Ausgabe 06 - 1998berliner stadtzeitung
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Ein Gespenst geht um - das Gespenst der Globalisierung

Theorie für den Klassenkampf

"Ich frage ihn: ´Wieviel wäre denn genug?´ ´Wieviel Profit genug wäre?´ antwortet er. Er lacht mich aus und sagt: ´Genug, so etwas gibt es hier nicht.´"

Was klingt wie eine Episode aus "Der Kleine Prinz", stammt aus dem Buch von Michael Moore "Downsize This" (Rationalisier´ es weg) und gibt ein Gespräch zwischen einem Wirtschaftsmanager und dem Autoren selbst wieder. Moore beschreibt auf äußerst bissige Weise die ganz konkrete Seite der Globalisierung. Ähnlich wie in seinen Filmen "Roger and Me" und der diesjährige Berlinale-Beitrag "The Big One" läßt Moore Manager erklären, warum trotz Gewinn Produktionstätten in den USA schließen, um noch günstiger, wenn es sein muß auch durch Kinderarbeit, im Ausland produzieren zu lassen. Der ganz normale Wahnsinn der Globalisierung also.

Der voll-schlanke Staat

Die Theorie zum Problem findet sich in dem Buch "Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat" von Joachim Hirsch. Thema ist der schwammige Begriff der Globalisierung, der immer öfter für Sozialkürzungen, Stellenabbau und Aufstockungen im Sicherheitsapparat herhalten muß. Was schon eine Kernthese Hirschs ausmacht: Durch das Ausrufen vermeintlich wirtschaftpolitischer Zwangslagen werden unpopuläre politische Entscheidungen legitimiert und Errungenschaften abgebaut, die über Jahrzehnte erkämpft wurden, wie beispielsweise die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Politisch wird dies dann mit dem Schlagwort "Rettung des Standorts Deutschland" gestützt. Daß sich schon längst eine Transformationselite aus Kapital und Politik gebildet hat (siehe "Automann Schröder"), die diese Entwicklung forciert, führt zu einer weiteren zentralen These: Der Staat zieht sich nicht, wie landläufig behauptet, aus der Politik zurück, vielmehr verlagert er seinen "Aufgabenbereich", denn der Rückzug findet nur im Bereich des Sozialen, wie Bildung oder Gesundheit statt. Gleichzeitig versäumt es kein Innenminister der EG, "sein" Gewaltmonopol massiv auszubauen, je nach Erfordernis mit Gesetzesänderungen (Lauschangriff) oder durch Aufstokkung der Polizeikräfte (Europol, Null-Toleranz-System). Die notwendigen Rechtfertigungen liefern vor allem solch ominöse und diffuse Geheimgesellschaften wie die Mafia oder die "Organisierte Kriminalität" oder aber auch Heerscharen von Flüchtlingen, die die rechtsstaatliche Ordnung bedrohen. In diese Linie gehört auch die immer stärker um sich greifende Privatisierung von öffentlichem Raum. Sicherheitsdienste überwachen und kontrollieren Einkaufspassagen, Zugang erhält nur der konsumwillige und zahlungsfähige Kunde. Alle, die diesem Bild nicht entsprechen wollen oder können, müssen draußen bleiben. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene stellt sich die Situation nicht anders dar: Verabschiedet wird ein Gesellschaftsmodell, das auf einem breiten Konsens aufbaute, mit gemäßigtem Wohlstand für viele (Bausparen und so) und sozialer Integration. Damit ist es jetzt vorbei. Was in Staaten der Dritten Welt schon längst an der Tagesordnung steht, trifft nun in den Wohfahrtszentren der Industriestaaten mehr und mehr Menschen: Immer größere Teile der Bevölkerung werden von politischen Prozessen ausgeklammert und vom Arbeitsmarkt ausgesperrt, da sie schlichtweg nicht mehr benötigt werden.

Ein zeitloses Konzept

Und dieses "Heer" der Arbeitssuchenden erhöht natürlich den Druck auf die sich noch in Arbeit Befindlichen. "Die Globalisierung, (Bourgeoisie) wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle solidarischen (feudalen), kollektiven (patriarchalischen) idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit sozialen (religiösen) und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt." Marx und Engels wären sicherlich nicht glücklich über die vier ausgetauschten Wörter (in Klammern der Originaltext) in ihrem Manifest der Kommunistischen Partei. Und doch haben sie vor 150 Jahren, wie das leicht veränderte Zitat zeigt, die heutige wirtschaftliche (Globalisierung) und politische Situation (Neoliberalismus) vorweggenommen.

Daß sich die Verhältnisse dabei so wenig verändert haben und das schlichte Aktualisieren von Wörtern reicht, um die heutigen Zustände zu beschreiben, ist nicht besonders ermutigend. Absolute Gewinnmaximierung wird zur Leitinstanz und soziale Verantwortung, trotz seit Jahren steigender Rekordgewinne, als unbezahlbarer Luxus verworfen. Durch Flexibilisierung von Kapital und KnowHow werden Standortfaktoren entscheidender und die einzelnen Staaten manövrieren sich mit gegenseitigen Subventionszahlungen an die Konzerne in eine immer größere Konkurrenz zu einander.

