Ausgabe 07 - 1998berliner stadtzeitung
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Bilder zu Nationalstaaten

Das Deutsche Historische Museum zeigt eine Ausstellung über die sinnstiftende Kraft historistischer Gemälde

Identität ist der neue Zauberbegriff der Sozial- und Geisteswissenschaftler von Judith Butler bis Heinz Rudolf Kunze. Kein Wunder, daß seit einiger Zeit Geschichtsschreibung über Identität als neues Terrain entdeckt wird. Nationale Identitäten sind demnach geschichtliche Konstrukte; aber eben deswegen werden sie immer an realgeschichtlichen Ereignissen festgemacht, die posthum ihre Bedeutung für die Nation verliehen bekommen. Die Nationen entstehen gleichzeitig mit ihrer Geschichte

Der Rolle der Malerei in diesem Prozeß widmet das Zeughaus nun eine Ausstellung. Die drei großen Themenbereiche "Freiheit", "Glaube und Krieg" sowie "Woher wir kommen" bilden jeweils die Angelpunkte des Selbstverständnisses der Völker im 19. Jahrhundert. Die Gemälde aus 16 Ländern sind um diese gruppiert. Sofern man also einen Überblick über die Ideen- bzw. Identitätsgeschichte eines Landes gewinnen will (was der Ausstellungstitel "Mythen der Nationen" in gewisser Weise suggeriert), ist die Ausstellung wenig ergiebig. Aber dafür fällt die Ähnlichkeit, ja Parallelität von Entwicklungen in verschiedenen Ländern durch die kontrastierende Hängung um so mehr auf. Verblüffend, wenn gleich drei Nationen (Griechen, Österreicher und Ungarn) den Kampf gegen die Türken in heroischen Gemälden verewigen. Solche realen oder imaginären Erinnerungsorte dienten der Konstruktion von Identität durch angeblich gemeinsam gemachte oder erlittene, auf jeden Fall erfahrene Geschichte. Die innere Identität war gleichzeitig die Abgrenzung nach außen. So wurden sich die europäischen Länder gerade dadurch ähnlich, daß sie sich voneinander unterscheiden wollten.

Überdies versuchte keine Nation, sich durch einen eigenen Stil zu definieren. Fast alle Werke sind dem Historismus zuzuordnen. Gerade wegen dessen Detailbesessenheit üben die Bilder nach einer Weile eine eigentümliche Faszination aus. Gibt man sich anfangs überlegen, erliegt man doch nach einiger Zeit heroischen Kämpfern, tragischen Helden, dem Schlachtgetümmel, kann jetzt doch ein bißchen die Wirkung der Bilder nachvollziehen: in einer Zeit vor Erfindung der Photographie - als Kunst noch als Dienst am Vaterland angesehen wurde.

Allerdings läßt die Ausstellung vergessen, daß nicht alle Mythen via Gemälde transportiert wurden. Gerade das Volk der Dichter und Denker hatte beispielsweise eine ganze Reihe prototypischer Bücher, in denen wahlweise den Germanen bzw. ihren vermeintlichen Nachfahren gehuldigt wurde: von Felix Dahns "Ein Kampf um Rom" (1876) bis zu "Der Mythus (sic) des 20. Jahrhunderts" (1930) des unsäglichen Alfred Rosenberg.

Und selbst innerhalb der bildenden Kunst vermag die Ausstellung nicht, die komplizierte Genese des Kunstbegriffes und die Entwicklung nationalen Bewußtseins, die eng verschlungen waren und sich erst an der Wende zum 20. Jahrhunderts trennten, nachzuzeichnen. Stattdessen rekurriert sie auf bloße Produkte dieses Kunstbegriffes, wie eben Gemälde, und inventarisiert diese, ohne das dahinterstehende Konzept selbst zum Thema zu machen.

Dieses Konzept zeigt sich an Gründungen wie dem Germanischen Nationalmuseum (1865) in Nürnberg, aber auch beim Leipziger Völkerschlachtdenkmal (1913) als eines, in der historisches Bewußtsein die Grundlage aller sich in den Nationalstaaten abspielenden Kultur war. Die Denkmäler für den Cherusker Arminius (fertiggestellt 1875) und den Gallier Vercingetorix (fertiggestellt 1865) versinnbildlichen in ihrer Symmetrie jene Epoche par excellence, und ihrer eingedenk marschierten die Soldaten 1914 in den Tod. Die Schwäche einer auf Gemälde beschränkten Ausstellung zeigt sich im Übergehen dieser zentralen Erinnerungsorte. Die Ausstellung bleibt damit letztlich dem Credo der Kunstgeschichte verhaftet, ohne dieses durch Konzepte der Sozial- oder Kulturgeschichte zu vervollständigen.

Georg Götz

Mythen der Nationen. Deutsches Historisches Museum, täglich außer mittwochs 10 bis 18 Uhr, noch bis 9.Juni 98, Eintritt frei. Katalog (600 Seiten) 48 DM.

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