Ausgabe 02 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Das Manifest der Glücklichen Arbeitslosen

(gekürzte Fassung*)

Was nun folgt, widerstößt gegen die bisher geltenden Prinzipien der Glücklichen Arbeitslosen, die ungern mit der Theorie beginnen. Sie bevorzugen vielmehr Propaganda durch Tat, Untat und vor allem Nicht-Tat. Zudem gibt es auf dem Gebiet der glücklichen Arbeitslosigkeit noch keine entscheidenden Forschungsergebnisse, die präsentierbar wären. Jedoch sind ein paar Erklärungen nötig, denn die Gerüchte, die den Glücklichen Arbeitslosen schon einen heimlichen Ruhm verschafft haben, sind nicht frei von Mißverständnissen. Über ziemlich grundlegende Aspekte sogar, nämlich das Glück, und die Arbeitslosigkeit außerdem.

Gewiß ist Glück ein Stichwort für alle möglichen Quacksalber, die ihre Wundermedizin anpreisen wollen. Aber der Glückliche Arbeitslose hat keine Wundermedizin anzubieten. Programmatisch sieht das so wie bei Lautréamont aus, der 1869 seine eigene Aufgabe formulierte: "Bis jetzt wurde Unglück geschildert, um Furcht und Erbarmen zu erzeugen. Nun werde ich das Glück schildern, um ihr Gegenteil zu erzeugen."

Und jetzt zur Sache: Wir wissen alle, daß Arbeitslosigkeit nicht abgeschafft werden kann. Läuft der Betrieb schlecht, dann wird entlassen, läuft er gut, dann wird in Automatisation investiert - und auch entlassen. In früheren Zeiten wurden Arbeitskräfte gefordert, weil es Arbeit gab. Nun wird verzweifelt Arbeit gefordert, weil es Arbeitskräfte gibt, und keiner weiß, wohin mit ihnen, denn Maschinen arbeiten schneller, besser und billiger.

Die Automatisation ist immer ein Traum der Menschheit gewesen. Nun hat sich dieser Traum verwirklicht, und alle empfinden es als einen Alptraum, da sich die sozialen Bedingungen nicht so rasch wie die Technik gewandelt haben. Dieser Prozeß ist unumkehrbar, denn Roboter und Automaten werden nicht wieder von Arbeitern abgelöst.

Offiziell herrscht der "Kampf gegen die Arbeitslosigkeit", eigentlich ein Kampf gegen die Arbeitslosen. Zu diesem Zweck werden Statistiken verfälscht, Pseudo-Arbeitsplätze beschafft und schikanöse Kontrollen durchgeführt. Da solche Maßnahmen immer unzureichend sind, wird noch dazu herummoralisiert und behauptet, der Arbeitslose habe seine Situation selbst verschuldet. Man macht aus den Arbeitslosen einfach "Arbeitssuchende", allein um die Realität zu zwingen, sich der Propaganda anzupassen. Der Glückliche Arbeitslose sagt laut, was jeder weiß.

"Arbeitslosigkeit" ist ein schlechtes Wort, ein negativ besetzter Begriff, die Kehrseite der Medaille der Arbeit. Ein Arbeitsloser ist bloß ein Arbeiter ohne Arbeit. Dabei wird über den Menschen als Poet, als Reisender, als Suchender, als Atmender nichts gesagt. In der Öffentlichkeit darf nur von Arbeitsmangel die Rede sein, erst in privaten Sphären, abseits von Journalisten, Soziologen und anderen Schnüfflern, wagt man, aufrichtig zu sein. "Ich wurde entlassen, geil! Endlich habe ich Zeit, jeden Tag auf Parties zu gehen, brauch nicht mehr aus der Mikrowelle zu essen und kann ausgiebig vögeln."

Soll diese Trennung zwischen privater Weisheit und öffentlicher Lüge aufgehoben werden? Man sagt uns, es sei nicht der richtige Moment, die Arbeit zu kritisieren, es sei eine Provokation, die den Spießern gerade recht käme. Noch vor zwanzig Jahren konnten die Arbeiter ihre Arbeit und auch die Arbeit an sich in Frage stellen. Heute müssen sie, nur weil sie nicht arbeitslos sind, Zufriedenheit heucheln, und die Arbeitslosen müssen, nur weil sie keine Arbeit haben, Unzufriedenheit heucheln. Somit hat sich die Kritik der Arbeit in Wohlgefallen aufgelöst. Der Glückliche Arbeitslose ist über diese infantile Erpressung erhaben.

