Ausgabe 12 - 1998berliner stadtzeitung
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Meine kriminelle Karriere

Die Geschichte mit Loriot

Es war 1988 und im Palast der Republik war eine Ausstellung von und über Loriot: Bücher, Zeichnungen, Skizzen, Bühnenbilder, Fotos von ihm als Holzfäller, als Lokführer, als Prof. Grzimek mit der Steinlaus. In einem Fernseher liefen ununterbrochen Sketche. Dicht an dicht standen die DDRler davor und starrten, so wie ich auch.

Loriot war zwar verlegt in der DDR in dicken und dünnen Büchern. Doch die Buchverkäuferinnen ließen sie sich lieber mit Gold aufwiegen oder irgend etwas anderem, was knapp war, anstatt sie in die Hände von Normalsterblichen kommen zu lassen. Loriot war eine legendäre Figur, seine Knollennasen, seine Geburtstage im Fernsehen, seine merkwürdigen Sketch-Konstruktionen, bei denen sich die Komik zur Mitte steigerte, wie eine Sinuskurve, und dann wieder abflachte, so dass man am Ende wieder in der Normalität angekommen war. Alle Zeitungen der DDR berichteten: Loriot war in Berlin, der Hauptstadt der DDR. Die "Junge Welt" sogar mit einer ganzen Sonderseite samt einer handschriftlichen Widmung des Meisters. Er war also hier in Ostberlin, nicht nur wegen dieser Ausstellung, nein er würde auch zweimal auftreten, an zwei Abenden im Theater im Palast.

Dafür Eintrittskarten zu bekommen, war völlig ausgeschlossen. Die wenigen davon, die in den freien Verkauf kamen, ergatterten die ersten Glücklichen einer wahrscheinlich seit Tagen wartenden Menschenmenge. Und vermutlich nicht mal einer von denen hatte eine Karte bekommen, denn Loriot, das war die Welt, das war die BRD. Da war es wie mit den Büchern, selbst wenn von der SED geplant worden wäre, einige der Karten ans Volk zu geben, dann hätte die Kartenverkäuferin es immer noch vorgezogen, sie unter ihrer Unterwäsche herauszuschmuggeln, als sie an die Parka tragenden Stinos vor der Kasse zu verschwenden.

Doch es war Loriot! Ich hielt ihn für einen der zweifellos größten lebenden Deutschen und ich wollte ihn sehen, erleben. Irgendwann würde mich wohl meine Enkel fragen: Was? Da war Loriot in Ostberlin und Du hast nicht mal versucht, ihn zu sehen? Und sie würden mich anstarren und es nicht verstehen können. So wie ich es als Kind nie verstehen konnte, daß mein Großvater, obwohl er alt genug dafür gewesen war, nicht versucht hatte, mit Karl May Kontakt aufzunehmen. Ich war entschlossen und ich war sicher, ich würde Loriot sehen, ich würde es irgendwie schaffen, mich in die Vorstellung zu schmuggeln.

Am Abend der zweiten und letzten Vorstellung war ich im Palast und sah mich um. Auf der einen Seite ging es hoch, erst zu der Ausstellung und dann noch eine Etage höher, da war das Theater im Palast, das ich von einer schrecklichen Gisela-Steineckert-Lesung kannte. Die andere Seite war mit einer armdicken Kordel abgesperrt. Ich schlenderte einige Minuten in dem großzügigen Foyer herum, das sich langsam leerte. Ich griff in meine Tasche, da war der zum Dietrich umgebogene Schraubenzieher. Ich schlenderte zurück und dann stieg ich schnell über die Kordel und lief die Treppe hoch. Oben wartete ich eine Weile, es war kurz vor 7 und bald würde die letzte Loriot-Vorstellung beginnen. Mir war niemand gefolgt, es blieb ruhig und ich war jetzt sicher wie nie zuvor, dass ich es schaffen würde, mich in die Vorstellung zu mogeln.

Ich stieg in die nächste Etage und dann noch eine schmalere Treppe hoch, bis in einen Saal, der von einem Raumteiler begrenzt wurde. Ich horchte an dem Holz, Beifall war zu hören und dann hörte ich die Stimme von Loriot. So nah war ich also schon. Ich probierte, mit dem Dietrich den Raumteiler aufzuschließen, doch er passte nicht. Ich wurde langsam unruhig, ich wollte nicht nur noch den Schlussapplaus mitbekommen.

Aber ich kriegte den Raumteiler einfach nicht aufgeschlossen. Ich wollte es noch an einer anderen Stelle probieren, es musste doch noch einen Eingang geben. Immerhin war es ein Theater, das musste doch noch entsprechende Fluchtwege haben, falls es brannte oder so. Ich ging die erste Treppe wieder runter und dann links zu einer anderen Tür. Die war verschlossen, aber ich fummelte eine Weile mit dem Dietrich und bekam sie so auf. Hinter der Tür war ein riesiger Saal. Ich hätte hineinlaufen können, aber es schien mir, als würde mich das von meinem Ziel eher entfernen. Ich zog die Tür hinter mir zu und ging wieder die Treppe hinauf, als von unten jemand rief:

"Stehenbleiben! Keine Bewegung!" Ich blieb stehen und mit gezogenem Revolver kam ein Soldat die Treppe hoch. "Hände hoch!" fügte er noch hinzu. Er sprach in sein Funkgerät von einem Eindringling und daß er jetzt kommen würde. Ich musste vor ihm hergehen, die Hände weiter erhoben, und mir wurde klar, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Loriot-Abend stark gesunken war.