Diese Vorgänge sind weitestgehend bekannt, und trotzdem liegt die Gefahr von Wutanfällen beim Lesen nahe. Auch wenn Hirsch durchweg theoretisch bleibten, wird das weltweite Ausmaß der Politik durch das "große G". und die damit einhergehenden gesellschaftsumwälzenden Vorgänge mehr als deutlich. Diese Prozesse gehen auf internationaler Ebene mit großer Effizienz vonstatten, ohne daß nennenswerter Widerstand zu finden ist. Auch Hirsch bleibt bei der Skizzierung möglichen Widerstands eher hilflos: Ein Ausgangspunkt stützt sich auf das Konzept des "radikalen Reformismus", also einer Bewegung, die das Modell der Zivilgesellschaft verfolgt: Bürgerinitiativen oder Bündnisse, wie beispielsweise die gegen Atomkraft oder Rassismus, produzieren grundlegende Kritik an dem Staat und greifen aus der Gesellschaft selbst in politische Vorgänge ein. Gefordert ist der subversive Umgang mit den sich bietenden Strukturen und Institutionen. Im Idealfall setzen sich diese Bündnisse auf internationaler Ebene fort, wie es zum Teil bei Umweltschutzverbänden oder Bürgerrechtsgruppen schon der Fall ist. Dies ist aber kein Terrain, daß nur von linken oder alternativen Gruppen nutzbar ist. Auf bittere Weise demonstrierten dies zuletzt Neonazis in Deutschland: Mit zahlreichen Angriffen gegen Ausländer erreichten sie die Änderung des Asylrechts. Und natürlich weiß man auch in Führungsetagen von Konzernen um Wichtigkeit internationaler Vernetzungen. Nicht umsonst kommt dem Quartett aus Weltbank, dem Internationalen Währungsfond (IWF), der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) und der Welthandelsorganisation(WTO) so viel Bedeutung zu, denn hier vereinigen sich auf höchster Ebene Politik und Wirtschaft. Sie bilden ein Machtzentrum ohne Gesellschaft und treffen Entscheidungen über alle nationalen Grenzen hinweg.

Ist Widerstand möglich?

So umfassend Hirschs Analyse der Deregulierungs- und Internationalisierungsprozesse ist, kann er doch nicht mehr als "Anregungen für die notwendigen politischen und theoretischen Diskussionen geben", wie er selbst im Vorwort schreibt. Dies liegt vor allem daran, daß er eine wesentliche Ursache der Globalisierung nicht faßt. Nämlich, daß die Durchsetzung der Globalisierung in einem komplizierten Machtzusammenhang verwurzelt ist. Pierre Bourdieu beschreibt in der Märzausgabe von Le Monde diplomatique, daß dieser Machtdiskurs "in einer Welt der Machtverhältnisse, die er selber schaffen hilft, alle Mächte auf seiner Seite hat. Und zwar vor allem deshalb, weil er die ökonomischen Entscheidungen derjenigen beeinflußt, die die ökonomischen Verhältnisse bestimmen, also mit seiner eigenen Macht - auch auf symbolischer Ebene - diese Machtverhältnisse noch verstärkt." Mit anderen Worten: Es wird ein Machtsystem erzeugt, daß sich selbst verstärkt und Qualitäten eines Selbstläufers entwickelt: Gewinnorientierte Aktionäre schaffen auf einem frei und auf kurzfristige Rentabilität angelegten Markt einen permanenten Erfolgsdruck auf die Konzerne und Staaten, mit dem jede Fehlentscheidung sofort sanktioniert wird. So werden Normen gesetzt und Entscheidungen beeinflußt. Konkret bedeutet dies, wenn ein Unternehmen Massenentlassungen bekannt gibt, um so die Rationalität zu erhöhen, zieht dies zynischerweise eine Steigerung der Aktienkurse nach sich.

Genau an dieser Stelle schlägt Bourdieu vor, den Hebel anzusetzen. Er setzt auf die neuzuschaffenden internationalen Institutionen. Die EG sei - auf dieser Ebene - ein Schritt in diese Richtung, denn mit einer wirkungsvollen Steuer auf die satten Gewinne an den Finanzmärkten könnten die destruktiven Auswirkungen bekämpft werden. Es ist kaum zu erklären, daß jede Minute Lohnarbeit zu versteuern ist, nicht aber die Riesengewinne aus Spekulation am Aktien- und Kapitalmarkt. Dies wäre ein vielversprechender Ansatz für ein internationales Bündnis aus den verschiedensten sozialen und kulturellen Gruppen.

All dies ist momentan noch weit entfernt. Eine Ideallösung gibt es jedenfalls nicht, und so steht zu befürchten, daß das buchhalterische Verwertungsdenken noch eine Weile sein Unwesen treibt.

Marcus Peter

Joachim Hirsch: Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. 171 Seiten 28 DM, ID-Verlag 1998.

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