Ausgabe 11 - 1998berliner stadtzeitung
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Tod und Revolte

Bücherkauf ist Vertrauenssache

Es war wie immer; akuter Lesestoffmangel an einem der gewöhnlichen Sonnabende, an denen es hier immer elf Uhr morgens zu sein schien. Ich blinzelte in die Sonne, schlenderte und zwängte mich an den zahlreichen Tischen auf dem Bürgersteig vorbei. Die luftig-rot geschwungenen Leuchtschriften der Cafés, die Sonnenbrillen in der ganzen Modellpalette von Fielmann bis Ray Ban, dadrunter die üblichen grünen Flaschen. Man kannte sich oder schien sich zu kennen, ignorierte einander und ließ den Blick ins Ungefähre gleiten, etwas, das man in der Toskana gelernt hatte. Nur war hier keine Piazza, sondern, in der geographischen Mitte der Straße und am Ende des Horizonts all derer, der wie ich immer den Weg vom Mehringdamm nahmen, nur etwas, das sich Platz nannte und Tchibo-Standort war.

Seit einigen Jahren schon schien es hier unverändert zu sein. Die Trödler waren fast alle verschwunden, Anfang der neunziger Jahre schon, und mit ihnen die billigen Kaschemmen. Heute wohnten hier zumeist Ex-Studenten, die ihre Situiertheit unangestrengt zeigten; man wohnte hier und traf sich hier, hatte eine diesem Status angemessene gastronomische Versorgung erreicht; nur die ewig Gestrigen schafften es noch hin und wieder bis in die Junction Bar, und im Trash waren seit den immer wieder in den Geschichten von damals besungenen "legendären" Zeiten nur die wenigsten von ihnen gewesen. Überhaupt: War SO 36 nicht sowieso schon lange out?

An der Ecke Friesenstraße wurde es ruhiger. Mein Ziel hieß "Hammett", einer der zwei Buchläden in Berlin, der sich auf Krimiliteratur spezialisiert hatte. Ein für mich sympathisches Produkt der Überflußgesellschaft, seit drei Jahren hier in diesem Kiez, der sich ansonsten mit Läden präsentierte, die gleichermaßen teure wie überflüssige Dinge anboten. Ich ging durch den Vorderraum in die antiquarische Abteilung. Dort lagen sie, die Gebrauchten aus den USA und good old Britain, deren Cover oft so trashig daherkommt. Ich blätterte herum und gelangte irgendwo zu der Zeile "Why do you always end up here?" Allerdings verstand ich nicht ganz, ob der Typ mit der Browning in der Hand die Worte höhnisch, mitleidig oder ironisch hervorbrachte. "I... I don't know. The wind just kind of pushed me here". Das hatte ich mal irgendwo gelesen und mir schien es zu passen. Die Frau, die neben mir vor dem Regal stand, sah mich überrascht an, sagte aber nichts. Ich beschloß, es mit den deutschsprachigen Neuerscheinugen zu versuchen, die im vorderen Raum die Regale bis an die Decke einnahmen. Ich nahm mir Zeit. Hin und wieder betraten Kunden den Laden, Leute, die dem Kiez offenbar verhaftet waren, wohl auch Freunde der Inhaberin, fragten nach Bestelltem, dem neuen Reißer dieses spanischen Senkrechtstarters, nach einem Thriller, der unbedingt auf Sizilien spielen mußte oder nach dem Buch zur Serie "Für alle Fälle Fitz".

Ich hingegen war nicht in der richtigen ich-kauf-mir-heute-einen-Stapel-neue-Krimis-Stimmung. Schließlich griff ich auf Altbekanntes zurück. Den neuen Moore, den neu übersetzten Ambler, schließlich auch den neuen Noll. Ich überlegte, ob es wohl die neue Noll hieß und drehte mich um. Mein Blick blieb am Postkartenständer haften. Ein ernstes Gesicht mit riesigen Tränensäcken blickte mich unverwandt von mehreren Karten hinweg an. "Sind wir wirklich schon so weit", schien es mich zu fragen, "ich frage Dich, sind wir wirklich schon so weit, daß wir der Realität entfliehen, daß wir uns nicht mehr um unsere Nachbarn kümmern, sind wir wirklich schon so weit, daß für uns Mitmenschlichkeit, Solidarirät und Anteilnahme zu Wörtern einer vergangenen Zeit gehören? Sind wir schon so weit? Ich frage Dich!" Der rotblonde Adlatus neben dem Toupetträger schwieg. Sollten sie recht haben? Ich zahlte und ging.

