Ausgabe 02 - 1998berliner stadtzeitung
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Authentizität als Kulisse

Die Spandauer Vorstadt als lebendiges Beispiel für das Wechselspiel der Aufwertung zwischen Kunstbetrieb, Gewerbe und Sozialstruktur. Ein Resümee

"Plötzlich war das Scheunenviertel schon immer und überall (...) In seinen beschaulichen Straßen wurde die Geschichte wie ein totes Schwein tranchiert, und noch immer nimmt sich jeder, was er braucht: ein bissel jüdische Kultur, ein paar Huren, und Kunst, Kunst, Kunst ..."

So beschrieb der Publizist André Meier die Entwicklung eines Viertels in den letzten Jahren, das wie kaum ein anderes einem extremen Spagat ausgesetzt war: die Spandauer Vorstadt (gern und falsch auch "Scheunenviertel" genannt), deren teilweisen Abriß noch kurz vor der Wende Bürgerinitiativen verhindern konnten, mutierte mit der Wende vom unspektakulären Wohn- und Gewerbequartier am Ostberliner Mauerrand zum Idealtypus eines Quartiers mit "Aufwertungs"potential: In dem sich erst die (Kunst)Szene ansiedelt, die dann hochwertiges Gewerbe, Immobilienmakler und kapitalkräftige Investoren nach sich zieht. Andererseits wurde es zum Sanierungsgebiet erklärt, in dem es nicht nur um den Erhalt historischer Substanz, sondern auch um den Schutz einer vorwiegend einkommensschwachen Bevölkerung vor Verdrängung ging - ein Unterfangen, das angesichts des Druckes auf das Gebiet von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg hatte.

Zweier Voraussetzungen bedurfte es für einen Aufwertungsprozeß. Zum einen wurde ein Mythos beschworen: ein Cocktail aus Tacheles, Synagoge, Hausbesetzern, Straßenstrich, dem "faszinierenden morbiden Charme" der alten Häuser und einer Geschichte, auf die sich alle beriefen, die aber kaum jemand wirklich kannte und vermutlich auch lieber nicht kennen wollte. Es hätte die Romantik des Exotischen zunichte gemacht: "Juden und Huren, Christen, Händler, Taschendiebe und Künstler liebten einander und lebten miteinander. Sie forderten von jedem alles und gaben sich das Letzte. Heute ist es wieder so," hieß es etwa in einem Stadtteilführer.

Zweitens mußte für die Eroberung eines Pionierlandes das Viertel überhaupt erst zum Niemandsland erklärt werden. Über die Auguststraße schrieb der Galerist Klaus Biesenbach ("Kunst-Werke") 1992: "Ende der 80er Jahre war das Gebiet fast menschenleer und in insgesamt marodem Bauzustand. Die ersten Neusiedler waren dann Hausbesetzer, die Wohnungen, Fassaden und Höfe auf ihre Art und Weise umgestalteten." Galerist Judy Lybke (Eigen+Art) schwärmte: "Das Viertel ist wie ein weißes Blatt Papier, auf dem du die Signaturen noch eintragen kannst..."

Menschenleer und unbeschrieben: ein Viertel also, in dem man bei der Eroberung des Raumes durch den Kunstbetrieb auf niemanden Rücksicht nehmen mußte und sich ganz auf die Kulisse konzentrieren konnte. Klaus Biesenbach konzentrierte sich auf das älteste Haus der Straße, in dem er seine Kunst-Werke etablierte.

Kunst kommt geht bleibt Kapital

Den offiziellen Startschuß gab schließlich 1992 die von den Kunst-Werken inszenierte Aktion "37 Räume": 37 teils genutzte, teils ungenutzte Räume wurden Künstlern und Kuratoren zur Verfügung gestellt. Ließen sich die Anwohner und Gewerbetreibenden anfangs noch gutwillig auf die Aktion ein, so dämmerte ihnen spätestens beim siebentägigen Pilgerzug der Kunsttouristen durch die Straße, daß sie selbst bestenfalls Bestandteil der Kulisse waren. Zurück blieb Ernüchterung und das Graffiti: Kunst kommt geht bleibt Kapital.

