Ausgabe 07 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

"Ich bin jemand, der polarisiert"

Klaus Biesenbach ist Künstlerischer«Leiter der Kunst-Werke in Mitte

Die Auguststraße 69 hat zwei Namen. Die frühere "Margarinefabrik" heißt seit 1991 "Kunst-Werke". Zur Zeit ist das Gebäudeensemble, eines der ältesten in der Spandauer Vorstadt, eine Baustelle unter vielen im Sanierungsgebiet. Zwei Touristinnen stehen vor den "Kunst-Werken" und fragen Klaus Biesenbach in gebrochenem Deutsch nach der Galerie. Biesenbach erklärt, daß die zur Zeit geschlossen ist. Sie fragen weiter, wo denn hier überhaupt Galerien seien. Mitten auf der Auguststraße, wo seit 1992 die Kunsträume nur so aus dem Boden schossen und immer noch mehr hinzukommen. Ein "eigentlich überall" liegt einem auf der Zunge. Selbst Biesenbach schaut irritiert. Die Touristinnen schauen hilflos.

So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein. Man sieht nur, was man weiß?

Vermutlich sehen ihre Augen eine fremde Wohnstraße, Fassade an Fassade mit ein paar Lücken dazwischen, keine auffällige Werbung in den Ladenräumen. Ich sehe Galerie an Galerie. Was sieht Klaus Biesenbach?

Die Kunst-Werke sind eine Erfolgsgeschichte unter der Leitung von Klaus Biesenbach. 1990 als Verein gegründet, 1992 die aufsehenerregende Aktion "37 Räume" parallel zur documenta in Kassel, 1993 durch den Senat institutionalisiert. Lotto-Gelder flossen in den Erwerb des Gebäudes und dessen Sanierung. CDU-Fraktionschef Landowsky schwärmt vom innovativen Geist, Kultursenator Radunski schwört auf die Kunst-Werke. Biesenbach war Jurymitglied der Biennale in Venedig, wurde von Catherine David nach Kassel zur letzten Documenta geholt, ist Kurator im New Yorker Kunstzentrum P.S.1 und im Center for Contemporary Art in Japan. Am nächsten Großprojekt wird fieberhaft gearbeitet: Zusammen mit Nancy Spector und Hans-Ulrich Obrist veranstalten die Kunst-Werke die "Berlin Biennale", die im Herbst beginnen und mit drei Ausstellungen, einem Kongreß und Künstlerprojekten in der Stadt bis ins Jahr 2000 dauern soll. Die Zitty kürte Biesenbach als einen der "Köpfe 98" - dasselbe geschah parallel in New York. Die großen Zeitungen sind momentan hinter ihm her. Die Süddeutsche brachte ein Porträt, ein ZEIT-Redakteur jettet zum Interview mit Biesenbach, Obrist und Spector eigens nach New York.

Viele Biesenbach-Sätze fangen an mit: Ich bin jemand, der ... Nicht: Ich bin. Als wäre dies ein seltsam körperloser Prototyp, der ein Unikat geblieben ist. Klaus Biesenbach besitzt zweifellos Charisma, fasziniert. Auch die eingenommene Distanz ist begreifbar. Aber darüber hinaus hat er etwas Beängstigendes. Ein nahezu perfektes Gedächtnis, das nie zu versagen scheint. Das intensive Beobachten des Gegenübers. Das Bemühen um hundertprozentige Exaktheit. Tadellose Korrektheit, kein Formverstoß denkbar. Biesenbach ist jemand, der garantiert zurückruft, der keinen Termin platzen läßt, und sei er noch so popelig, wie dieser vielleicht. Manchmal blitzt etwas Kindliches auf. Auch die Identifikation mit dem eigenen Tun ist etwas Vertrautes. Aber dann schließt sich die Oberfläche wieder: Klaus Biesenbach wirkt wie eine Inszenierung.

Ich bin jemand, der polarisiert, sagt Biesenbach. Das ist eine Antwort auf die Kritik, die ihm widerfährt, und es ist ein Satz, dem wohl auch seine Kritiker zustimmen würden. Manche werfen ihm Buhlen mit der CDU vor. Manche gnadenlosen Ehrgeiz. Du kannst ihn kritisieren oder ihn loben, sagt jemand, aber unerträglich ist für ihn, ignoriert zu werden.

Biesenbach sagt: "Ich bin jemand, der ganz selten gelobt wird, weil alle denken, der ist tough, selbstbewußt, relativ eingebildet. Ich bin eher jemand, der kritisiert wird. Ich habe mit 24 die Kunst-Werke gemacht und keiner hat gesagt: Der ist erst 24. Ich war Medizinstudent, ohne Kontakte in der Kunstszene, ohne Feedback, ich hätte nicht mal eine Monatsmiete zahlen können. Die Kunst-Werke waren ursprünglich eine leere, unausgerüstete, auf Zeit gemietete Fabrik in desolatem Bauzustand. Ohne Etat, ohne internationalen Ruf, ohne Stiftung oder sonstige Parameter, die man normalerweise braucht, um umstritten zu werden. Sie hatte einzig und allein - und das ist auch auf mich personifiziert - das Potential zu polarisieren, weil man der Struktur sehr viel zutraute - sowohl als Hoffnung als auch als Gefahr."

Auch Obrist war einer der "Köpfe 98" in der Zitty. Obrist ist 29, nur wenig jünger als Biesenbach. Unter dem Foto steht: "Wunderkind der Kunstszene". Unter Biesenbachs Bild steht: "Biennale Berlin"-Macher, "Lieblingskind Berliner Kulturpolitiker".

