Ausgabe 11 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Das c-base-Projekt

Archäologische Streifzüge durch die Zukunft

An einem verregneten Nachmittag im Sommer 1995 stolperte Clark* über ein herumliegendes Teil irgendwo nördlich des Alexanderplatzes. Verärgert trat er nach dem schrottigen Objekt und fluchte sofort, weil es so hart war. Dennoch besah er sich das Teil genauer und bemerkte neben einer komischen Farbe (metallisch-violett) erstaunliches: auf diesem irgendwie nicht in diese Umwelt passenden Stück Schrott waren Schriftzeichen eingraviert, die dem Hobbyethnologen äußerst seltsam vorkamen. Also grub er das Teil ganz aus und brachte es zu einem befreundeten Radiochemiker. Mit Hilfe des Kohlenstoff-14-Tests fand er heraus, daß es, nach irdischem Ermessen, mindestens 100000 (!) Jahre alt sein müßte. Auf der Oberfläche entdeckte er zudem irdische Schriftzeichen:

"c-base project - be future compatible".

Weitere Nachforschungen ließen noch weiteres zum Vorschein kommen: Kleidung, Computerbausteine, unbekannte Materialien und Artefakte. So wurde ziemlich bald vermutet, daß es sich um verschollene Teile eines sehr alten Raumschiffs handeln mußte. Es wurde der c-base e.V. gegründet und Räumlichkeiten in der Nähe der Fundstelle gemietet, in der Hoffnung, durch den Keller weitere Teile zu erreichen und an der Rekonstruktion arbeiten zu können.

Außenkontakt I

Es war im Februar diesen Jahres auf dem Video- und Medienfestival transmediale. Ein sogenanntes event war angekündigt. Die Gruppe c-base wollte sich vorstellen. Auf der Bühne war ein Podium aufgebaut. Ein Wissenschaftsjournalist sollte die Moderation übernehmen. Um ihn herum saßen Aktivisten der c-base, rein optisch eine Mischung aus Harley-Davidson-Fahrern, alternativen Familienpapas, kiffenden Freaks und straighten Informatikern. Bevor das Gespräch richtig losgehen konnte, fiel im Saal des Podewil, wo die Veranstaltung stattfand, das Licht aus und die Gesprächsrunde wurde frühzeitig gesprengt. Ebenfalls anwesende Mitglieder eines c-base-Außenteams hatten im Keller ein sogenanntes Artefakt geortet, das sie unverzüglich rekonstruieren und mit c-beam kurzschließen wollten. c-beam ist das Herzstück von c-base, ein neuronal-holographischer Speicher, der alle möglichen Daten verwaltet. Man kann sich c-beam als eine Art HAL vorstellen (der sprechende Computer aus dem Film 2001), der über eine angenehme weibliche Stimme mit der Außenwelt kommuniziert. Es gelang dem c-base-Team mit Hilfe einer mobilen Außenstation Kontakt zu c-beam herzustellen, und schließlich wurde die Echtheit des Artefakts bestätigt. Das war alles sehr beeindruckend. Nebenbei erfuhr man ein bißchen mehr über das c-base-Projekt, das sich ganz offensichtlich in einem Zwischenstadium von Realität, wie wir sie kennen, und einer Spezial-Realität bewegt. Demnach verfolgt der c-base-Verein das Ziel, im Rahmen einer selbst erfundenen Science-Fiction-Realität (vor 2 Milliarden Jahren ist ein Raumschiff auf die Erde geknallt; da, wo heute BerlinMitte ist) archäologische Grabungen vorzunehmen, die unter dem Vorwand, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, absolut zukunftsorientiert sind. Die c-base, so der Eindruck, den sie im Podewil hinterlassen haben, ist ein Laboratorium von Leuten (Maschinen, Ideen), die grundsätzlich an die Existenz einer Zukunft, sowie an deren Gestaltbarkeit, glauben und in einem spielerischen Verfahren althergebrachte Konzepte von Identität und Authentizität erbarmungslos und zum Vergnügen aller Beteiligten miteinander verwursten. c-base ist ein Science-Fiction-Spaß in Echtzeit und Echtwelt.Außenkontakt II

Die Homepage von c-base im Internet. Am Start muß man wählen, ob man die terranische Standardschrift ("Neulingen empfohlen"), oder die universelle Piktogrammschrift benutzen möchte. Danach taucht man in ein Paralleluniversum ein, das sich in die sieben Ringe des Raumschiffes c-base aufgliedert, und eine Vielzahl von mehr oder weniger kryptischen Texten, Bildern und Grafiken auf den Bildschirm befördert. Der Live-Eindruck aus dem Podwil wird insofern bestätigt, als es sich um eine konsequente Struktur handelt, die Fiktion und Realität wild und gekonnt zueinander in Beziehung setzt. Immerhin läßt sich ermitteln, daß man Mitglied in dem c-base e.V. werden kann. Die monatliche Gebühr beträgt 30 DM. Dafür kann man unbegrenzt einen Internet-Zugang nutzen und sich an sonstigen Vereinsaktivitäten beteiligen. Es finden Computerkurse, Spacemeals und diverse andere Veranstaltungen statt. Außerdem wird offensichtlich ein zwangloser Austausch über die Fixierung ästhetischer und medialer Maßstäbe und die Entwicklung sozial-kultureller und wissenschaftlicher Neuerungen gepflegt.

