Ausgabe 12 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Busy people

Wer spät nachts durch die Straßen Berlins streift, einer Laune folgt (oder einem zielstrebigen Grüppchen Fremder) in irgendwelche Hinterhöfe, der stolpert manchmal unversehens ins Phantasyland. Beats, Bässe, Licht und Farben beamen den Reisenden in laute, bunte, flüchtige Parallelwelten. Abgesehen von stimmungsvollem Lichtdesign und den obligaten Projektionen wabernder Einzeller haben sich im Umfeld von Clubs und Partykellern Kunstformen herausgebildet, die über das Schaffen von Ambiente weit hinaus gehen.

So zum Beispiel die Installationen der Gruppe PENTAKLON. Sie montieren ihre Super-8-Animationsfilme zu Loops oder lassen eigentlich statische Diaprojektionen mittels Spiegeln durch den Raum laufen.

Die großformatigen Malereien von Jim Avignon und DAG erheben nicht den Anspruch, komplexe Ideen zu transportieren. Ihre Kunst vermittelt eine visuelle Umsetzung der Musik, die in den Clubs gespielt wird. "Im Grunde arbeiten wir beide wie DJ's", erzählte DAG neulich dem ´New Musical Express´, "wobei meine Plattensammlung einem Fundus von Formen und Farben entspricht, Jims Sammlung besteht eher aus Motiven und Inhalten." Jim Avignons Bilder ähneln (Popsongs) mit ihren plakativen Szenerien, Figuren, Schriftblasen, Bildunterschriften... "Welcome to the high- speed-world". DAG's Arbeiten beziehen ihre Wirkung aus rythmischen Kombinationen von Formen und Farben, stehen abstrakten Musikstilen wie House oder Drum&Bass näher.

Ihren Fans ist es wichtig, daß die Bilder "gut aussehen" und ein "Lebensgefühl", vielleicht auch Schnelllebigkeit ausdrücken. Und der Kreis der Fans ist riesengroß, denn die beiden Maler haben in unglaublich schneller Abfolge in gut besuchten Clubs ausgestellt.

Schnelllebig sind die Bilder in der Tat. Wo andere Künstler sich monatelang auf eine Vernissage vorbereiten, entstehen bei DAG und Jim Avignon riesige Ausstellungen innerhalb weniger Wochen. Jim Avignon ist, nach unbescheidener Selbstauskunft "the fastest painter in the world", DAG«s Motto heißt "viel malen, schnell malen, überall malen". Sie malen auf große Papierrollen mit billigen Wandfarben, oft sind die Bilder nach wenigen Ausstellungstagen zerknittert, angerissen oder angebrannt. Kunstfreunde packt das Grauen, die Maler meinen: "Wenn jemand Wert darauf legt, sind die Bilder in kurzer Zeit neu gemalt."

Tulip-Enterprises nennt sich ein holländisches Künstlerduo, Paulus und Hans. "Vor einigen Jahren baten kunstsinnig-feinfühlige Freunde: ´Ihr könnt doch malen, malt uns ein paar Dekorationen!´, damals malten wir differenzierte kleinteilige Bilder", erzählt Hans. "Wir haben schnell bemerkt, daß in den dunklen Clubs die Mühe nicht lohnt. Außerdem fraßen die Lichter unsere Farbkompositionen. Wir haben angefangen, geradliniger, plakativer zu malen und das Licht in unsere Arbeit einzubeziehen."

Heute sind Tulips Bilder großformatige Mandalas - Blumen gleich entfalten sie ihre ganze Schönheit, wenn sie vom richtigen Licht bestrahlt werden. "Bei einem Bild haben wir unsere Technik auf die Spitze getrieben", beschreibt Paulus, "bei normalem Licht sieht man eine monochrom gelbe Fläche, bei Schwarzlicht wird ein Muster sichtbar, daß mit UV-aktiver gelber Farbe gemalt ist. Wenn das Schwarzlicht ausgeht, leuchtet eine weitere Ebene mit phosphoriszierendem Gelb auf, beziehungsweise nach. Gäbe es rote Teilchen in dem Bild, so wären diese immer zu sehen, würden aber bei Rotlicht ebenfalls verschwinden."

Manche dieser Bilder haben richtige Licht-Drehbücher, funktionieren auch in der Wahrnehmung wie kleine Filme, haben aber eine wesentlich intensivere Präsenz als eine reine Videoprojektion.

Licht- und Toninszenierung werden im Idealfall gekoppelt, z.B. grüne Scheinwerfer mit den Bässen und rote mit den Beats, so zirkulieren die Formen im Rythmus.

Tulip verkaufen ihre night-time-paintings nicht, sie vermieten sie. "Es hat eine Zeit gedauert, bis wir ein Selbstverständnis bekamen, keine "high-art" zu machen, sondern "populäre Kunst" Dafür erreichen wir Menschen, die sich sonst nie für Malerei interessieren und deren Reaktionen sehr unmittelbar ausfallen, im Vergleich zu kultivierter Galerienrhetorik." Man stelle sich junge Leute vor, die mit rotierenden Pupillen vor Gemälden stehen und rufen, "Das ist so geil, Mann!"

Schlußwort zum Tag: Club-Art ist vielleicht keine hohe Kunst, aber bestimmt High-Art!

UL

Tulips Dekorationen sind ab Mitte Juni im Lustgarten zu sehen, Dag & Jim Avignon gibt's bald zwischen zwei Buchdeckeln, "Busy" beim Gestalten-Verlag, DGV, erscheint im August, ISBN 3-931126-17-X

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