Der Schuhmacher oder Tischler ehrte sein Handwerk. Und Werftarbeiter konnten noch stolz darauf sein, das prächtige Schiff vom Stapel laufen zu sehen, das sie selbst gebaut hatten. Dieses Gefühl von Nützlichkeit gibt es in 95% aller Jobs nicht mehr. Der "Dienstleistungs"-sektor beschäftigt nur Dienstboten und Computeranhängsel, die keinen Grund haben, stolz zu sein. Selbst ein Arzt fungiert nur noch als Handelsvertreter der pharmazeutischen Konzerne. Wer kann von sich noch behaupten, er mache sich nützlich? Entscheidend ist nicht mehr, wozu etwas nützt, sondern wieviel man damit verdienen kann. Alleiniges Ziel jeder einzelnen Arbeit ist, den Gewinn des Unternehmens zu steigern, und ebenso ist auch die alleinige Beziehung des Arbeiters zu seiner Arbeit sein Gehalt.

Gerade deshalb, weil Geld das Ziel ist und nicht gesellschaftlicher Nutzen, existiert Arbeitslosigkeit. Vollbeschäftigung bedeutet ökonomische Krise, Arbeitslosigkeit bedeutet gesunder Markt. Was passiert, wenn ein Konzern ankündigt, daß er soundso viele Arbeitsplätze vernichtet? Alle Börsenspekulanten loben seine Sanierungstrategie, die Aktien steigen, und bald darauf wird die Bilanz die entsprechenden Gewinne aufweisen. Auf diese Weise schaffen die Arbeitslosen mehr Profit als ihre Ex-Kollegen. Logischerweise müßte man also dem Arbeitslosen dafür danken, daß er wie kein anderer das Wachstum fördert. Stattdessen kriegt er nicht einen Furz des Gewinns ab, den er selber schafft. Der Glückliche Arbeitslose ist der Meinung, daß er für seine Nicht-Arbeit entlohnt werden muß.

Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, so liegt das nicht daran, daß er keine Arbeit hat, sondern daß er kein Geld hat. Also sollten wir nicht mehr von "arbeitslos", sondern von "geldlos", nicht mehr von "Arbeitssuchenden", sondern von "Geldsuchenden" reden, um die Dinge klarer zu stellen.

Man rechne einmal nach, wieviel Geld insgesamt von den Steuerzahlern und Betrieben "für Arbeitslosigkeit" offiziell ausgegeben wird, und dividiere durch die Zahl der Arbeitslosen: Na, da sind eindeutig mehr Nullen dran, als wir auf unseren Konten finden, nicht wahr? Ausgegeben wird nicht hauptsächlich für den Wohlstand der Arbeitslosen, sondern für seine schikanöse Kontrolle, durch zwecklose Termine, sogenannte "Um-, Aus-, Fortbildungsprogramme", die nirgendwoher kommen und nirgendwohin führen, Scheinbeschäftigungen für einen Scheinlohn - nur um die Statistiken künstlich herunterzudrücken. Also nur, um ein wirtschaftliches Trugbild aufrecht zu erhalten. Unser erster konkreter Vorschlag ist sofort umsetzbar: Die Beendigung aller Kontrollmaßnahmen gegen Arbeitslose, Schließung sämtlicher Statistik- und Propagandabüros (das wäre unser Beitrag zum Sparpaket) und automatische, unbefristete Zahlung der Unterstützung inklusive der gesparten Summen.

Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, dann liegt das auch daran, daß der einzige gesellschaftliche Wert, den er kennt, die Arbeit ist. Er hat nichts mehr zu tun, er langweilt sich, er hat keine Kontakte mehr, da ja die Arbeit oft auch einzige Kontaktmöglichkeit ist, das gleiche gilt übrigens auch für Rentner. Der Grund dieser existentiellen Misere ist natürlich die Arbeit und nicht die Arbeitslosigkeit. Der Glückliche Arbeitslose weiht neue gesellschaftliche Werte ein, auch wenn er nichts anderes schafft. Er entwickelt die Kontakte mit einem Haufen sympathischer Menschen. Er ist sogar bereit, Resozialisierungskurse für gekündigte Arbeitnehmer zu geben.

