Ausgabe 03 - 1998berliner stadtzeitung
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Der große Li-La-Lauschangriff kommt!

Dabei sind die geplanten Gesetze längst in Kraft

Was für ein Wort: Großer Lauschangriff - das erinnert an "Wunderwaffe", das klingt nach "Vergeltungsschlag". Schon der Begriff ist widersprüchlich: Wer lauscht, handelt defensiv, wer angreift, dagegen offensiv. Und groß ist der Angriff nur deshalb, weil er mit Elektronik daherkommt. Beim "kleinen Lauschangriff" tauchen die Fahnder selbst auf, um mit eigenen Ohren zu lauschen. Unsinnig ist aber auch die aktuelle Lausch-Debatte in Bundestag und Bundesrat um die Änderung von Grundgesetz-Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung). Denn der Streit um den Einsatz von Abhör-Wanzen in Privat-Wohnungen zum Kampf gegen "Organisierte Kriminalität" geht völlig an der Realität vorbei.

Leider können Polizei und Geheimdienste schon heute auch ohne Grundgesetz-Änderung weitgehend auf eigene Faust abhören, wo und wen sie wollen - wie auch im neuen Gesetz vorgesehen, reicht als Schnüffel-Grund der bloße Verdacht auf mögliche Straftaten: Denn seit Mitte der 80er Jahre, spätestens aber mit der deutschen Einheit wurde der Lauschangriff still und heimlich in den Polizeigesetzen der meisten Bundesländer verankert. Auch Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) besitzen längst auch juristisch die Lizenz zum Lauschen - nur die parlamentarische Kontrollkommission des Bundestages "muß" von ihnen über Abhör-Aktionen informiert werden. Ebenso ist das Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) technisch auf der Höhe, seit dessen Ex-Chef und RAF-Jäger Horst Herold die Behörde in den 70er Jahren zu einer computergestützten Bundespolizei hochrüsten ließ. Angesichts die-ser Möglichkeiten verkommt jede geplante richterliche Genehmigungspflicht zur Farce.

Brisant sind die Reform-Pläne von Artikel 13 deshalb, weil jegliche Privatsphäre kraft Verfassung ihren bisherigen grundsätzlichen Schutz verlieren soll. Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten sind dabei besonders bedroht: Ihr Recht, vertrauliche Informationen Behörden gegenüber zu verschweigen, kann durch gezieltes Abhören durchbrochen werden. Zwar dürfen abgehörte Gespräche bei Gerichts-Prozessen nach wie vor nicht als Beweismittel verwendet werden - doch was einmal gesagt und gehört wurde, ist bekanntlich nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Der "unbescholtene Bürger" ist also Vergangenheit - jeder kann Abhör-Opfer werden, jeder ist potentiell verdächtig. Auch wenn viele Befürworter des Lauschangriffs so tun, als teile sich die Gesellschaft künftig in abhörwürdige Schwerverbrecher und harmlose Bürger, denen nichts passiert, wenn sie brav zu Hause bleiben. Vor Abhör-Aktionen geschützt sind im neuen Gesetz nur - wie überraschend - Abgeordnete, Pfarrer und Strafverteidiger bei Mandantengesprächen. Theoretisch.

Keine Rede kann davon sein, daß dieser Beschnitt von Grundrechten tauglich ist, "organisierte Kriminelle" auch nur annähernd zu beeindrucken. "Gangsterwohnungen" und verrauchte "Bordellhinterzimmer", in denen sich finstere Mafia-Bosse zum Planen von Verbrechen treffen, bestehen wohl nur in der Phantasie von CDU-Innenminister Manfred Kanther. Und wenn es sie gäbe: Laute Musik, ein laufender Wasserhahn, Flüsterton oder schriftlicher Informationsaustausch sind einfache Mittel, sich vor Wanzen zu schützen. Und wer plaudert schon am Telefon unverschlüsselt die geheimsten Geheimnisse aus? Die Profis wissen Bescheid - wozu dann die Verfassungsänderung?

Mit der Furcht vor Repressalien - oder der Fiktion davon - läßt sich ein Volk immer leicht regieren und von Protesten abhalten. Das ist keine Erfindung der Bundesrepublik. Dennoch zieht sich der unsägliche Streit um die "Innere Sicherheit" wie ein roter Faden auch durch ihre Geschichte. Erstmals wurde das liberal gedachte Grundgesetz in den 60er Jahren durch die "Notstandsgesetze" ohne konkreten Anlaß stark eingeschränkt - Studentenbewegung und Gewerkschaften bekämpften die Gesetze heftig. Dann stilisierten konservative Politiker und Polizei in den 70er Jahren eine Handvoll Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) zur Bedrohung für die gesamte Republik hoch, verabschiedeten "Anti-Terror-Gesetze", bauten Datenschutz ab und gaben der Polizei Instrumente wie die "Rasterfahndung". Konsequenz: Das Volk ließ sich einschüchtern, wer sich mit der Gesellschaftskritik der RAF auseinandersetzte, machte sich als "Sympathisant" verdächtig. Zum Beispiel Klaus Traube, eines der ersten Lauschangriff-Opfer der Bundesrepublik. Der damalige "Interatom"-Manager wurde verdächtigt, Kontakte zum angeblichen Umfeld der RAF zu pflegen. Der Verfassungsschutz schlug Alarm, ließ Abhörexperten des BND in der Nacht vom 1. auf den 2. Februar 1976 ins Haus des kritischen Atom-Wissenschaftlers einbrechen und eine Wanze einbauen. Die Schnüffelaktion flog jedoch auf, der damalige Innenminister Werner Maihofer mußte zurücktreten.

Heute redet niemand mehr von einer Bedrohung durch Terroristen. Die Folge: Die Anhänger eines starken Staates mit viel Kontrolle und Polizei suchen nach einem neuen Droh-Szenario als Legitimation für die teuren "Sicherheits"-Apparate. So löst die "Organisierte Kriminalität" seit den 80ern stufenweise die politische Gewalt der 70er als Feindbild ab. Doch anstelle realer Erfolge gegen vermeintlich und real organisierte Kriminelle bieten Polizei, unterbeschäftigte Geheimdienste und Sicherheits-Politiker nur Forderungen nach mehr Polizei-Befugnissen - immer auf Kosten von Freiheitsrechten. Die schon geschaffenen Rechte bleiben unausgeschöpft. Wenn die "Hintermänner internationaler Gangster-Organisationen" (Kanther-Jargon) nun aber im Ausland sitzen? Kommt dann der grenzübergreifende "Große Lauschangriff" samt Bundeswehr? 1992 und 1994, kurz nach dem BND-inszenierten Plutonium-Schmuggel, verabschiedet der Bundestag Gesetzes-Pakete gegen Organisierte Kriminalität. Mit dabei: Das "Geldwäsche-Gesetz", das Symptome anstelle der Ursachen bekämpfen soll. Denn der Nährboden für Organisierte Kriminalität ist auch in Deutschland die Korruption. Ohne Verbindungen in Verwaltung, Justiz und Politik sind Mafia-Strukturen großen Stils undenkbar. Doch nichts, aber auch gar nichts von diesem Grund-Problem findet sich in der Debatte um den ach so "Großen Lauschangriff". Nur jede Menge Wahlkampf.

tvh

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