Ausgabe 07 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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So nimm denn meine Hände

Das Abgeordnetenhaus beschloß die Bezirksreform

Von Bockigkeit keine Spur: Kaum ist die Bezirksreform beschlossen, zeigen sich die Mitarbeiter der Bezirksverwaltungen durchaus kooperativ, kreativ und aufgeschlossen, wie nachstehender Brief zeigt, der der Redaktion zugespielt wurde.

SPD und CDU feierten die Bezirksreform als einen der tatsächlich raren Erfolge der Großen Koalition. SPD-Fraktionschef Klaus Böger drohte gar mit Bussis, die er aus diesem Anlaß verteilen wollte. Im Jahr 2001 wird es nur noch zwölf statt 23 Bezirke geben, der Beschluß ist nach langen Debatten und Zitterpartien um abtrünnige Abgeordnete in Sack und Tüten, nur eine ganze Kleinigkeit wurde vorläufig noch verschoben: die Bedingungen, unter denen die Bezirke fusionieren sollen, werden erst im Mai beschlossen.

Mit der Bezirksfusion sollten die Bezirke auch mehr Aufgaben von den Senatsverwaltungen übernehmen. Doch welche das sein werden, ob mit den zusätzlichen Aufgaben auch zusätzliche Personal- und Sachmittel und mehr Entscheidungsspielraum verbunden sein werden, ist derzeit noch völlig offen. So wissen die Bezirke noch nicht, ob sie sich auf zusätzliche verantwortungsvolle Aufgaben wie den Hunde- und Katzenfang konzentrieren dürfen oder sich auch mit Grundstücksfragen herumschlagen müssen, die bisher der Senatsverwaltung oblagen. Denn die Senatsverwaltungen geben höchst widerwillig Zepter aus der Hand - der Gestaltungswille ist einfach nicht zu bremsen, und die unmittelbare Nähe zum Bürger wollen die Senatsmitarbeiter auch ungern missen.

Freude herrschte in den Bezirksverwaltungen auch aus einem anderen Grund: Vor zwei Jahren war den Bezirken erlaubt worden, die Verwaltungsreform auf den Weg zu bringen und "Leistungs- und Verantwortungszentren" (LUVs) nach den spezifischen Bedürfnissen und Strukturen des jeweiligen Bezirks zu stricken. "Das hat uns viel Spaß gemacht", berichtet ein Mitarbeiter des Bezirksamtes, der vorsichtshalber namentlich nicht genannt werden möchte, "deswegen freuen wir uns, damit noch einmal von vorn anfangen zu dürfen."

Zeit, die sonst in den Bezirksverwaltungen nur mühsam und sinnlos totgeschlagen wurde, wird nun mit einer beliebten Beschäftigung gefüllt: Das Würfeln, welcher Amtsleiter in den Doppel- und Dreierpacks im Rennen bleibt. Ganz abgesehen von der allerwichtigsten Frage: nämlich, wie die zwölf Bezirke künftig heißen sollen. Als heiße Tips werden inzwischen die Namen der zwölf Apostel, der zwölf Tierkreiszeichen oder der zwölf Geschworenen gehandelt. Denkbar wäre auch die Benennung nach Senatoren. So könnte der künftige Regierungsbezirk Mitte-Wedding-Tiergarten nach dem Bezirksreform-Häuptling Schönbohm benannt werden; "Klemann" soll künftig der Bezirk mit den meisten Golfplätzen heißen. Wie auch immer: "Die Bevölkerung braucht endlich Sicherheit", kommentiert der Weddinger Bezirksbürgermeister Hans Nisblé (SPD) die Namensfrage. Nisblé, zuvor destruktiv-starrsinniger Gegner der Bezirksreform, hatte sich schließlich von deren Nutzen überzeugen lassen, als ihm das neugebaute Rathaus von Mitte statt des etwas unübersichtlichen von Prenzlauer Berg winkte. Eine nachvollziehbare Entscheidung.

Dies ist allerdings erst Stufe 1 der Bezirksreform. Intern wird bereits über Stufe 2 verhandelt. Sie sieht vor, die zwölf Bezirke auf vier Sektoren zu reduzieren, die parteienparitätisch unter CDU, SPD, Bündnisgrünen und PDS verteilt werden sollen. Der FDP fiele - so sie dann noch existiert - Staaken West zu. Dies würde allerdings de facto auch die endgültige Abschaffung des Senats bedeuten, weshalb das Vorhaben in den Senatsverwaltungen nicht ganz unumstritten ist.

us

Bezirksamt xyz von Berlin
Abteilung Volksbildung - Kulturamt
Kutte-Murx-Str. 141

An den Meister
des noch wichtigsten Kulturamtes
Dr. phil.h.c.Dr.rer.ök.h.c. Thomas Liljeberg
27.3.1998

Lieber junger Freund!

Es ist mir ein tiefstes Bedürfnis, Ihnen ganz herzlich zu der großartigen Entscheidung unserer Regierung am gestrigen Tage zu gratulieren und freue mich, Sie nun endlich aus Ihrer lästigen Ostzonen-Umgebung zu uns emporsteigen zu sehen. Nutzen Sie die Chance, und nutzen Sie alle Hilfsangebote, die Sie von uns und unseren Freunden erhalten. Seien Sie sicher: Wir lieben euch alle. Stellvertretend für Westberlin hat sich der Bezirk Wedding ja dankenswerterwerise bereitgefunden, die ersten Tests (Allergie, AIDS), Quarantäne und Diäten mit Ihnen durchzuführen. Die Vereinigung der Kliniken Virchow und Charité sind ja auch hervorragend gelaufen, nur wenige Patienten sind bei den Hin- und Hertransporten gestorben. So mag es auch Ihnen ergehen. Wie bereit Wedding für Sie ist, zeigen die Worte des Herrn Bezirksbürgermeisters Hans Nisblé (dem Sie übrigens in einem entscheidenden Punkt ähnlich sind: Er liebt Frauen - jeweils kürzerfristig.) Ich zitiere aus dem Tagesspiegel (ja, den sollten Sie nun endlich auch abonnieren) vom 26.3., S.12: "Und Mitte? War unser Partnerbezirk nach der Wende´, sagt er. Soll heißen: auch kein Gegner. Nisblé: Man wird erstmal lernen zuzuhören und dann die Leute an die Hand nehmen.´"

Im Sinne des wunderschönen Kirchenliedes von Paul Gerhardt wünsche ich Ihnen im Namen des verehrten Herrn Bezirksbürgermeisters Nisblé:

"So nimm denn meine Hände
und führe mich,
bis an mein selig Ende
und ewiglich.
Ich mag allein nicht gehen,
nicht einen Schritt.
Wo du wirst gehn und stehen,
da nimm mich mit."

Gott segne Sie, junger Freund!
Eine Freundin, die es gut mit Ihnen meint.

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