Immerhin verfügen alle Arbeitslosen über eine preiswerte Sache: Zeit. Das könnte ein historisches Glück sein, die Möglichkeit, ein vernünftiges, sinn- und freudvolles Leben zu führen. Man kann unser Ziel als eine Zurückeroberung der Zeit kennzeichnen. Dabei ist der Glückliche Arbeitslose ein aktiver Mensch. Gerade deshalb hat er keine Zeit zu arbeiten.

Es wurde uns erwidert, der Glückliche Arbeitslose sei nur arbeitslos im Sinne des heutzutage üblichen Gebrauchs des Wortes "Arbeit", also "Lohnarbeit". Dazu müssen wir ausdrücklich sagen, daß der Glückliche Arbeitslose zwar keine Lohnarbeit sucht, doch sucht er auch keine Sklavenarbeit. Und es gibt, soweit wir wissen, nur zwei Arten von Arbeit: Sklaven- und Lohnarbeit. Gewiß gibt's auch Studenten, Künstler und andere Wichtigtuer, die kein Papier schreiben und keinen Napf lecken können, ohne zu behaupten, sie leisteten eine wichtige "Arbeit". Sogar die sog. "Autonomen" können kein antikapitalistisches "Seminar" organisieren, ohne "produktive Debatten" in "Arbeitsgruppen" zu führen. Armselige Worte für armselige Gedanken. Nicht nur im heutigen Sinne ist "Arbeit" ein trauriges Wort. Sie ist es immer gewesen:

Arbeit ist wahrscheinlich eine Bildung zu einem im germanischen Sprachbereich untergegangenen Verb mit der Bedeutung "verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Arbeit verdingtes Kind sein", das vom indogermanichen *orbho-s, "Waise", abgeleitet ist. Bis in das Neuhochdeutsche hinein bedeutet Arbeit: "Mühsal, Plage, unwürdige Tätigkeit". Den sittlichen Wert der Arbeit als Beruf des Menschen in der Welt hat Luther ausgeprägt. Zitat: "Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen."

Sobald man von Arbeit oder Arbeitslosigkeit redet, hat man es mit moralischen Kategorien zu tun. Diese Tendenz spitzt sich gegenwärtig zu, man braucht nur eine Zeitung zu lesen, um sich darüber klar zu werden. "Ein Machtwechsel zwischen zwei Weltanschauungen hat stattgefunden", so ein Sozialexperte in Washington. "Statt Armut als Konsequenz ökonomischer Ursachen zu sehen, dominiert nun jene Denkschule, die Armut als Folge moralischen Fehlverhaltens sieht."

Ein Stichwort der herrschenden Propaganda heißt: Die Arbeitslosen seien ausgeschlossen, und zahlreiche Gutmenschen plädieren für ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Was das eigentlich heißt, erklärte ein Unesco-Humanist auf dem Kopenhagener "Sozialgipfel": "Der erste Schritt zur sozialen Eingliederung ist, ausgebeutet zu werden." Danke für die Einladung!

Vor dreihundert Jahren guckten die Bauern neidisch das Schloß des Fürsten an. Mit Recht fühlten sie sich von seinem Reichtum, seiner Edelmuße, seinen Hofkünstlern und Kurtisanen ausgeschlossen. Nun, wer möchte gern wie ein gestreßter Manager leben, wer will sich den Kopf mit seinen sinnlosen Ziffernreihen vollstopfen, seine blondgefärbten Sekretärinnen ficken, seinen gefälschten Bordeaux trinken und an seinem Herzinfarkt verrecken? Von der herrschenden Abstraktion schließen wir uns freiwillig aus. Eine andere Art Eingliederung wünschen wir uns.