Ich bog hinter der Markthalle ab, am Blumenladen vorbei und ließ in einer Durchfahrt den Verkehrslärm hinter mir; vorbei an den Plakaten, die zu Demonstrationen aufriefen oder zum Widerstand allgemein oder auch nur zum Besuch des hier beheimateten Kabaretts, vorbei auch an der Caféterrasse. Hier, im Mehringhof, gab es immer noch den "Schwarze Risse", ein Projekt, das nach Anarchie klang, nach einem Spiel mit Brüchen und Widersprüchen, das immer noch mehr war als nur ein simpler Buchladen: Kommunikationszentrum und Anlaufpunkt diverser Initiativen genauso wie Kleinverlag. 1980 waren sie hierhergezogen, typisches Produkt der Anti-AKW-Bewegung, voller Enthusiasmus und immer dabei, mit zwischen Buchdeckeln gepackten Analysen das wahre Gesicht des Kapitalismus hervorzuzerren.

Die Zeiten hatten sich geändert, die Einbände waren jetzt zumeist solider gearbeitet; das Programm aber bewies Kontinuität: Politische Theorie und Dritte Welt, Ökonomie und Feminismus. Die Krimi-Ecke gleich vorn am Anfang mochte so etwas wie ein Zugeständnis an das Publikum sein, allerdings waren die reaktionären Schinken aus der Welt New Yorker Anwaltskanzleien noch immer verpönt.

Immer noch bildeten die drei Betreiber ein Kollektiv und immer noch standen sie, scheinbar immer ein wenig zu warm gekleidet, im Souterrain und hatten auch Sandino-Café und Öko-Tee im Angebot.

Ich ließ mich von den Farben in den Regalen treiben und überlegt kurz, ob ich mir die neueste Ausgabe des Antifaschisten Infos oder der ZAG - Antirassisitische Zeitung-, des Ölolinx, der Lateinamerika-Nachrichten oder ein ganz anderes Blatt aus den vorhandenen mehreren Dutzend greifen sollte. Ich las etwas im allerneuesten Kuczynski, lies mich von Basam Tibi belehren und setzte mich schließlich mit einigen wahllos herausgegriffenen Büchern aus der Abteilung Internationale Beziehungen auf den Hof.

Anfang der neunziger Jahre hatte es schlecht ausgesehen. Die Szene hatte an Elan verloren oder war nach Osten gewandert, wo die Freiräume plötzlich größer erschienen; das Publikum war überschaubarer geworden und hatte aber nicht unbedingt an Kaufkraft hinzugewonnen. Der Buchladen hatte sich halten können, knapp.

Ich blinzelte in die Sonne und beobachtete die eifrigen Schrauber, die das Angebot des Fahrradladens, sich kostenlos Werkzeug leihen zu können, in Anspruch nahmen: Immer noch war Hennarot dazwischen, aber viele von ihnen waren jung und ihnen schienen nicht so wichtig, daß es nicht irgendein, sondern der selbstverwaltete Fahrrradladen war. Und sie kamen auch nicht unbedingt, um den ganzen Tag hier zu verbringen, in einem der vielen Projekte, die sich etwa um die Flüchtlinge kümmerten, Obdachlose oder den Weihen innerlinker Diskurse frönten. Und sie würden auch nicht unbedingt in das immer noch und immer mal wieder selbstverwaltete Ex gehen, um den politisch korrekten Cafe zu trinken.

Das selbstverwaltete Efeu blickte wohlwollend auf die Szenerie, die ideologische Entkrampfung schien ihm zu gefallen, und wohl auch der verhaltene Aufschwung, der nach einer Zeit der Agonie und der zunehmenden Frustration sich hier vorsichtig wieder zu etablieren schien.

Ich blätterte ein wenig, schaute auf die Uhr und lehnte mich zurück. Für Dusshubel blieb immer noch genug Zeit.

Sören Matthies

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