Ausgabe 07 - 1998berliner stadtzeitung
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Let´s Waltz

Sasha Waltz ist spätestens seit ihrem Erfolgsstück "Allee der Kosmonauten" eine feste Größe der Berliner Tanzszene. In den letzten Wochen geriet sie in die Schlagzeilen der Feuilletons, weil sie mit zum neuen Führungsteam der Westberliner Schaubühne gehören soll. Am Oster-Wochenende ist erstmals in Berlin ihre Trilogie "Travelogue" komplett zu sehen. Es ist auch eine Gelegenheit, die Tänzerin Sasha Waltz noch einmal zu erleben, da sie sich in Zukunft ganz auf die Choreographie und Leitung ihrer Tanzgruppe konzentrieren wird.

Es ist noch nicht so lange her, da war für die Choreographin Sasha Waltz die Schaubühne nur ein Theater, das weit im Westen liegt. Eine entfernte Theatergalaxis am Kudamm. Das änderte sich schlagartig, als sie vor ein paar Wochen gefragt wurde, ob sie nicht Mitglied der neuen, künstlerischen Leitung der Schaubühne werden will. Als sie das hörte, konnte sie es erst nicht glauben. Bei näherem Hinsehen war die Schaubühne nicht irgendein Theater, sondern das aus der 68er-Revolution hervorgegangene Vorzeigetheater des jungen, liberalen Deutschland. Von der Geschichte zwar mittlerweile (politisch, künstlerisch und geographisch) etwas (links) liegen gelassen, aber immerhin ein legendäres Theater. Vor allem ein Theater mit einer großen, modernen Bühne ohne Portal, wie geschaffen für modernen Tanz, wie er Sasha Waltz vorschwebt. Um sich vor Enttäuschungen zu schützen, wollte sie es dann nicht glauben. Aus ziemlich heiterem Himmel (in Gestalt von Thomas Ostermeier) wurde das Angebot zu einem Zeitpunkt an sie herangetragen, als sie (gemeinsam mit Partner Jochen Sandig) gerade darüber nachdachte, wie sie ihr kleines, erfolgreiches Tanzensemble festigen und weiterentwickeln könnte. Wie man den lieb gewonnenen Spiel- und Probenort Sophiensäle auch in finanzieller Hinsicht zu einem erfolgreichen Projekt machen könnte. Wie man es einfach machen könnte, in künstlerischer Hinsicht frei und unabhängig zu arbeiten, ohne sich permanent mit Geldfragen zu beschäftigen. Obwohl ihre Tanzstücke längst international (auf vielen Festivals) eingeladen und gefeiert sind, änderte sich an den Arbeitsbedingungen nur wenig.

Sasha Waltz hat einen Ruf als herausragende und erfolgreiche Off-Künstlerin. Aber eben eine Off-Künstlerin, die um die Kostenerstattung für eine mitreisende Betreuung für ihr Baby feilschen muß, während das ebenfalls (in diesem Fall: nach Hongkong) eingeladene Thalia-Theater aus Hamburg mit 60 Personen anreist, ohne daß irgendwer mit der Wimper zuckt. Sasha Waltz will keine Off-Künstlerin mehr sein, wenn das bedeutet, daß sie zweitklassig behandelt wird, obwohl sie erstklassige Bühnenstücke herstellt. Das Angebot der Schaubühne kam also gerade zur rechten Zeit. Angebote von anderen Bühnen hatte sie noch abgelehnt, weil diese nicht in Berlin sind. Und Berlin ist wichtig für sie. Hier hat sie zu einem unverwechselbaren Stil gefunden, hier hat sie ihre ersten großen Erfolge choreographiert und getanzt und hier hat sie eine Art von Heimat gefunden. Nach sieben Jahren Weltreisen in Sachen Tanz ist die gebürtige Karlsruherin 1990 nach Berlin gekommen. Deutschland war ihr fremd geworden. Und Berlin die einzig denkbare Stadt für eine Wiederannäherung. Sie wohnte in Kreuzberg und Charlottenburg und war viel unterwegs. Erst 1993 im Rahmen eines Stipendiums kam es zu der Konstellation, die alles auf den Punkt brachte. Im Künstlerhaus Bethanien arbeitete sie mit einer Gruppe von Tänzern aus ganz Europa, die von dem utopischen Versprechen des Umbruchs nach Berlin gezogen worden waren. Die Energie der Zeit floß schnell und zusammen. In drei Monaten entstanden fünf Stücke. Sie gründete ihre eigene Tanzgruppe "Sasha Waltz & guests" und begann mit den Vorarbeiten für den ersten Teil der Trilogie "Travelogue". Die Premiere von "Twenty to Eight" fand im niederländischen Groningen statt. Die Berliner Uraufführung war im Herbst 1993 im Theater am Halleschen Ufer.

