Ausgabe 13 - 1998berliner stadtzeitung
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Was hat Reklame mit Moral zu tun?

Wenn ein neues Produkt auf dem Markt erscheint - ich spreche über Mobiltelefone - wird die Werbemaschine in Gang geworfen. "Kauf es dir", ruft sie mir zu und verspricht allerhand Vorteile. Sex und Geld, Erfolg, Schönheit und Reichtum. Das ist Phase I.

Dann beginnt Phase II: Die Zielgruppe hat bereits gekauft, die Werbemaschine brüllt ihren zweiten Satz: "Kauf dir ein Neues! Das Neue ist viel besser als das Alte. Siehst du: Es hat viel mehr Knöpfe." Aber die Leute wollen gar nicht mehr Knöpfe, sie wollen nur telefonieren. "Kauf dir ein Neues! Es hat genausoviel Knöpfe wie das Alte."

"Genausoviele? Warum soll ich es denn dann kaufen?"

Spätestens jetzt schlägt die Stunde der Produktdesigner. Bald gibt es Taschentelefone in verschiedensten Formen, mehr oder weniger abgerundet. Dann hat ein Hersteller eine Idee: "Unsere gibt es jetzt in verschiedenen Farben. Da können sich die Leute eins aussuchen und sind individuell. Auf ein Plakat kleben wir ein rotes, grünes, blaues, gelbes und ein schwarzes Handy nebeneinander und darüber schreiben wir ´Jedem das Seine´."

Dieses Plakat wurde Anfang Juni in meiner Straße aufgehängt. Ich war entsetzt. Ich brachte den Skandal an die Öffentlichkeit, indem ich darüber sprach. Die Reaktion: Schulterzucken, bestenfalls ein müdes "na, das is´ ja ´n Ding".

Ich war aufgebracht und erregt und - ja, ich gebe es zu - frustriert und täglich stand ich vor dem Plakat und schüttelte den Kopf und begann Passanten anzusprechen und zeigte auf den Satz und sie schauten mir verständnislos ins Gesicht und gingen schnell weiter.

Und - jawohl - ich dachte an Sachbeschädigung. Es nützte nichts. Mein Aufschrei verhallte ungehört.

Da begann ich zu trinken, vernachlässigte mein Äußeres, und starrte stumpfsinnig in die Glotze: Fußball-WM. Kamerum - Österreich 1:1. Und wieder hatte ich zuviel getrunken.

An den Rest der Nacht erinnere ich mich nur schemenhaft. "Wenn das die Juden wüßten", rief ich wohl auf dem Heimweg, als ich vor dem Plakat stand, und am nächsten Morgen lag die Nummer der ātaz´ neben dem Telefon.

Drei Tage später, am Montag, dem 15. Juni erschien in der ´taz´ auf Seite 1 der folgende Artikel: ...Das American Jewish Committee (AJC) hatte in der taz Alarm geschlagen: Das AJC entdeckte Plakate in Berlin, die für Handys mit auswechselbaren Plastikschalen werben - und den Spruch tragen, der einst am Eingang des Konzentrationslagers Buchenwald stand. Der Satz "verhöhne die Opfer", so eine Sprecherin. Die Kampagne sei sofort zu stoppen. Doch diese Kritik tat die deutsche Nokia-Sprecherin noch am Freitag mit den Worten ab, alles sei "lange her und nicht so gemeint". Aber schon einen Tag später war alles anders: Die Sprecherin habe gar nicht sprechen dürfen, weil sie nur "Praktikantin" sei, hieß es. Der "makabere Hintergrund" sei der jungen Generation nicht mehr bekannt. Deshalb habe auch die "Kontrollfunktion" mit der Werbeagentur Gramm nicht geklappt. Alle Plakate würden jetzt überklebt, sagte Nokia Vize-Präsident Vanjoki zur taz.

Die Sache schien erledigt. Am nächsten Morgen war das Plakat verschwanden.

War die Kampagne ein Erfolg? Ja, glaubt die Agentur und bereitet einen neuen Spot vor, diesmal fürs Fernsehen: Die Melodie der deutschen Wochenschau... Wir sehen historische Aufnahmen, wohl aus den 40er Jahren. Ein schmächtiger Mann spricht zu einer aufgeheizten Menge (immer wieder kommen Verwundete und Verkrüppelte ins Bild). Berlin, Sportpalast, Joseph Goebbels: "Wollt ihr den totalen Krieg?" - "Nein!" - "Wollt ihr ihn, wenn nötig noch schlimmer und furchtbarer, als ihr ihn euch überhaupt vorstellen könnt?" - "Nein!" - "Was wollt ihr dann?" - "Maoam, Maoam, Maoam..."

Das ist ja abstoßend, denke ich.

Zuhaus les ich mir noch einmal den Zeitungsartikel durch: "...«verhöhnt die Opfer´, so eine Sprecherin." Und auf einmal wird mir klar: Nicht ich hatte telefoniert in jener Nacht, niemals würde so eine Wendung über meine Lippen kommen, ich war unschuldig, hatte mit der ganzen Scheiße nichts zu tun.

Nur der Werbespot für dieses Fruchtbonbon geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Von Hans Duschke

Bov Bjerg meint dazu: "Arbeit macht frei" wäre auch ein möglicher Handy-Reklame-Spot.

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