Ausgabe 04 - 1998berliner stadtzeitung
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Der Megabyte-Chip

Mythen des DDR-Fernsehens

Bei der diesjährigen "transmediale" im Podewil wurde erstmals ausführlich über die populären Aspekte von Fernsehen gesprochen. Der Medienpublizist und Gastkurator Dr. Thomas Beutelschmidt (West) hat sich dafür nicht zum ersten Mal mit der DDR-Fernsehgeschichte beschäftigt. Auf dem Festival wurde ein 30-minütiger Zusammenschnitt aus kultverdächtigen DDR-Fernseh-Szenen gezeigt, der zu einem späteren Zeitpunkt auch im Fernsehen laufen soll.

Der erste Teil eines Gespräches über Realität, Mythos und Kult des DDR-Fernsehens, geführt von Ingrid Beerbaum (Ost) und Stefan Strehler (West):

Wie kamen Sie dazu, sich mit DDR-Fernsehen zu beschäftigen?

Das Interessante am DDR-Fernsehen war für mich, daß es auf der einen Seite eigenständig war, daß es aber auf der anderen Seite, ob bewußt oder unbewußt, Schnittstellen produziert hat, zu dem Mainstream im Westen. Man hat immer nach drüben geguckt und reagiert, ästhetisch und formal, aber auch inhaltlich. Man hat aber auch immer versucht etwas Eigenes aufzubauen. Man hat zum Beispiel versucht, das Fernsehen positiv als Massenkultur zu betrachten, also Starkult zu betreiben, ohne ihn zu benennen. Stars zu haben, zu benutzen und zu brauchen, aufzubauen und zu pflegen, aber nicht den Starkult im Sinne von viel höheren Gagen zu betreiben. Man hat ihnen natürlich mehr bezahlt. Es hatte aber nicht diese Auswüchse wie im Westen.

Das DDR-Fernsehen sollte Vorbildfunktion haben, den allseits gebildeten, sozialistischen Menschen abbilden ...

Diese Instrumentalisierungsthese, die ja besagt, daß alles nur in Hand der Partei- und Staatsführung gewesen ist, daß es keinerlei Spielräume gab und alles über diesen Leisten gebogen worden ist, ist völlig falsch. Erstens sind dreißig Jahre zu lang, zweitens ist das Fersehen viel zu groß gewesen und drittens gab es viel zu viele Sendetypen. Es hätte eine ganze Armada an Überwachern nicht genügt, um die alle an die Kandarre zu nehmen. Das hat ja auch nicht funktioniert.

Wie entstehen Fernsehmythen? Welche haben sie bei Ihrer Arbeit gefunden?

Wir haben den Mythosbegriff genommen, weil das Fernsehen immer Mythen produziert. Meistens wird etwas aus einer Gesellschaft, aus ihrer Realität, aufgenommen, künstlerisch oder medial verarbeitet und dann wieder fortgeschrieben in einer anderen Form. Also in der DDR: Behauptete Weltoffenheit, industrielle Leistungsfähigkeit, sportliche Erfolge, die zum Teil ja auch da waren. Über die Behauptung, kulturell ein ganz wichtiger Staat zu sein, künstlerisches Erbe, Literaturverfilmungen, usw. Dann der Mythos, daß der Sozialismus eine Alternative zum Kapitalismus darstellt in Form der DDR mit der Sowjetunion im Bruderbund. Das sind alles Mythen. Es hat sich ja nie zu einer tatsächlich lebbaren Realität entwickelt, was man heute zweifellos sagen kann. Spätestens nach 89 war klar, daß die Alternative real nicht da ist. Es war eine mythische, eine konstruierte Alternative. Das wird, glaube ich, im Fernsehen sehr deutlich. Es gab in der Unterhaltung Sachen von Jahoda aus den Siebzigern - den halt ich für einen der ganz Professionellen - der stand für die Schiene Wien = Ausland = Weltoffenheit. Dann gab es die Heidi Weigelt, die für einen Typus von Frau steht, die sehr eloquent ist. DDR-Frauen haben als Stereotyp so etwas Burschikoses. Man sieht auch in Defa-Filmen oft eine behauptete Selbstverständlichkeit und Selbstbewußtheit im Alltag, die aber nicht in allen Schienen durchgehalten wird.

Man ist frisch und arbeitet, Kinder und Ehen hat man auch, man steht voll im Leben, also so eine Ungebrochenheit, die sehr DDR-typisch ist. Im Westen haben Frauen immer gelitten, es war immer alles schwierig und sie versuchten sich zu emanzipieren. Dann gibt es Hofberichterstattungen, die einfach mythisch sind. Zum Beispiel der Megabyte-Chip. Das ist einfach ein Hit.

Was war das?

Es gab eine Sondersendung. Honecker fuhr nach Dresden zu Robotron, bewunderte den ersten Megabyte-Chip und dann wurde eine dreiviertel Strunde lang erzählt, wie toll die Mikroelektronik in der DDR sei, und das wurde zigmal wiederholt und alle Leute haben einfach nur gelacht.

Der Kult dieser Hofberichterstattung, dieser Selbstfeier-Orgie, wird in drei, vier Bildern sofort deutlich. Das ist ja das Schöne am Fernsehen, daß es fokussiert. Wir können jetzt über gesellschaftliche Entwicklungen stundenlang reden, es reichen aber oft zwei, drei Fernsehbilder, dann hat mans.

Die Lachnummer war einfach die: Ein großer, großer Megabyte-Chip liegt auf einem Podest und darüber beugt sich dann das versammelte Altersheim und guckt so wie ein Steinzeitmensch auf den ersten Fernseher.

Das ist völlig losgelöst von jeder Realität. Das ist Fiktion in der Realität. Im Prinzip ist das Postmoderne pur.

Also war die DDR eigentlich ihrer Zeit weit voraus?

Ja, aber sie wußten es natürlich nicht. Das können wir nur heute sehen.

Kann man die DDR retrospektiv über das Fernsehprogramm nochmal definieren?

Das ist genau meine These. Ich gehe davon aus, daß das Bild immer mehr verblaßt. Die Spur der Relikte wird immer dünner. Das hat seine Ausprägung im öffentlichen Raum, und auch im privaten. Nach fast 10 Jahren wird es einfach immer weniger. Und erhalten bleibt das Alte nur in den mythisch aufgeladenen Dingen, also in der Literatur, in der Musik, auch im filmischen Bereich. Aber noch deutlicher im Fernsehen. Ich glaube, man kann vieles von diesem Lebensgefühl nochmal hochholen. Das funktioniert natürlich nur für jemanden, der es schon kennt. Aber das Entscheidende, warum es erfolgreich sein kann, ist: Man guckt es sich an, nicht mehr mit der Gefahr, daß einem ein Lebensstil verordnet wird oder daß man sich einer politischen Richtung verschreiben muß, sondern man ist davon befreit, man kann es auch goutieren und immer wieder zu seiner Biographie in Bezug setzen. Aber man ist nicht mehr gefährdet davon. Es ist eine gewisse Art von Befreiung. Das erklärt auch, warum alte Bücher und Schallplatten nochmal hochkommen. Jetzt kann man darüber lachen, ohne daß es einem im Halse stecken bleibt, weil keine Gefahr mehr davon ausgeht und trotzdem ist es ein Teil der Biographie. In dieser Mischung wird es sich immer bewegen.

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