Ausgabe 11 - 1998berliner stadtzeitung
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Ventura Film und das FilmFest Potsdam

Mutige Filmverleiher in Berlin - so heißt eine neue Reihe, die in unregelmäßiger Folge Firmen vorstellt, die sich um den ungewöhnlichen Film im Kino verdient machen.

Es ist fast der Hackesche Markt, aber es sind nicht die Hackeschen Höfe. Die Rosenthaler Str. 38 wartet noch auf eine Luxussanierung. Der Hinterhof ist geprägt von Cafégästen, die nicht so recht ins brüchige Ambiente zu passen scheinen... Im Erdgeschoß des Hinterhauses residiert die Tanzschule Schmidt, im ersten Stock etwas unscheinbarer die Firma Ventura Film. Seit Januar 1996 ist Ventura eine eigenständige Firma, aber noch immer schwebt über allem der Sputnik-Konzern. Personalunionen sind nicht so einfach zu entflechten und so gibt es neben Ventura auch immer noch die "Vorgänger"firma Sputnik Filmverleih, dessen Noch-Geschäftsführerin Heidrun Podszus gleichermaßen Inhaberin von Ventura Film ist. Die Sputnik Film GmbH & Co Kino KG ist in Auflösung begriffen, das Kollektiv teilt auf.

Nimmt man sich das 97er Verleihprogramm zur Hand, findet man einige der schönsten Filme des letzten Jahres: "Ivan und Abraham", "Haben (oder nicht)", Ken Loachs "Carlas Song" sowie Dokumentarfilme: die Klezmer-Hommage "A Tickle in the Heart" oder den lyrischen Ausflug zu den "Salzmännern von Tibet". Zehn Filme waren es insgesamt und es scheint fast übermenschlich, was drei Leute da geschafft haben. Allerdings ist ein solcher Parforceritt kaum wiederholbar, zu kräftezehrend ist die Verwertungsmaschinerie. "Die Marktsituation für Programmkinofilme verschlechtert sich fast monatlich. Das liegt daran, daß mit immer höheren Werbeetats immer höhere Kopienzahlen in immer kürzerer Zeit ausgewertet werden", sagt der Pressemann Arne Höhne.

Das Größerwerden ist schwierig und auch nicht um jeden Preis gewollt. Die Cannes-Renner landen anderswo; erst wenn Filmlizenzen nicht mehr vollständig angeboten werden, weil z.B. die Fernsehrechte fehlen, steigt Ventura ein. Mindestgarantien für den Lizenzgeber (Produzent oder Vertrieb) kann das Drei-Mann-Unternehmen nicht bieten, statt dessen aber "eine gewisse Qualität der Auswertung". Die Werbekampagnen von Ventura sind zielgruppenorientiert - eine notwendige Voraussetzung gerade bei Dokumentarfilmen. Eine kleine Abfederung stellen die vielbeschworenen und auch -gescholtenen Filmförderungen dar. Ihre föderale Struktur erfordert Leistungen und damit Steuereinnahmen im jeweiligen Bundesland. Die exotischsten Blüten treiben dann jene Forderungen nach der Kopienherstellung z.B. in Baden-Württemberg, das gar kein eigenes Kopierwerk besitzt, sondern nur den Ableger eines schweizerischen Unternehmens. Ergo wird der Auftrag in der Schweiz ausgeführt, was letztendlich dreimal so teuer ist wie die Herstellung im Ursprungsland des Filmes. Vom bürokratischen Aufwand ganz abgesehen. "Hier werden die Förderungen auch andere Lösungen finden müssen, z.B. daß man bei kleinen Firmen wie uns von diesem Prinzip abkommt und zu einer strukturellen Förderung übergeht."

Trotz Abfederung und Vorsichtsmaßnahmen: eine planbare Stabilität am Markt gibt es nie. Wenn Filme floppen wie "Carla´s Song" mit nicht einmal 20000 Zuschauern, dann liegt das in erster Linie an der plattmachenden Konkurrenz. Zur gleichen Zeit mit "Carlas Song" starteten im Oktober letzten Jahres "Das fünfte Element", "Men in Black", "Bean". In zweiter Linie ist es aber auch die mangelnde Reaktion auf die Kenntnis dieses rollenden finanziellen Ungeheuers, das 90% aller Zuschauer an sich band. Im Januar war man klüger und startete "Devil´s Island" des Isländers Fridrikssons erst eine Woche nach "Titanic". Aber selbst Renner wie "Haben (oder nicht)" mit 50000 Zuschauern sind für große Verleiher Peanuts, denn lediglich 43,6% der Eintrittseinnahmen fließen an den Verleih zurück. Nach Abzug aller Vorkosten (Filmkopien, Werbung) geht in der Regel die Hälfte an den Lizenzgeber.

Neue Filme sind bislang nur vage in Aussicht. Arne Höhne verrät dann aber doch einen konkreten Titel, der im Herbst erscheinen wird: der Bundesfilmpreisträger "Kinderland ist abgebrannt" von Sibylle Tiedemann und Ute Bandura.

Besonders wichtig ist Arne Höhne der eigentliche Grund für den zurückhaltenden Neufilmeinsatz. Überraschend wurde Ventura Film vor wenigen Monaten mit der Ausrichtung des FilmFestes Potsdam (3. bis 7. Juni) betraut. Der bisher unter Leitung von Irina Knochenhauer stehende "Europäische Salon für Liebhaber des jungen Films" hat in fünf Jahren den Durchbruch zu einem beachteten Publikumsfestival nicht geschafft. Das diesjährige Hauptmotto heißt "Reality Bites". Arne Höhne umschreibt das mit "näher am Leben sein" und meint damit sicher auch die Abgrenzung zur bisherigen Auswahlpolitik. Zu sehen sind so vielversprechende Filme wie Stefan Ruzowitzkys österreichischer Heimatfilm "Siebtelbauern" mit einer vergleichsweise zahmen Sophie Rois und Lars Rudolph, Anne Fontaines subtiles Psychospiel "Nettoyage ˆ sec" mit Miou-Miou oder der britische Film "My Son the Fanatic" von Udayan Prasad. Larmoyanz ist beim diesjährigen Filmfest nicht angesagt, dafür aber eine ernsthafte Konfrontation mit rechter Gewalt: "Rechte Kerle - Lifestyle mit Todesfolge". Von der anhaltinischen Entwicklung wußte bei der Planung noch niemand - wie das Leben eben so spielt. Die Filme: Mike Leighs "Meantime", das frühe Achtziger-Jahre-Porträt einer illusionslosen britischen Jugend ist der Klassiker des Programms. Darüberhinaus sind Roland Steiners einzige DDR-Dokumentation zum Ausbruch der Jugend aus vorgegebenen Bahnen "Unsere Kinder" oder Bonengels "Beruf Neonazi" und Rüdiger Sünners Versuch, in "Schwarze Sonne" den mythologischen Wurzeln des Nazismus auf die Spur zu kommen, zu sehen.

Eine Kinderfilmreihe gibt es ebenso wie Produktionen aus Berlin-Brandenburg zu sehen sind. Die Hommage ist Joachim Krol gewidmet. Das Programm läßt auf Besucherzuströme hoffen.

Berit Wich-Heiter

Infos: im Internet unter: http://www.brandenburg.de/filmfest oder in den Potsdamer Kinos: Thalia, Filmmuseum und Studiokino Babelsberg.

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