Ausgabe 13 - 1998berliner stadtzeitung
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"Ein neues Bild vom Alten Schwulen"

Am vergangenen Sonnabend, dem 27. Juni, hat wieder die traditionelle Demo zum Christopher Street Day (CSD) stattgefunden, mit der an die Strassenschlacht von 1969 in der New Yorker Christopher Street erinnert werden soll. Damals hatten sich etwa 500 Lesben und Schwule gewaltsam gegen eine Razzia in dem nun legendären Lokal "Stonewall Inn" zur Wehr gesetzt. Der erste CSD in Berlin hatte 1979 unter dem Motto "Schafft eins, zwei, drei, ganz viele Stonewalls" stattgefunden, die ursprüngliche Militanz ist im Laufe der Jahre verloren gegangen. Diesmal wurde ein neuer Akzent gesetzt, indem sich erstmals ältere Schwule zu Wort gemeldet haben. Eine Infrastruktur von Emanzipationsgruppen für ältere Schwule ist im Entstehen. Anläßlich des CSD sprachen wir mit Klaus-Wilhelm Klinker, der für den Schwulenverband in Deutschland (SVD) die Arbeit mit älteren Schwulen ("gay&gray") organisiert. Hierzu wurde eine "gay&gray"-Kontaktstelle eingerichtet, die in der Rhinower Str. 5 in Prenzlauer Berg ansässig ist.

scheinschlag: Ihr bezeichnet euch als "gay&gray-Kontaktstelle", an welche Klientel richtet ihr euch genau?

Klinker: Man kann sagen, wir richten uns an schwule Männer in der zweiten Lebenshälfte, also bei der biologisch durchschnittlichen Lebenserwartung die Zeit zwischen dem 40. und dem 80. Lebensjahr. Man muß diesen Zeitraum noch mal untergliedern in die Zeit, in der man normalerweise noch berufstätig ist, also bis zum 65. Lebensjahr, und die Zeit jenseits der Berufstätigkeit.

Wir machen unsere Arbeit nicht nur für die ältere Generation, sondern auch für die jüngere Generation, denn jeder, der ein bißchen Glück hat, wird alt. Für jüngere Schwule ist es häufig keine sehr attraktive Vorstellung, altwerden zu müssen. Wir beobachten, daß die schwule Szene hauptsächlich von Männern unter 40 besucht wird. Kontaktwünsche in der Homopresse richten sich ebenfalls in erster Linie an Männer unter 40. Wir glauben nicht, daß das ein wünschenswerter Zustand ist: Man hat sein coming-out vielleicht mit 20, dann folgen 10 oder 20 glückliche, darauf 40 sehr traurige Jahre. Das ist nicht das, was wir uns als Bürgerrechtler unter einem gelungenen Leben vorstellen.

scheinschlag: Wie wollt ihr da intervenieren?

Klinker: Wir produzieren ein neues Bild vom alten Schwulen. Für uns sind alte Schwule keine "dirty old men", oder wie unser Slogan zum CSD sagt: "nicht alt und grau, sondern reif und schlau". Sie sind lebenserfahren, sie haben etwas zu erzählen, sie bewerten soziale Größen höher als sexuelle Größen, für Jugendliche und auch die Schwulenbewegung ist es ein Gewinn, von den Erfahrungen der älteren Generation zu lernen.

scheinschlag: Es ist aber doch wohl eine Tatsache, daß ältere Schwule oft alleine sind?

Klinker: Wir wissen gar nicht, ob ältere Schwule im Normalfall alleine sind, wir wissen sehr sehr wenig über ältere Schwule, wir kennen vielleicht 200 oder 300 von einigen 10000 älterer Schwuler, die in dieser Stadt leben. Ich hoffe, daß in absehbarer Zeit darüber wissenschaftlich geforscht wird, dies ist bisher nicht geschehen.

scheinschlag: Wie sieht eure Arbeit konkret aus?

Klinker: Wir haben eine "Info-line", Mittwochs von 17-19 Uhr kann man alle Informationen abfragen, die man möchte. Wir arbeiten auch an einer Angebotsübersicht, die alle für ältere schwule Männer interessanten Projekte von Szenelokalen bis zu, vielleicht, Altersheimen auflistet. Dann haben wir ein Begegnungsangebot zwischen den Generationen, die Veranstaltungsreihe "Salon Playa": vor kurzem hatten wir dort die Buchpräsentation mit Hans-Georg Stümke "Älter werden wir umsonst!".