Für die Glücklichen Arbeitslosen öffnet sich da ein weites experimentelles Feld, das wir die "Suche nach unklaren Ressourcen" nennen. Wie Sie jetzt vielleicht verstanden haben, ist unsere Muße sehr anspruchsvoll, theoretisch und praktisch, ernst und spielerisch, lokal und international (allein in Europa gibt es schon 20 Millionen virtuelle Glückliche Arbeitslose). Eines Tages werden Sie mit Stolz sagen können: Ich habe den Anfang miterlebt.

Die Glücklichen Arbeitslosen

* Die vollständige Fassung kann unter folgender Adresse bestellt werden: Die Glücklichen Arbeitslosen c/o Im Stall, Kastanienallee 84, 10435 Berlin

Kommt das Jahrhundert der Glücklichen Arbeitslosen?

In Deutschland hat die Arbeitslosenrate am Ende des Jahrhunderts deutlich die 10%-Marke überschritten. In Ostdeutschland, so schätzen Experten, wird sie 1998 rund 20% betragen: Jeder fünfte Erwerbsfähige offiziell als arbeitslos gemeldet. Vorruheständler, Studenten, Flüchtlinge und andere, die nicht beim Arbeitsamt gemeldet sind, werden von der Statistik aber erst gar nicht erfaßt. Tatsächlich dürfte die Rate also deutlich höher liegen.

Wird das 21. Jahrhundert also das Jahrhundert der Arbeitslosen? Es scheint so. Nichts deutet darauf hin, daß sich daran etwas ändern könnte. Nichts deutet darauf hin, daß Vollbeschäftigung, wie in der DDR oder der alten BRD der 60er Jahre je wieder erreicht werden könnten. Das ist nicht nur in Deutschland so, ganz Europa ist betroffen. Legt man die einheitliche Berechnungsweise der europäischen Kommission zugrunde, hat auch Großbritannien eine Arbeitslosenrate von knapp 10%.

Dabei wird Europa durchaus nicht ärmer. Für Deutschland wird 1998 ein Wirtschaftswachstum von rund 3% prognostiziert. Wächst die Wirtschaft 24 Jahre lang in diesem Tempo weiter, so verdoppelt sich der angehäufte Reichtum der Gesellschaft. Die Arbeitslosenrate verdoppelt sich aber leider sogar noch etwas schneller.

Schuld ist, so heißt es heute allenthalben, die böse Globalisierung. Das mag für einige Länder zutreffen, für den Exportweltmeister Deutschland aber bestimmt nicht. Der verkauft seine Maschinen und Luxuskarossen jetzt weltweit, in seinen Konzernkassen klingeln die Dollars. Die weltweit verkauften Güter werden jedoch immer mehr von Robotern und immer weniger von Menschen produziert. Nach zwei Jahrhunderten Industrialisierung ist die Produktivität der menschlichen Arbeit so enorm gestiegen, daß den Menschen die Arbeit ausgeht: Roboter und Computer treten an ihre Stelle.

Das marktwirtschaftliche System, das diese Steigerung der menschlichen Produktivität so enorm beschleunigt hat scheint dabei jedoch unter die Räder zu kommen. Denn wenn der Arbeitsmarkt zusammenbricht, droht die ganze Gesellschaft zu zerfallen: Die Werte, auf die sich diese Gesellschaft stützt, sind ja vor allem um die Arbeit zentriert und zwar vor allem um die auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Arbeit. Das lernt man heutzutage in der Schule, wo "Leistung" gefordert wird, um gut ausgebildet auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Wenn es aber keine Arbeit gibt, dann zerfällt auch das ganze gesellschaftliche Wertsystem. Jugendliche machen sich dann eben ihren eigenen Begriff von "Leistung" und bilden ihre eigenen Kulturen bis hin zur gewalttägigen Jugendbande.

Dabei ist Arbeitslosigkeit eigentlich ein Zustand, nach dem sich unsere Vorfahren immer gesehnt haben. Aristoteles zum Beispiel, der davon träumte, daß eines Tages die Werkzeuge ihre Funktion von selbst erfüllen und die Sklaverei infolgedessen überflüssig wird. Wir sind inzwischen so weit, nur sind wir unglücklich dabei. Wir kämpfen um Arbeitsplätze, weil wir nur über Arbeit einen festen Platz in der Gesellschaft behaupten können. Glückliche Arbeitslosigkeit erscheint uns als romantischer Widerspruch. Ein Arbeitsloser ist vogelfrei, aber aus der Gesellschaft verstoßen. Und doch führt kein Weg vorbei: Der technische Fortschritt läßt sich nicht mehr zurückdrehen. Das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Arbeitslosen. Ob es glückliche Arbeitslose werden, ist noch dahingestellt.

