Ausgabe 11 - 1998berliner stadtzeitung
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Neutronensternmäßig

Folkmusik für die 90er - ein Dossier über die Band Rope

Wenn es wirklich noch eines Beweises bedurft hätte, zu welchen Transformationshöchstleistungen elektronische Musik als Prinzip befähigt, dann ist er mit "Hotel", der ersten Platte von Rope, endgültig aktenkundlich zu vermerken. Denn: "Meine Lieblingsanekdote", kündigt JayRope mit breitem Grinsen sein folgendes Bekenntnis an, "Ich war eine Folkband". Nun könnte man vielleicht versuchen, aus dem Bob Dylan-Schmöker "Basement Blues" vom amerikanischen Pop-Mythen-Forscher Greil

Marcus ein wenig die dunklen Seiten des mystifizierten Kakteen-säumten-seinen-Weg-&-Cowboys-reiten-noch- Folk zu destillieren und eine Analogie mit Ropes Dunkelkammer-Dub herbeifabulieren, aber lassen wir das lieber. Mit klageliedrigem Ich-und-der-einsame-Zug-Bob - Dylaneskem hat "Hotel" ungefähr soviel gemeinsam wie der Papst mit dem allerersten Zungenkuß seines Lieblingsbischofs: vielleicht irgendwas und wenn, dann muß man schon genauer hinsehen, aber eigentlich ist das alles schon ziemlich lange her.

JayRope, Kopf von Rope und Autor sämtlicher Stücke von "Hotel" kann Folk nämlich generell schon gut leiden und versuchte sich an Folk-Musik im Bandformat. Irgendwann landete JayRope aber in Austin (Texas), einer "Stadt mit ungleich höherer Lebensqualität als Berlin. Über 40 Live-Clubs und überall was los. Aber an jeder Ecke hängen quengelige Straßenmusiker rum und tragen ihren weinerlichen Kram vor." Letztgenannte haben dem netten Mitdreißiger dann endgültig die Vorstellung geraubt, daß Folk-Music in den Neunzigern nicht unbedingt bloß ein Fall für birkenstocklatschige Authentizität suchende Traveller ist. "Beck meinte einmal, daß er eigentlich Blues machen wollte. Aber er sah sein Publikum immer im Schneidersitz vor ihm seine Show mitzelibrierend. Diese Halbreligiösität ging ihm enorm auf die Nerven", versucht JayRope seinen Standpunkt klarzumachen, der mit Beck die Ablehnung von puristischen Reinheitsgeboten teilt.

Doch wie kann man einen Fisch entgräten ohne ihn zu berühren?

Gar nicht. Aber noch viel wichtiger: Was bitteschön macht überhaupt ein Berliner mit Akkordeon (JayRopes "eigentliches" Instrument, das auch bei Rope-Konzerten gelegentlich ausgepackt wird) in Austin? "Ich habe dort auf mexikanischen Hochzeiten gespielt. Tex-Mex. Ich konnte da mit dem Akkordeon alles mögliche ausprobieren. Elektronisch verstärken und so - Krautrock auf Tex-Mex. Egal wie abgefahren das dann klang, die Leute tanzten dazu und gingen richtig dabei ab". Und wenn man sich nun zu dieser Erklärung ein Bild ausmalt, in dem zur untergehenden Sonne auf einem weiten Feld, die Silhoutte der Stadt dahinter leuchtet in einem beinahe unwirklich scheinenden Blutrot, von Margaritas erhitzte Leiber tanzen als gäbe es kein morgen mehr, kann man sich ungefähr ausmalen, wie in JayRope die Erinnerung an diese Zeit den Grundstein für seine elektronische Arbeit auf "Hotel" gelegt hat: "Unter diesem Eindruck von Hitze, Weite und Ekstase sind die ersten Stücke für Rope entstanden." Hitze und Weite - das wird in "Hotel" zu Fläche und Flirren, zu endlosen Loop-Gebäuden und ausgedubter verbrannter Erde. Und Ekstase wurde zu Ende gedacht, zum Luftholen, und der einfachen Überlegung, mit welcher Erinnerungstechnik aus Tex-Mex-Margarita-Folk-Geflirre Musik werden soll. "Ich bekam die Idee für einen irgendwie neutronensternmäßigen Sound, der zu modalen Tracks komprimiert werden sollte." - Berlin-Texas - das ist bloß was für Langweiler wie Wim Wenders - für wirklich coole Menschen muß es schon auch noch ein Neutronenstern sein.

Nach einem halben Jahr war trotz Musik auf allen Hochzeiten das Geld eh alle und die Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen. In Berlin wurde erst noch eine Erbschaft gemacht, der Maschinenpark für Einsteiger zusammengekauft, der Computer aufgerüstet und Knöpfchen gedreht und Tasten gedrückt bis die Finger bluteten. Irgendwann hat dann mal Alec Empire (wer denn auch sonst?), Berlins größter Popstar seit Marlene Dietrich, vorbeigeschaut. Dem wurde schnell ein Rough-Mix von ein paar Stücken in die Hand gedrückt und schon war der Plattenvertrag für das von Alec "Riot!!!" Empire neugegründete "Geist"-Label in der Tasche. Alec "Burn, Berlin, Burn!!" Königreich wählte unter den 14 Stücken sieben aus (die Stücke mit Vocals sind alle unter den Tisch gefallen) und fertig war "Hotel" - eine Platte übrigens, die auch in Zeiten, in denen man mit dem Label "Postrock" gleich zehn Prozent mehr Platten verkauft, weder Post-, noch Krautrock ist oder zumindest den Anspruch erhebt, nichts davon zu sein. JayRope: "Auch wenn ich mich manchmal mit meinem Keyboardspiel bei Live-Improvisationen verdudel, den Begriff Krautrock halte ich für eine Beleidigung. Weder mit Rock noch mit Kraut kann ich besonders viel anfangen." Und "Postrock" kommt eh bloß im Postpopjournalismus vor, in dem alles, was rockt und gleichzeitig elektronisch fiepst und electroakustisch wabert, darunter pflichtgelabelt werden muß - was sollen Popjournalisten denn auch sonst machen?

Wie können wir diese Art von Musik denn dann wortgewanden? Postkrautrock in der Hoffnung, daß zweimal nein ja ergibt? Oder FunkyJazzyDubLoungeCore? Vielleicht ist aber letztendlich doch Folk am treffendsten - Folk für die Neunziger.

Andreas Hartmann

ROPE- "Hotel" - Geist/Indigo

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  Ausgabe 11 - 1998