Demnächst wird bei uns auch eine kleine Zeitschrift für Aktive "gay&gray-newsletter" erscheinen.

Darüber hinaus gibt es in dieser Stadt einige Gruppen, die ein Angebot für ältere Schwule machen, z.B. die Sportgruppe "Rostfrei" bei SSV Vorspiel, die Gruppe 40plus im Sonntagsclub, bei Mann-o-Meter eine Gruppe für ältere berufstätige Schwule und eine sehr aktive Gruppe in Potsdam, die nennt sich "Vier Jahreszeiten".

scheinschlag: Was ist mit dem "gay&gray- newsletter" geplant?

Klinker: Wir hoffen, daß wir im Juli oder August die Nullnummer präsentieren können. Sie wird sich vor allem an Leute richten, die schon ein Problembewußtsein zur Frage des Älterwerdens als Schwuler entwickelt haben, z.B als Mitglied in einer Selbsthilfegruppe oder als Altenpfleger oder als jemand, der in der Schwulenbewegung arbeitet. Wir werden z.B. in der Nullnummer das neue Amsterdamer schwul-lesbische Altersheim "De Reetvink" vorstellen, es soll ein Aufruf an die schwulen KZ-Überlebenden gedruckt werden, die die "Survivers of the Shoah History Foundation" interviewen möchte, ferner wird es einen Bericht über Seniorensportangebote und eine Szenekritik geben, ein Angebot einer Partnerschaftssegnung der weltlichen Art wird vorgestellt werden und es wird einen Artikel geben über die Debatte um die Entschädigung homosexueller KZ-Opfer.

scheinschlag: Gibt es eine Zusammenarbeit mit anderen Seniorengruppen und Wohlfahrtsorganisationen?

Klinker: Wir haben brieflich angeboten, daß wir bei Fortbildungen in diesem Bereich behilflich sind, die Resonanz ist bisher sehr spärlich. Mit den "Grauen Panthern" gibt es eine konkrete Zusammenarbeit, insofern daß Trude Unruh Gast und Rednerin auf dem ersten gay&gray Kongress in Köln war. Auch vom Landessportbund, dem Bereich Seniorensport, haben wir eine positive Rückmeldung erhalten. Insgesamt werden wir aber wohl noch ein bißchen nachhaken müssen. Wir planen auch eine Zusammenarbeit mit den Pflegestationen, die sich bisher auf Menschen mit HIV konzentriert haben. In dem Maße, in dem AIDS eine behandelbare, heilbare Krankheit wird, hoffen wir, daß das dort erworbene Fachwissen dann für die Pflege alter schwuler Männer zur Verfügung stehen wird.

scheinschlag: Wie steht es denn mit der Zusammenarbeit der "gay&gray"-Gruppen untereinander?

Klinker: Das erste gemeinsame Projekt ist die Beteiligung aller Gruppen in der Stadt am CSD, das ist eine Premiere. Die Gesamtheit dieser Gruppen nennt sich "Schwuler Ältestenrat für Potsdam und Berlin". Durch die Vorbereitung auf diesen Tag ist in den letzten zwei Monaten ein gewisses kämpferisches Bewußtsein und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit entstanden. Es gibt auch bestimmte Projekte, die man in Zukunft machen könnte, wenn man zusammenarbeitet. Ich denke z.B. an unsere Idee, 1999 einen Architektenwettbewerb für schwule Wohnprojekte und Altersheime zu planen. Das kann nur funktionieren, wenn der Ältestenrat und die homosexuellen Architekten gemeinsam mit einer Galerie und einem Buchverlag dieses Projekt in die Hand nehmen. Und wenn es öffentlich gefördert wird.

scheinschlag: Auf dem Tisch sehe ich ein Transparent für den Christopher Street Day, was steht da drauf?

Klinker: "gay&gray - die neuen Alten kommen!"

Interview: Harald Wernicke

Kontaktadresse:
SVD, Postfach 590113, 10419 Berlin oder fon 44008240, mittwochs 17 bis 19 Uhr

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