Es war ein Wunsch von ihr selbst, alle drei Teile der Trilogie in Berlin noch einmal aufzuführen. Nur wenige Tage konnte man die Stücke sehen (im Unterschied zu den beiden letzten Produktionen "Zweiland" und "Allee der Kosmonauten"), nie im Zusammenhang und vor großem Publikum. Während Sasha Waltz von der Realisierung des Projektes erzählt und sich an die Entstehung der Trilogie erinnert, laufen wir an einem klaren und kalten Spätwintermontagvormittag durch den Monbijoupark. Immer wieder bleiben wir stehen und sie hebt die Arme vom Kinderwagen, um das Erzählte zu unterstreichen. Sie redet viel von Kraft, Energie und dem Gefühl, das man braucht, um zu wissen, wann etwas so ist, wie man es haben will. Gegen das Urteil von Freunden, Kollegen und anderen Fachleuten mußte sie sich mit ihrer Art, Tanz-Geschichten zu erzählen, besonders beim ersten Teil durchsetzen. Noch kurz vor der Premiere wurden ihr Änderungen angeraten, aber sie vertraute ihrem Gefühl. Publikum und Presse waren begeistert. Sasha Waltz habe eine "choreographische Sprache entwickelt, die ruppig ist und leidenschaftlich, schmerzvoll und skurril, aggressiv und ironisch, aufgeladen mit Sex und voller Absurditäten: eine wilde, traurige, wütende, häßliche Schönheit." Die Kritiker mochten das eigenständig Neue und konnten die Bewegungen aus einem Fundus von Tanzvorbildern rekonstruieren, während das Publikum von der lebendigen und alltagsnahen Surrealität der Bilder gefesselt und unterhalten war. Sasha Waltz war es gelungen, die Wahrnehmung und die Sehnsüchte der Zeit als Tanz zu arrangieren. Die Proben für "Twenty to Eight" hatten in einer Farbriketage der damals noch unrenovierten Hackeschen Höfe statt gefunden. Nach langem Suchen hatte sie dort für vier Monate einen Vertrag bekommen. Während sie mit den Tänzern an "Travelogue I" arbeitete, gaben sich bereits Investoren die Klinke in die Hand. "Draussen", in Mitte, war noch Partystimmung. Es war kurz vor der ersten Ernüchterung, kurz bevor man merkte, daß das Leben nicht ewig aus Zwischennutzungen bestehen kann. Das Thema von Sasha Waltz waren enge Räume und was sie mit den Menschen anstellen, was die Menschen darin anstellen. Begrenzung und Entgrenzung. Es war ihr ganz persönliches Thema, aber es paßte perfekt in die Zeit. Das erste Stück spielt in einer Küche, das zweite ("Tears break fast") pendelt zwischen Badezimmer und Bar. "All Ways six Steps" spielt schließlich in einem Schlafzimmer, das aussieht wie eine Puppenstube. Nur im zweiten Teil wird eine stringente Geschichte erzählt, ansonsten folgen die Stücke weniger einem roten Faden, als einer inneren, dramaturgischen Kraft. Völlig unterschiedliche Räume, Zeiten und Ereignisse auf ganz unlogische Art in einer letztlich harmonischen Bewegung zusammenzuführen, das ist die Grundidee des Waltz-Kosmos. Inspiriert vom grotesken Expressionismus des Stummfilms und der Coolness des Film Noir aus den 50ern/60ern sind typische Großstadtbilder entstanden, die von der Streichmusik des Tristan Honsinger Quintetts präzise unterstützt werden. Wenn man die drei Teile (in Berlin) nun zum ersten Mal im Zusammenhang sehen kann, wird man vermutlich auch die irgendwie romantische Sehnsucht wiederfinden, die in den Jahren 1993 bis 1995 so manchen Traum von einem glücklichen Boheme-Leben am Leben hielt. Die Hackeschen Höfe sind mittlerweile versiegelt und touristisch geprüft. Das Studio in der Burgstraße, in dem die Proben für den zweiten Teil der Trilogie stattfanden, ist abgerissen. Nur die Sophiensäle (wo "Travelogue III" entstanden ist) weisen noch ungeschminkt in die Vergangenheit. Vielleicht fühlt sich Sasha Waltz deshalb dort so wohl. Auch wenn sie an der Schaubühne aufführen wird, soll die Verbindung nach Mitte erhalten bleiben. Ihr jetziges Publikum will sie abends dann gern mitnehmen und mit ihrem neuen (dem alten Schaubühnen-) Publikum zusammenführen. Gemeinsam mit Ostermeier wurden schon Überlegungen angestellt, einen Shuttle-Bus einzurichten. Vom Hackeschen Markt zum Kudamm. Einen Theater-Bus von Mitte zur Schaubühne, die leider so weit im Westen liegt. Ist das nicht ein absurdes Unterfangen? Für Sasha Waltz geht es letztlich um die Arbeitsmöglichkeiten, um die Technik und um das Budget, die zur Verfügung stehen. Und um das größere Publikum. Was die zukünftige Leitungsarbeit im Vierer-Team (neben Ostermeier und Sasha Waltz noch Thomas Kühnel und Robert Schuster) anbetrifft, ist sie zuversichtlich: "Ich traue uns das zu." Das uns betont sie ganz besonders.

Stefan Strehler

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