Ausgabe 13 - 1998 | berliner stadtzeitung scheinschlag |
|
Frühstück für immerNee, Gundermann, das ist nicht wahr. Irgendwo in der Berliner Zeitung, auf der Klatschseite, füllst du ein paar Zeilen. Gundermann, 43jährig, Herzstillstand. Einfach so. Bei deinem letzten BerlinKonzert war ich nicht. Weil es so regnete. Und weil es ja sowieso ein nächstes Konzert geben würde. Wir trafen Gundermann zum Interview in einem Klub im alten Dorfkern Marzahn. Das Foto erzählt alles. Gundermann suchte die vorsichtig-mißtrauische Distanz. Aber was nutzt es, die Arme vor der Brust zu verschränken, wenn das Gesicht doch offen und verletzlich ist. Eine sture, trotzige Ehrlichkeit. Die Sprödigkeit, die Unsicherheit und Unruhe und Angst. Irgendwie Vertrautes. Der Anflug von Trotz, wie zur Abwehr, verschwand bald. Plötzlich saßen sich da drei Kinder gegenüber, die versuchten, ihre Rolle zu erfüllen - die einen als Journalisten, der andere als Musiker - und die trotzdem immer noch nach demselben Stall rochen. Es war schlimm, als Tamara Danz gestorben war. Als wir immer noch ihre Stimme hörten und ihre letzte Platte, die plötzlich nur nach Abschied klang, wo doch der Tod noch gar nicht gemeint war. Bei einem deiner Konzerte hast du ein Lied gesungen, das du für Tamara Danz geschrieben hattest. Manche haben geheult. Trotzdem war es wie ein Trost. Wenigstens war es mit Gundermann und seinen Liedern leichter, den Abschied, den Tod hinzunehmen als etwas Unumgängliches, früher oder später. Als etwas, was dazugehört wie das Kinderkriegen. Sieht so aus, als wärst du nun doch den Revierengeln hinterhergezogen.
Gundermanns Herz blieb stehen, einfach so. Im Lausitzer Tagebau arbeiten und außerdem Musikmachen - zu wenig Schlaf, sagen die einen. Doppelt so intensiv, so schnell gelebt - war das nicht die Legende des Rock´n´Roll, den du so geliebt hast? Gundi. Gerhard Gundermann. Oberschüler, abgebrochener Offiziersschüler, Hilfsarbeiter, seit 20 Jahren Arbeiter im Lausitzer Braunkohlenbergbau, abgebrochener Stasi-IM, geschaßtes SED-Mitglied, seit 20 Jahren Musiker, anfangs mit der "Brigade Feuerstein", in den 90ern dann mit der Band, die "Seilschaft" hieß. Ahnten die Genossen der SED-Kreisparteikontrollkommission Spremberg 1979 eigentlich, wie gut sie ihren unbotmäßigen "politisch völlig unreifen Gen. G." in ihrer "persönlichen Einschätzung" erkannten? "Gen. G. ... glaubt, er müsse sich ein eigenes Bild von der Welt, d.h. seine eigene Philosophie machen ... Zu allen Fragen antwortet Gundermann zögernd und nach relativ großen Denkpausen ... Oft verbindet er Antworten mit Sprüchen wie ,Gott gebe mir die Kraft, daß ich erkenne, was ich verändern kann und was nicht.´" Gundermann hat es gehaßt, zum singenden, klingenden Baggerfahrer gestempelt zu werden. Und er hatte wenig Lust, darüber immer wieder mit "den Medien" verhandeln zu müssen. Gegen das Mißtrauen gab es nur eines: Respekt. Um so mehr unbedingtes Vertrauen hatte Gundermann zu denen, die in seine Konzerte kamen und deren Gesichter er wiedererkannte. In den Konzerten - vor oder nach der Schicht im Tagebau - wurde aus dem müden, erschöpften, angestrengten Gundermann ein explodierendes, unbedingtes Bündel Lebenslust. Wenn er, noch atemlos vom letzten Lied, mit glänzenden Kinderaugen und einem Grinsen seine Raumschiff-Geschichten erzählte. "kann sein daß der teufel den mann ausm land reißt "Wo soll ich landen, wenn der Tank leer ist, wo ist ein Rollfeld für mich frei." Gundermann hat gesungen über die nicht mehr so jungen kleinen, blassen Frauen. Die streunenden Hunde, mit den Augen wie Salz. Die grauen-bunten Fassaden in Hoywoy. Über das Hier, den Vater, die Schaukelpferde. Gundermanns Konzerte waren die Landeplätze der Traurigen. Die Tankstellen der Zärtlichkeit. Wolldecken gegen die krauchende Kälte. Unbändige Lust und Freude, Hexentänze gegen die Mutlosigkeit. "Überlebe wenigstens bis morgen Frühstück für immer, hieß Gundermanns vorletzte Platte. Da ging es um das Werk, wo man sich jahrelang wünschte, daß die alte Werksuhr fünf Minuten vorm Ende der Frühstückspause stehenbleibt. Träumen vom fremden weißen Strand. Frühstück für immer. "Aber eines tages isses dann geschehn "Ich glaube, ich bin jemand, der sich nicht entwickelt. Es würde mir schon reichen, wenn ich jemanden wie Bettina Wegner mein ganzes Leben lang zur Verfügung hätte. Weil: Die Welt ringsherum entwickelt sich ja, aber das Fernglas, in dem ich die Welt angucke, entwickelt sich auch nicht, und du siehst trotzdem immer neue Sachen dadurch. Wir sind auch nichts anderes als Ferngläser, die bestimmte Ausschnitte vergrößern und sichtbar machen - da muß man sich nicht selber entwickeln. Glaube ich jedenfalls. Und wenn die Lieder jetzt härter klingen - ja, dann ist die Welt härter geworden. Die Welt hat sich verändert." (aus dem Interview Ende 1995) Gundermanns letzte Platte hieß "Engel über dem Revier". In der Mitte des CD-Covers war ein sehr großer, sehr blauer, sehr stiller Baggersee zu sehen. Die stumme Schönheit, für das etwas anderes sterben muß. Sowas nennt man wohl Dialektik. Von dir haben wir gelernt, damit zu leben. Wenigstens zu versuchen zu verstehen, daß Abschied und Tod immer zum Leben dazugehören. Das macht die Sache aber auch nicht besser. "wir wissen dass alles was kommt auch wieder geht Es ging - wie oft bei dir in den letzten Jahren - um Verluste. Alle Lieder klangen nach Abschied, nach einem sehr, sehr traurigen Abschied. Vom warmen Grau, das der schrillen Buntheit weicht. Vom Vertrauten. Wieder ging es schon um Tod, wo weder du noch wir das wußten. Und immer ging es ums Hier. "hier bin ich geborn Das ist ungerecht, sage ich. Nein, sagt Christof. Und damit hat er ja recht. Damit sitzen wir an so einem Abend draußen. An so einem Abend bricht alles aus. Es sind Abende, die du gemeint haben könntest. Wenn es warm ist, der Kater herumschleicht und der Liebste einen in den Arm nimmt. Wenn jemand plötzlich anfängt, auf dem Saxophon zu spielen. Gundermann-Momente, an so einem Abend wie diesem. Vielleicht sollte man solche Momente fortan "Gundermann" nennen. Vielleicht ist es das einzige, mit dem man überhaupt noch leben kann. Ulrike Steglich Hier draußen vergeht den Apparaten das Klingen
|
Ausgabe 13 - 1998 |