Ausgabe 12 - 1998berliner stadtzeitung
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Autofreie Weltjugend

Ein Gegenentwurf plädiert für ein autofreies Stadtviertel zwischen Chausseestraße und Panke

Die Planung für das Gelände des ehemaligen Stadions der Weltjugend ist ebenso festgefahren wie die Entwicklung autofreier Wohngebiete in Berlin. Ein neuer Entwurf versucht, beide Blockaden aufzubrechen.

Fast die Hälfte aller Berliner Haushalte lebt ohne Auto, in den Innenstadtbezirken sind sogar über 50 Prozent der Haushalte autofrei. Doch auch Menschen ohne Auto müssen unter den allgemeinen Folgen des Straßenverkehrs leiden: Lärm, Abgase, Unfallgefahren und zugeparkte Straßen. Abhilfe versprechen autofreie Wohngebiete, in denen alle Bewohner freiwillig auf ein Auto verzichten. In Amsterdam, Freiburg und Nürnberg hat man mit autofreien Stadtvierteln bereits Erfahrungen sammeln können. Die Berliner Projekte für solche Gebiete - alter Schlachthof Eldenaer Straße und Lichterfelde-Süd - kommen nicht voran. Nun wendet sich das Augenmerk auf das Gelände des ehemaligen Stadions der Weltjugend.

Der Fußgängerschutzverein FUSS e.V., der sich kürzlich zu seinem fünfjährigen Bestehen in "per pedes" umbenannte, ließ für die große Freifläche an der Chausseestraße einen städtebaulichen Entwurf für ein autofreies Stadtquartier erstellen. Auf dem Areal des Stadions der Weltjugend, das im Zuge der Berliner Olympiabewerbung voreilig abgerissen wurde, befinden sich zur Zeit einige interessante Zwischennutzungen wie die "Volxgolf"-Anlage und eine Fahrradcrossstrecke. Für diese Fläche, deren Eigentümer das Land Berlin ist, wurde 1995/96 ein Wettbewerb durchgeführt, den Max Dudlers Entwurf für ein dichtes Wohngebiet gewann. Dieser Entwurf wurde zwar mittlerweile überarbeitet, doch hat sich immer noch kein Investor gefunden, der dieses kostspielige Vorhaben realisiert.

Hier setzt der Gegenentwurf an. Der Standort bietet fast ideale Voraussetzungen für ein autofreies Stadtviertel: Der U-Bahnhof Schwartzkopffstraße liegt direkt vor der Tür und die zentrale Lage ermöglicht eine optimale Einfügung in die Stadtstruktur. Gegenüber den anderen Gebieten, die als autofreie Quartiere im Gespräch sind, sind dies deutliche Vorteile.

Spielen überall erwünscht

Die autofreie Planung hält sich weitgehend an die Vorgaben aus dem Wettbewerb von 1995/96. Insgesamt sollen etwa 950 Wohnungen und 38000 m2 Gewerbeflächen entstehen. Die laute Chausseestraße wird mit einem Riegel aus gewerblich genutzten Gebäuden vom Inneren des Gebiets abgeschirmt. Auf Höhe der Schwartzkopffstraße bildet die Bebauung einen kleinen Marktplatz, an dem sich Läden und Dienstleistungsbetriebe konzentrieren. In den rückwärtigen Bereichen sind zwischen den Wohngebäuden Infrastruktureinrichtungen wie Schule, Kindergarten, Sporthalle und Generationenhaus eingestreut. Die vorgeschlagene Bebauung ist sehr verschachtelt, weist keine rechten Winkel auf und verspricht eigenwillige Raumbildungen. Zum renaturierten Flußlauf der Panke geht das Wohngebiet in einen offenen Park über. Gesonderte Spielplätze wurden nicht ausgewiesen, denn durch den fehlenden Autoverkehr wird ermöglicht, daß Kinder im gesamten Bereich gefahrlos spielen können. Die einzige wesentliche Abweichung gegenüber den Wettbewerbsvorgaben besteht in der Frage der Sportflächen. Statt wie gefordert zwei Großspielfelder und sieben Tennisplätze zu errichten, sieht der Entwurf nur einen Sportplatz und drei Tennisfelder vor. Darüber hinaus sind aber mehrere kleine Sportanlagen im Gebiet verteilt, die auch abseits des Vereinssports genutzt werden können.

Jedes Gebäude wird für Notdienste oder Möbelwagen erreichbar sein, doch auf eine aufwendige Erschließung kann verzichtet werden. Ausgebaute Strassen, Parkplätze oder Tiefgaragen sind unnötig. Dadurch können die Baukosten erheblich gesenkt und die späteren Mietpreise im üblichen Rahmen gehalten werden. Das Entstehen eines Ghettos soll auch durch die weitgehende Mischung der Investoren vermieden werden. Im Prinzip sind alle Eigentumsformen von der Einzelperson über die Genossenschaft bis zum Großinvestor denkbar. Das Investitionsvolumen wird insgesamt auf 500 Millionen Mark geschätzt. Der Ausschuß für Ökologische Stadtentwicklung und Verkehr der BVV Mitte hat bereits einhellig seine Unterstützung für die Entwicklung eines autofreien Stadtviertels an diesem Standort bekundet. Der Bezirk konnte sich nie mit dem Dudler-Entwurf anfreunden, an dem die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr weiter festhält. Dort wird zur Zeit auf Grundlage des überarbeitetn Dudler-Entwurfs ein aufwendiges und langwieriges Bieterverfahren vorbereitet, mit dem doch noch ein Investor gefunden werden soll.

Für die Idee autofreier Stadtviertel hat man im Hause des Bau- und Verkehrssenators Klemann (CDU) offensichtlich nicht viel übrig. Zwar verpflichtete sich der Senat im Rahmen der Agenda 21, fünf autofreie Modellprojekte in Berlin zu entwickeln. Spricht man jedoch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie darauf an, verweist man dort auf die Zuständigkeit von Jürgen Klemann, der allerdings keine Anstalten macht, diese wichtigen Projekte, mit denen nicht zuletzt auch die Abwanderung von Familien ins Umland eingedämmt werden kann, in die Wege zu leiten.

js

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