Ausgabe 03 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ozeanflucht

Einer meiner schlimmsten Träume handelt von einem verlorenen Abend mit einer nichtssagenden Aufführung, in einem doch so hübsch ausstaffierten hauptstädtischen Ensemble direkt am Fluß. Ein Freund lädt mich dazu anläßlich seines Namenstages ein. Die Karte bezahl´ ich freilich selber; man bedenke: miesester Platz und 30% Mengenrabatt, und immer noch ein Pfund zu löhnen. Schlimmer, ich reiße meinen besten Bekannten mit ins Verderben, indem ich ihn animiere, wieder ins Schauspiel zu gehen. Der konnte doch nichts dafür. Hatte keine Kennung, war vormals jung und schön und ebenso herzerfrischend dumm. Verloren.

Mir träumt, wie es begann. Wir sitzen so friedlich beisammen, trinken Sekt aus Rücksicht auf das Geburtstagskind. Alles ist guzähler treibt zum Aufbruch. Auf einmal ist es schon zehn nach sieben, und spätestens um halber acht mußt du drinnen sein mit dem Eintrittsschein, sonst gibt´s die größten Nervereien. So geschieht es, Verhängnis startet.

Wir ordern aus dem Handgelenk ein Taxi, es hält. Aber wir sind zuviel für eine Normdroschke. Man verspricht uns eine Großraum-Limousine, sofort. Lüge. Wertvolle Minuten verstreichen, Verhängnis geht in Führung. Gegenwehr, wir holen frische Taxis, akademische Verspätung. Nacheinlaß. Der Vorfilm läuft, echt Greenaway. Ach nee, ist ja schon das Stück. Passabel gesprochen, guter Text - nur, wo bleibt der Funke, der Leben erweckt, mich wärmt. Mir ist kalt. Ein alter Mann tritt mich, er möchte mich aus dem Weg haben. Der Bekannte wird mit dem Waschzettel gehauen. Wir besetzen die erkauften Sitze. Ganz oben, gute Sicht auf den Kronleuchter - das ist der zweite Rang. Vielleicht ein Hinweis vom Antipoden, das garstig Haus zu verlassen.

Die Pause ist heraufgezogen, der erste Teil verendet. Schnell rekapituliert: Ein Herr L. fliegt übers Meer, schöne Sätze im Mund, schöne Bilder drumherum. "Alter Mann" und "Hasi-Puppe" assistieren. Traumsequenz "Pause", (R.E.M.-Phase): schwarze Krähen allerorten, scheinbar schon seit einiger Zeit erstarrt. Mir fällt die Staffelei um. Und ich kann mich nicht erheben, der Alp will nicht weichen. Im zweiten Teilstück werden Damen zur Schau gestellt. Es wird sich rhythmisch bewegt und chorisch gesprochen, Auftritt Staubsauger. Dann chorische Bewegungen und rhythmische Sprache, Auftritt Staubsauger etc.

Das ist zuviel, an diesem Punkt endet der Horror, ich erkenne die rettende Pforte. Die beiden Skatrunden der als Mathematikstudenten kostümierten Garderobiers können mich nun nicht mehr schocken. Ich flüchte mit meinem lieben Bekannten (ehemalig toll, jetze zerschlissen, gealtert und furchtbar wissend) an der Hand ins Casino. Und ich erwache gottlob, etwas geschwächt und mit Tränen im Gesicht, aber vor Erleichterung froh. Also Sachen spinnt man im Schlaf zusammen!

Vielleicht gehe ich demnächst ins BE und sehe mir ein schaues Stück von Meister Brecht an. So eines mit Schwung und Schmiß. Vielleicht fällt der Regen eines Tages doch von unten nach oben.

Heike Schmidt

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  Ausgabe 03 - 1998