Ausgabe 12 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Wie Pilze aus dem Boden

Bisher dachte ich immer, es wäre an mir vorbei gegangen. Daß ich noch nie einen Fuß reingesetzt hätte. Daß ich nie dazu gehört hätte. Daß sie mich nicht kriegen würden.

Doch letzte Woche kam auch mein persönliches Waterloo.

Ahnungslos betrat ich diesen kleinen Garten in der Sowieso-Straße in Mitte. Garten kann man es eigentlich nicht nennen, dieses Minifleckchen, das keine wirkliche Erde kennt, weil zehn Zentimeter unter der Bodenkrume die U-Bahn durchdonnert und die Betonplatten vibrieren. Kümmerlich hatte sich strauchiges Grünzeug auf 250 Quadratmeter vergessener Stadtbrache emporgereckt. Wo der Baum seine Wurzel verstaut hatte, blieb ein Rätsel. In dem Baum hingen bunte Laternen, damit der Sommerabend sanft weiterleuchtete. Die verstreut herumstehenden Stühle waren zusammengesucht, eher vom Sperrmüll, würden jeden Regen unverändert überstehen. Dazwischen leere Weinfässer, wo man Gläser abstellen konnte.

Als Nichtbalkonbesitzerin und ohne Freunde mit Grundstückseigentum in der Stadt, so dasitzend auf diesem Plastikgartenstuhl, entspannte ich mich langsam. Dachte sogar vorsichtig: Gar nicht mal so schlecht, mit ein paar Leuten einfach so Rotwein mitten in der Stadt zu trinken. Der zweite Wein beförderte diesen Gedanken schon in die Sicherheitszone. Daß der Wein so gut wie nichts kostete, war ein zusätzlicher Punkt auf der Positivliste. Auch der Gastgeber erschien mir vertrauenswürdig. Direkt am schmalen Eingang, am Mauerdurchbruch, hatte er mich in Empfang genommen und begrüßt. Schon nach dem dritten Glas kamen wir ins Gespräch. Daß das ja eine schöne Sache sei, so einfach hier und mitten drin, zwar illegal, aber im Sommer, abends, bei d e n Temperaturen und draußen. Und dann - und dann sagte er noch, er würde sich als CLUBbetreiber verstehen.

Das wars. Alles umsonst. Mit einem Schlag die Mühen jahrelanger Abstinenz null und nichtig. Es gab kein zurück. Ein Moment der Nachlässigkeit und du bist in den Club der Clubgänger aufgenommen.

Ragna Lindström

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