Ausgabe 06 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Hau weg den Scheiß?

Das Scheitern des bewaffneten Kampfes. Eine fest geschmiedete Wortkette, dachte Jim. Fast schon ein einziges Wort: Dasscheiterndesbewaffnetenkampfes. (So wie vor zwanzig Jahren Derarbeitgeberpräsidentundseinevierbegleiter.) Oder Diefünfneuenbundesländer. Aber waren es nicht sechs? Konnte eine Formel, die daherstolzierte wie von Gott höchstselbst diktiert, überhaupt falsch sein? Dasscheiterndesbewaffnetenkampfes.

Am Anhalter Bahnhof stieg Jack in den Waggon. "Hast du ...?" fragte Jim. Jack zeigte wortlos auf seine pralle Sporttasche. Jim wurde blaß: "Sollen wir das Ganze nicht lieber abblasen?" Jack schüttelte den Kopf. Kam gar nicht in Frage.

Landowsky und Stimmann hatten doch völlig recht: Wenn der Sozialpalast und das Neue Kreuzberger Zentrum ihre Bewohner kriminell und drogensüchtig machten, dann mußten diese Klötze eben gesprengt werden. Gut, es war noch nicht ganz klar, wie das alles im Detail vor sich ging. Noch wußte keiner so genau, womit diese fiesen Sozialwohnungen die Verarmung und Verwahrlosung ihrer Mieter eigentlich bewerkstelligten: Formaldehyd aus Preßspantüren? Lösungsmittel im Teppichkleber? Undichte Fenster? Da gab es viele Möglichkeiten, aber für korinthenkackerische Analysen blieb nun wirklich keine Zeit. Erst mal sprengen, dann würde man schon weiter sehen.

Die S-Bahn fuhr aus dem Tunnel. Draußen schien die Sonne. Großgörschenstraße spazierte Joe herein. Pfötchen, Küßchen, hinsetzen. "Ist da ...?" Er starrte verzückt auf Jacks Sporttasche. "Ist da drin ...?" Jack nickte. Links fuhr die Stadtautobahn neben ihnen her, und Joe schaute lächelnd aus dem Fenster. "Einheit von Architektur- und Sozialkritik", murmelte er versonnen. Jim und Jack lachten nervös. "Ja, der Landowsky ...", begann Jim, und Jack fügte hinzu: "Is´ schon so´n rechter Haudegen."

"Der läßt sich nicht so leicht was vormachen." Das war Joe. "Geboren in Prenzlauer Berg, aufgewachsen in Britz - so einer hat weiß Gott die Welt gesehen."

Von rechts grüßte der Steglitzer Kreisel herüber. Jim, Jack und Joe grüßten nicht zurück. Lichterfelde-West stiegen ein paar Studenten aus. Jetzt waren die drei die einzigen im Waggon.

Jacks Onkel war Sprengmeister in einem Oberpfälzer Steinbruch. Früher hatte Jack ihm manchmal bei der Arbeit zusehen dürfen. Alt sah er aus, der Onkel, als Jack ihn neulich besuchte. Dabei war er erst Anfang sechzig.

Sicher, der Sprengstoff lag nicht einfach offen herum. Aber sein Onkel hatte seine Gewohnheiten in all den Jahren nicht geändert. Und jetzt war Jack wieder hier. In Berlin. In der S-Bahn Richtung Potsdam.

Landowsky und Stimmann hatten völlig recht: Wenn der Sozialpalast und das Neue Kreuzberger Zentrum ihre Bewohner kriminell und drogensüchtig machten, dann mußten diese Klötze eben abgerissen werden. Und wenn die Villen im Südwesten, in Zehlendorf, in Grunewald, in Dahlem - von Baden-Württemberg mal ganz zu schweigen! - wenn die Villen im Südwesten ihre Bewohner dumm, raffgierig und gemein machten, dann ... - Mexikoplatz. Jim, Jack und Joe stiegen aus. Der Bahnsteig war menschenleer.

Jim pumpte sich voll Luft, dann brüllte er in einer Sprache, die er wohl für Bronx-Amerikanisch hielt, drauflos: "You can get the boxer out of the ghetto! But you can never get the ghetto out of the boxer! - What does that mean for us? Eh, Jack!" Jack übersetzte: "Du kriegst einen Landowsky aus Britz heraus. Aber niemals kriegst du Britz aus einem Landowsky heraus!"

Langsam schlenderten die drei die Treppen hinunter, zur Straße. "Einheit von Architektur- und Sozialkritik", grinste Joe. Jim lachte nervös. Jack schwenkte seine Sporttasche. Joe sagte: "Yeah, man."

Bov Bjerg

Hans Duschke dazu: Der Kampf geht Weiterstadt!

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