Wie kann man also Arbeitslosigkeit einen Platz im gesellschaftlichen Wertesystem sichern? Zunächst einmal, indem man sie wirtschaftlich absichert, Arbeitslosigkeit also von Armut abkoppelt und damit die Angst besiegt, als Langzeitarbeitsloser dereinst in der Gosse zu landen. Schon heute ist die Bundesrepublik so reich, daß das funktionieren könnte. Verteilt man nur die Hälfte des Volkseinkommens auf die Bevölkerung, so würde heutzutage jeder, auch jedes Kind, rund 1500 DM im Monat erhalten. Das erscheint zwar für einen allein noch nicht allzu viel, wenn man sich aber zusammenschließt und gemeinsam einen Haushalt bildet, reicht es allemal. Und wenn die Wirtschaft so weiter wächst wie bisher, wären in 24 Jahren daraus bereits 3000 DM geworden. Auf dieser Basis eines gesicherten Grundeinkommens könnten glückliche Arbeitslose damit beginnen, frei mit der Gesellschaft zu interagieren und spielerisch, d.h. ohne Zwang, Geld verdienen zu müssen, produktiv tätig zu werden. Sinnvolles zu tun gibt es genug. Es ist an der Gesellschaft, sich so zu organisieren, daß die, die es tun wollen, auch können.

Christof Schaffelder

Alles eine Frage des tieferen Bewußtseins

Oder Warum das Manifest esoterischer Quark ist

Glückliche Arbeitslose - das klingt einerseits nach dem Stoff, aus dem jene Bücher mit dem Ausrufezeichen im Titel gezimmert werden. "Sorge dich nicht, lebe! Teil 2" etwa, oder "Endlich arbeitslos!". Oder "Unglückliche Arbeitslose kommen ins Arbeitsamt, glückliche kommen ..." - ja, wohin eigentlich?

Das "Manifest der Glücklichen Arbeitslosen" hat ein wichtiges Thema, nämlich die Veränderung einer Arbeitsgesellschaft, aber es weiß wenig damit anzufangen. Zunächst irritiert der Versuch, über eine Polemik eine Art Gegendefinition von Glück zu konstruieren. "Glück ist bürgerlich. Glück ist unverantwortlich. Glück ist undeutsch." Spätestens beim Ausprobieren der Antithesen wird der Unsinn eines solchen Versuchs offenbar. Es gibt keine solche Definition des Glücks und deshalb erscheint der Versuch, "Glück durch Arbeitslosigkeit" zu konstruieren, eben genau als intellektuell verbrämte Variante jenes beklagten Quacksalbertums.

Die Rezeptur: Es brauche nur ein wenig Kleingeld für jeden, dann könne jeder Arbeitslose glücklich sein, weil er von der Fron, sprich dem Zwang zur Lohnarbeit, befreit ist. Alles andere wären rein psychologische Momente, da bislang die Arbeit, "der einzige gesellschaftliche Wert ist, den er kennt." In solchen Sätzen zeigt sich die größte Schwäche des Manifests - nämlich, die letzten Bestandteile wichtiger Ansätze (in diesem Fall die gesellschaftliche Bewertung von Arbeit) unter einem Berg von Klischees, Binsenweisheiten, versimpelten Begriffen und apokalyptischen Behauptungen zu begraben, bis sie in dem munteren Durcheinander kaum mehr kenntlich sind. Worauf z.B. stützt sich die Feststellung, in 95% aller Jobs gäbe es das Gefühl der Nützlichkeit nicht mehr?