Innenkontakt

"Eine Space-crew aus der Zukunft auf geheimer Mission in die Vergangenheit, allesamt alles andere als vorbildlich, landen im Jetzt, in Berlins Mitte, auf der Suche nach Ordnung." So liest sich der Ankündigungstext einer an Fernsehvorbildern orientierten Performance, die in fünf einmaligen Vorstellungen im c-base-Hauptquartier in der Oranienburger Str. 2 stattfinden soll. Und erneut stellt sich ein augenblickliches Wiedererkennen ein. Die c-base-Räume sehen aus, wie man sie sich vorstellt. Ein langgezogener Schlauch, ausgekleidet mit Terminals, Platinen, allerhand anderem Computerschrott und einer Space-shuttligen Bestuhlung, in eine elektronische Akustikberieselung gewandet. Sehr spacig, sehr trashig, wie die imaginierte Kulisse eines No-Budget-Science-Fictionfilms in einem Frühwinter-Drogenrausch. Die vier Darsteller der friendship performance company hätten sich keinen besseren Platz für ihr "Deep Space No" betiteltes Mini-Drama aussuchen können. Die erste Performance ist ein zeitlupenhaft gedehntes Spiel von vier androiden Charaktern, die hoffnungslos in einer unbekannten Zeit versackt sind. Ein Raumschiff-Commander am Ende seiner Tage, weinerlich, selbstmitleidig und zu autoritärem Wahnsinn tendierend, versucht verzweifelt eine unerfüllbare Mission zu Ende zu bringen. Eine ewig lächelnde Service Mate, genannt Beta Clone, tapst umher und bietet sich an ("Dienstleistung ist die totale Hingabe"). Eine ältere, weise wirkende Frau, quatscht kosmisch-esoterisches Zeug, hat aber irgendetwas Mörderisches an sich und wird schließlich zur Erkundung der Außenwelt losgeschickt (das ist quasi die Handlung). Schließlich gibt es noch den ziemlich debilen Bordtechniker alias Programmierer, der gar nichts auf die Reihe bringt und in höchsten Tönen seine Nix-geht-mehr-Meldungen dem zunehmend entnervten Commander Cecil Rhodes Grundenstroem mitteilt. Eine fast gar nicht spekulative Metapher auf orientierungslos gewordenes Leben, das nach 45 Minuten Spieldauer vom externen Publikum und den anwesenden Vereinsmitgliedern begeistert beklatscht wird. Zufällig eingefangener After-Show-Dialog: "Das war schon sehr abgefahren. Man hätte vorher was kiffen sollen." Zurückgrinsender Nachbar: "Kann ich nur bestätigen. Ich hatte das Vergnügen."

Danach ein Gespräch mit Thilo, der von Anfang dabei ist, über den Verein, der, wie sich jetzt herausstellt, wie ein Club funktioniert. Man trifft sich abends zu einem Bier oder einer Afri-Cola oder man kommt nur zum Chatten oder Surfen (Internet-Beschäftigungs-Techniken) her. Thilo arbeitet tagsüber bei Siemens-Nixdorf als Systemtechniker und der Club ist ein Privatvergnügen. Er hat unter anderem ein Programm geschrieben, mit dessen Hilfe man sich auf einem persönlichen Computer-Konto Getränke abbuchen kann. Der Vorgang der Abbuchung wird von einer Computerstimme begleitet. Die Afri-Cola kostet 1,69 DM (anstatt 1,70 DM), "weil GFA-Basic" (der Programmcode, in der das Programm geschrieben ist) "einen kleinen Fehler in der Fließkomma-Arithmetik hat", kommentiert Thilo lächelnd. Wenn er sich selbst ein Bier abbucht, erscheint auf dem Bildschirm: "Großer Meister Cyrion, was wünschst Du?". Diesen Spruch notiert sich gleich Lars*, der das auch noch nicht kannte, in ein großes Buch, das er Bordbuch nennt. "Chronicle Service", wirft Thilo ein. Das Bordbuch ist eine Art Club-Tagebuch, das aber erst, wenn es voll geschrieben ist, eingesehen werden darf. Das wird frühestens im Sommer 1999 soweit sein. Bis dahin schreibt Lars alles auf, was ihm am Clubleben so auffällt und läßt niemand hineinsehen. In einem Nebenraum, der auch als Seminarraum benutzt wird, sitzen mittlerweile Leute vor den Bildschirmen und spielen. Andere hängen vor einer Videogroßleindwand ab und gucken den Kultfilm "2001" ohne Ton, als hätten sie ihn noch nie vorher gesehen. Alles sehr entspannt mitten in Mitte in der Zukunft.

Stefanó

*Namen frei erfunden

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