Biesenbach sucht die Kollision von Kunst und Leben. Wie in Kassel, wo Christoph Schlingensief im von Biesenbach initierten Hybrid Workspace wegen seiner "Tötet Kohl"-Aufforderung verhaftet wurde.

Er sieht sich nicht als Galerist, sondern als Ausstellungsmacher. Als jemand, der Leuten die Tür aufhält. "Das ist eine sehr zugige Situation: wenn man in der Zwischenzone, zwischen den ganz Jungen und dem etwas Etablierten steht."

Die Kunst-Werke definiert Biesenbach als "institutionellen Freiraum für Künstler und Produktionen, der immer wieder frei wird und bleibt". Das sei immer auch von Vereinnahmungsversuchen begleitet worden. Die Kulturpolitik meint er damit nicht. Trotzdem sei es eine sehr autonome Struktur geblieben. "Wir haben uns an keinen Investor oder Großsponsor verkauft." Und: "Mir gehört kein Ziegelstein in den Kunst-Werken."

Auf dem Hof baut Dan Graham einen Pavillon, der zum Café werden soll. Auf dem zweiten Hof der Kunst-Werke werden gerade alte Schuppen abgerissen. Zur Berlin Biennale soll hier eine Kunsthalle entstehen.

Biesenbach gilt als einer der Begründerdes Galerienbooms in der Spandauer Vorstadt. In der Kritik stand vor allem die Aktion "37 Räume", die als Startschuß zur Eroberung der Auguststraße als Galerienmeile gilt. Die Kunst in Gewerberäumen und leerstehenden Wohnungen zog eine Woche lang täglich 5000 bis 7000 Menschen durch die schmale Auguststraße. Die Transformation eines städtischen Raums zum Kunst-Raum. Ein Selbstläufer, sagt Biesenbach. Hatten sich anfangs noch Gewerbetreibende und Anwohner auf das Vorhaben eingelassen, weil sie dachten, es würde etwas für die Straße getan, so fühlten sich später nicht wenige als Kulisse einer Kunstszene mißbraucht. Die Kollision von Kunst und Leben. An einer Tür klebte ein Schild: Heute hier keine Kunst. Drei Ostler.

"Der Erfolg hat viele Väter und Mütter. Wenn es umstritten wird, dann wird auf einmal auf jemanden gezeigt: der war´s, der hat alles angezettelt", sagt Klaus Biesenbach.

Besonders übel war manchen aufgestoßen, was Biesenbach im Vorwort zum Katalog über die Gegend wußte: "Ende der 80er Jahre war das Gebiet fast menschenleer und in insgesamt marodem Bauzustand. Die ersten Neusiedler waren dann Hausbesetzer, die Wohnungen, Fassaden und Höfe auf ihre Art und Weise umgestalteten." Es liest sich wie die Kurzbeschreibung jenes Prozesses, dem das Viertel in den Folgejahren unterworfen war und den Stadtsoziologen "Aufwertung" oder "Gentrification" nennen, andere schlicht Eroberung.

Als "Pionier" will Klaus Biesenbach sich nicht sehen. Und das Wort von der Leere sei mißverstanden worden. Biesenbach, der aus Westdeutschland kam, in München sein Medizinstudium begann, dann eine Weile in New York war und kurz nach dem Mauerfall "wegen des Wendehypes" in Westberlin keine Wohnung fand, stieß in Ostberlin auf ein Phänomen: Es gab Wohnungen. Ganze leerstehende Gebäudetrakte. Der Osten war "ein zeitweiliges Außerkraftsetzen der üblichen Regeln", sagt Biesenbach. Ein ganz anderes kulturelles Umfeld, mit anderen Oberflächen und anderer Geschwindigkeit. "Das war ja eine Stadt ohne Zeichen, ohne Reklame, ohne bestimmte Farben oder gewohnte visuelle Oberflächen." Und die Leerstellen Bestandteil der Stadtdramatik.

Inzwischen haben sich die Regeln, die Geschwindigkeit und die Oberfläche jener angeglichen, die Biesenbach vertraut war. Biesenbach mokiert sich ein bißchen über Toskana- und Zigarrenläden, die aus dem Viertel einen "Themenpark Modernes Leben" machen. "Die Hackeschen Höfe sehen so aus, als hätte es mal einen Film gegeben, und man hätte sie nachgebaut. Aber wenn in Mitte jemand kritisiert wird, dann ja nicht Roland Ernst, sondern die Kunst-Werke."

Es ist, als wäre der Ort samt Kunst-Werken, Kunst-Szene und dem Café und Treffpunkt Hackbarths nur eine Transitstation zu jener Ortlosigkeit, die Biesenbach jetzt lebt, wenn er sich zwischen New York, Japan und Berlin bewegt. "Der Ort für einen kann auch Inhalt, Diskurs sein. Der einzige Ort ist die Auseinandersetzung mit gewissen Themen."

Klaus Biesenbach hat es geschafft und sieht aus, als hätte er irgendwas dabei verloren. Einen Ort vielleicht. Aber nur einen zeitweiligen. Manche finden, Biesenbach habe etwas Autistisches an sich. Trotz seiner Präsenz ist Biesenbach irgendwie entrückt. Wie jemand, der sich langsam entmaterialisiert. Vielleicht ist das eine Voraussetzung für sein Tun. Oder der Preis.

Beim letzten Gespräch steht ihm die große Presse noch bevor. Biesenbach fragt, ob das Schreiben die Anonymität des Schreibers wahrt, trotzdem der ein Akteur ist. Einen ganz kurzen Moment wirkt Klaus Biesenbach wie jemand, der Angst hat.

Ulrike Steglich

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 07 - 1998