"Wenn der Arbeitslose unglücklich ist, so liegt das nicht daran, daß er keine Arbeit hat, sondern daß er kein Geld hat." Kurzer Satz. Noch kürzer der Gedanke: Denn nun wissen wir, daß unser Unglück auf Geldlosigkeit beruht und auf nichts anderem. Das klingt ein bißchen nach glücklichen Kühen - Hauptsache, die Weide ist saftig. Nun liegt es vielleicht in der Natur von Manifesten, noch dazu von den als Kunst verstandenen, mit Provokation, Zuspitzung, Verallgemeinerung zu arbeiten. Aber dafür braucht es eine solide Basis. Ich weiß nicht, wie viele der fünf Millionen Arbeitslose oben zitierten Satz teilen werden, ich habe den leisen Verdacht, es werden nicht alle sein. Vielleicht sollte man unter den fünf Millionen mal ein bißchen herumfragen? "Den Arbeitslosen" als irgendwie egalitäres Objekt abzuhandeln - das erinnert an die Anekdote von 1968, als Studenten bei einer Demonstration lauthals Arbeiterkontrollräte forderten und am Straßenrand ein Arbeiter zu einem anderen sagte: "Jetzt wollen die uns ooch noch kontrollieren ..." Aber vielleicht prägt das ja manche Manifeste: Daß sie besser fahren, wenn sie mit dem Objekt ihrer Abhandlung nicht allzu vertraut sind.

Schaut man sich das Konzept an, bleibt als Standbein das Grundeinkommen, das Spielbein wäre dann die neugewonnene Freiheit des Glücklichen Arbeitslosen, die Aufgabe, Werte neu zu definieren, auf Parties zu gehen, zu vögeln, zu kochen, also richtig "glücklich" zu werden. Natürlich ist die gegenwärtige Verteilung, wie das Manifest sie beschreibt (Kontrollsysteme etc.) unsinnig. Das Standbein allerdings ist wacklig und nicht in Sicht: glaubt hier jemand ernsthaft an eine freiwillige Umverteilung? Was zur Folge hat, daß der Rest der Theorie in einer Art esoterischer Heilslehre verhungert. Denn der Arbeitslose ist offenbar nicht nur egalitär, sondern auch verbohrt, weil er seine tiefe innere Leere partout mit Arbeit füllen möchte. Auf diese Art wird der Ball schnell wieder zurückgeschoben - alles nur eine Frage des tieferen Bewußtseins. Gegenfrage: Warum sollten ausgerechnet die Arbeitslosen die Arbeit (richtig: Arbeit) der Gesellschaft übernehmen, gesellschaftliche Werte neu zu definieren?

Das Manifest setzt schlicht voraus, daß Arbeit nur Lohn- oder Sklavenarbeit sei, freudlos, dumpf, erdrückend (hier greift das Fließband-Klischee), und Arbeitslose lediglich Menschen ohne Arbeit. "Dabei wird über den Menschen als Poet, als Reisender, als Suchender, als Atmender nichts gesagt." (Als könnte Arbeit nicht auch dies sein.) Für mein Empfinden und meine Erfahrungen ist das eine ziemlich armselige Arbeitsdefinition, und ein Streit über diesen Begriff stünde wohl am Anfang der Debatte. Aber selbst wenn man es so sehen will: In der Arbeitsgesellschaft hat sich Arbeit auch zu einer kulturellen Kategorie entwickelt, und Kulturen lassen sich weder einfach abstreiten noch von einem Tag auf den anderen abschaffen. Da nutzt es auch nichts, auf germanische Wortstämme zu verweisen.

Lieber als solche letztlich hilflosen Konstrukte (denn schlußendlich hängt alles von der garantierten Grundversorgung ab, die einem irgendwie - wodurch auch immer - einmal beschert werden wird) ist mir da die renitente Verteidigung zum Beispiel des Rechtes auf Hedonismus. Ein schönes Beispiel für offensive praktizierte Umverteilung fand jüngst in Frankreich statt, wo sich Arbeitslose Zutritt zu einem Nobelrestaurant verschafften und sich weder mit der Personalküche noch mit irgendwelchen Schnittchen abspeisen lassen wollten. Lustig war, daß sie ihr Ziel (Weißwein, Austern, Rinderfilet) erreichten, weil betuchte Gäste "empört" das Lokal verließen - und zwar ohne zu zahlen.

- Im übrigen bestehe ich auf mein Recht auf Unglücklichsein. Schöne Grüße an die 20 Millionen virtuellen Arbeitslosen.

Ulrike Steglich

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 02 - 1998