit der Aufschrift: "Aufpassen Deutschland - gegen Radikale von rechts und links" versuchten sie, Beachtung zu erhaschen. "Demo Christian" Specht und Unterstützer aus der "linken Szene" verhinderten dies aber, indem sie sich vor das Transparent stellten. Rempeleien folgten. Die ordentlich frisierten und adrett gekleideten CDU«ler zogen den kürzeren. Zwischenfälle ließen sich also doch nicht ganz vermeiden. Es mutet da schon etwas paradox an, daß sich Schönbohms Parteikollegen unfreiwillig für Auseinandersetzungen mit den Linken anbieten, quasi als Ersatz für die nicht anwesenden NPD«ler. Die Ausländerbeauftragte Barbara John hatte übrigens keine Bedenken, den Aufruf von "Lesen gegen Rechts" zu unterzeichnen. John ist ebenfalls CDU-Mitglied. Immerhin ein Lichtblick, der hoffen läßt.

Stephan Zeisig

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