Ausgabe 03 - 1998berliner stadtzeitung
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Dürftigkeit als Handlungsmaxime

Radunski schlägt die Schließung einiger Privattheater vor - das zugrunde liegende Gutachten läßt fast alle Fragen offen

Für ein kurzzeitiges Rascheln im Blätterwald sorgte vorletzte Woche die Präsentation des sogenannten "Stoltzenberg-Gutachtens". Von Radunski in Auftrag gegeben, schlägt es eine Förderstruktur für die kleinen und mittleren Privattheater auf der Grundlage einer neu definierten "Förderungswürdigkeit" vor: "Um besonders gut zu sein, muß man etwas Besonderes sein." Als die wichtigsten Kriterien werden die Pflege zeitgenössischer Autoren, neue ästhetische Ansätze und Publikumsresonanz, sprich Auslastungszahlen, genannt.

Wichtigste Ergebnisse: Das Gutachten schlägt vor, das Renaissance-Theater, da keine erkennbaren Impulse verbreitend, dem BE anzugliedern oder mit dem Schloßpark-Theater unter der Leitung seines Intendanten Sasse zu fusionieren, und aus den gleichen Gründen Berliner Kammerspiele, Tribüne und Vaganten-Bühne zu schließen.

Es folgten offene Briefe: die Vaganten-Bühne attestierte Stoltzenberg hauptsächlich profunde Unkenntnis des aktuellen Spielplans und der tatsächlichen Auslastungszahlen. Die Polemik Hans Magnus Enzensbergers, im Nebenberuf Berater des Renaissance-Theaters, nannte den Text insgesamt "inkompetent" und "dilletantisch" und gipfelte in der Anschuldigung, die Urteile seien auf ausgeprägte persönliche Sympathien (Sasse) bzw. Antipathien (Renaissance-Chef Filohn) zurückzuführen. Der Angegriffene verteidigte sich u.a. mit dem Hinweis, ein Enzensberger im Spielplan des Renaissance-Theaters könne nicht eben als Nachwuchsförderung bezeichnet werden.

Unter der Oberfläche verletzlicher Egos und dem Hang zur Besitzstandswahrung droht zu verschwinden, daß das Gutachten bestenfalls als gut gemeint zu bezeichnen ist. Seine Inhaltsleere wäre die Aufregung nicht wert, wenn es Radunski nicht als seine Richtschnur definiert hätte. Auf zwölf Seiten werden die Prämissen und einzelnen Häuser skizziert und Schlußempfehlungen abgegeben. Die Auswahl der Pressestimmen und Beispielen ist beliebig, die "Analysen" mitunter auf zwei Zeilen komprimiert.

Dabei ist die Ausgangslage nachvollziehbar: Noch nie hat es eine Evaluierung der Theater gegeben. Und in der Tat wäre eine Bestandsaufnahme wünschenswert, um eine breit angelegte Diskussion um Förderstrukturen und die Fördeungswürdigkeit alter und neuer Antragsteller zu evozieren. Die im Papier nur angetippte Überlegung, das Annuitätsprinzip und die Institutionelle Förderung zugunsten einer mehrjährigen projektbezogenen Unterstützung aufzugeben, wäre mindestens bedenkenswert.

Wer allerdings eine derartige Dürftigkeit präsentiert, muß sich den Vorwurf der machtpolitischen Chuzpe und den des Dilletantismus aus Kalkül gefallen lassen - Auftaggeber wie Verfasser.

Der Präsentation wurde eine Pressemitteilung vorausgeschickt, die in ihrer verqueren Syntax dann doch einen Anflug von Unsicherheit erahnen läßt und für sich spricht: "Klar ist auch, daß ein Beschluß, die staatliche Förderung der Betreibergesellschaften von Privattheatern einzustellen bedeutet nicht die Schließung des Theaters. Sollten die Betreiber versuchen wollen, ihr Haus ohne Landeszuwendungen weiterzuführen, gibt es keine Absicht des Landes Berlin, ihnen dies zu verwehren." Wozu überhaupt noch Staatsknete? Oder Evaluation?

Ted

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