Es ging durch allerlei geheime Gänge und Flure. Ich hatte keine Ahnung, warum ich hier mit gezogener Waffe abgeführt wurde. Natürlich, Loriot war ein großer Mann, aber war das nicht etwas übertrieben? Es ging weiter durch einen langen Gang und da waren mehr Soldaten. Es wurde telefoniert nach irgeneinem Vorgesetzten und alle schienen ziemlich aufgeregt. Erst allmählich dämmerte mir, was passiert war: Der große Saal, in den ich geraten war, das war die Volkskammer gewesen.

Ich erklärte, so gut ich konnte, dass alles ein Versehen wäre. Dass ich ins Theater gewollt hatte. Aber das hielt sie nicht davon ab, ihren Vorgesetzten zu holen. Es war eine ernsthafte Sache, soviel war klar. Ich durfte mich hinsetzen, sie ließen mich auch rauchen und einer bewachte mich. Es passierte nichts mehr, sie ließen mich warten und ich saß da und die Zeit verstrich. Jetzt gab Loriot, keine 500 Meter von hier entfernt, vermutlich gerade eine Zugabe nach der anderen und ich saß hier und konnte nichts tun, als auf den Soldaten zu starren, der mich bewachte.

Glücklicherweise hatte ich einen Beutel mit einem Buch bei, "Die Buddenbrooks", und ich laß darin. Ich hörte, wie der eine Soldat telefonierte: "Er liest!" Eine Pause, dann kam er aus seinem Raum und nahm mir das Buch weg, ich hörte ihn weiter: "Thomas Mann, "Die Buddenbrooks", ein bürgerlicher Autor." Dann war es still und ich konnte mir in etwa denken, was sie sich zusammenreimten. Klar, da liest jemand bürgerliche Autoren, kein Wunder, dass er vorhat, sich in der Volkskammer zu verbergen, um dann den Staatsratsvorsitzenden in aller Öffentlichkeit mit der bürgerlichen Schwarte zu erschlagen. Doch der Soldat kam aus seinem Raum und gab mir das Buch zurück, ich durfte weiter lesen.

Die Stunden verstrichen, ich stellte mir vor, wie Loriot, gerührt von dem fabelhaften Applaus hier, die Zuschauer noch zu einer kleinen Feier einlüde, sich mit ihnen unterhielt und sicher auch noch seltene und nicht erhältliche Bücher signierte und verschenkte. Es dauerte noch lange und war schon nach Mitternacht, als endlich der herbeitelefonierte Vorgesetzte auftauchte und begann, mich zu verhören.

Ins Theater also hätte ich gewollt, ich wüsste doch, dass ich in der Volkskammer gewesen wäre? Was ich dazu zu sagen hätte. Aha, wer wäre denn dieser Loriot. Soso, ein westdeutscher Künstler. Wieso ich denn keine Eintrittskarte gekauft hätte. Das könne man doch nicht machen, wenn man keine Karte bekäme, könne man halt nicht rein. Ab und zu tippte er etwas in eine Schreibmaschine und er fragte weiter, immer weiter. Die Zeit verging, was ich lernte, aha, Schriftsetzer, bei der Druckerei des Ministeriums für Nationale Verteidigung, soso. Dann schrieb er wieder und fragte und tippte und die Zeit verging.

Nach Stunden mußte ich das sechsseitige Protokoll unterschreiben, ich blickte es nur kurz durch, um Gottes Willen! Was da geschrieben stand: zu einer Vorstellung "des Künstlers der Lorio" stand da geschrieben, Loriot ohne das "t" am Ende. Überhaupt hatte er das ganze Verhör in die absonderlichsten verqueren Sätze übersetzt. Alles was da jetzt stand, wirkte irgendwie verdächtig und dubios. Doch wenn ich bitten würde, es zu verbessern, dann würde es noch Stunden dauern, bei der Zeigefingertipptechnik des Verhörers. Also unterschrieb ich es. Der Soldat oder Polizist oder was das war ermahnte mich, nicht wieder zu versuchen, in die Volkskammer einzubrechen und dann konnte ich gehen.

Es war noch dunkel, aber bald würde es beginnen hell zu werden. Die Straßen waren leer und ich ging am Marx-Engels-Forum vorbei nach Hause. Es hatte keinen Sinn, auf eine Straßenbahn zu hoffen oder ein Taxi um diese Uhrzeit in Ostberlin 1988.

FH

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