Fünf Jahre später ist das Terrain erobert, reiht sich Galerie an Café, Club, Designer-, Feinkost- und Antiquitätenladen und wieder Galerie. Schon sprangen die ersten wieder von den gemeinsam organisierten Galerienrundgängen ab und zelebrierten ihre Vernissagen separat: die Freitagabend-Invasionen fielen langsam lästig. "Ur"-Galeristen wie Frieder Loock mit seiner "Wohnmaschine" zogen sich auf Minimalaktivitäten zurück.

Gewerbemieten, freut sich Immobilienmakler Uwe Liljeberg, weisen inzwischen auch für Einzelhandelsläden "ein erstaunliches Niveau" auf. Der Hamburger Junginvestor Harm Müller-Spreer, der sich seit Jahren in Sammlermanier quer durch das Gebiet kauft, ist zuversichtlich, daß "die Gegend teuer wird. Darüber muß man sich keine Illusionen machen. Das ist nun mal so." Einzig beim Wort "Mietobergrenzen" verzieht er halb weh-, halb mitleidig das Gesicht.Längst hat sich die Sozialstruktur gewandelt: Verfügten 1992 hier nur 5% der Haushalte über Haushaltsnettoeinkommen ab 4000 DM aufwärts, so sind es heute bereits über ein Drittel der vorwiegend Ein- und Zweipersonenhaushalte. Klaus Biesenbach 1995: "Das Viertel hat sich natürlich auch verändert in diesen Jahren, sehr viele Künstler sind im Laufe der Zeit hierhergezogen. (...) Mittlerweile geht ein Viertel unserer Ausstellungskarten an Adressen raus, (...) die in einer gehbaren Distanz sind."

Die Eröffnung der Hackeschen Höfe (inklusive Galerie Aedes East, Bodo Niemann, Stephan Erfurt, Borgemeister, Arndt & Partner ...) zog außer einem unendlichen Pilgerstrom auch die "Hofisierung" der Umgebung nach sich: Gegenüber entstehen die "Neuen Hackeschen Höfe", um die Ecke der "Rosenthaler Hof", im Sommer eröffneten die Kölner Kunstsammler und Investoren Erika und Rolf Hoffmann die exklusiven "Sophie-Gips-Höfe". Der Einzug der Sammlung Hoffmann markierte eine neue Qualität, sozusagen den Übergang von den Szeneseiten zum Feuilleton, in welchem der Architekturkritiker Gerwin Zohlen die Hoffmanns mit englischen Aristokraten verglich, die ihre Kunstschätze dem Publikum wie Schlösser zeigen. Nun richtet sich der gehobene Kunstbetrieb mit der dazugehörigen Infrastruktur endgültig ein. Die Kunstkolonie atmet die gepflegte Langeweile der Monokultur und findet ihren Spiegel im gastronomischen Gegenstück, deren Protagonisten vom Raumdesign bis zur Frühstückskarte beliebig austauschbar sind. Doch neben all der nachdrücklich vor sich her getragenen kühlen Noblesse des Hoffmannschen Anwesens samt kunstdekorierter Fassaden atmet es auch die Sehnsucht nach der Idylle: die Pflanzkübelchen, der Springbrunnen, die Pergola, die Zäunchen. Unmittelbar neben den Sophie-Gips-Höfen ist ein nobler "Whisky-und-Zigarren"-Laden eingezogen. Die urbanen Wunschbilder werden zur Realität, in der die Biertrinker auf dem benachbarten "Gipsdreieck" nurmehr als letzter bitterer Beigeschmack, als Anachronismus einer zunehmend veredelten Umgebung fungieren. Es ist die Totinszenierung eines Ortes, dessen "Authentizität" ursprünglich so oft beschworen wurde und mit dem man sich "auseinandersetzen" wollte.

Kunstkritik: unerwünscht

Doch nicht nur die gern behauptete "Auseinandersetzung mit dem Ort" blieb eine Behauptung - Kritik war überhaupt unerwünscht. Künstler, die sich mit der eigenen Rolle und der der Szene auseinandersetzten, blieben die Minderheit: wie das ehemals besetzte Haus in der Auguststraße 10, die KuLe (Kunst und Leben), die 1992 zu den "37 Räumen" Eintritt verlangten - eine subtile, aber äußerst hellsichtige Geste, deren Hintersinn sich manchem erst später erschloß. (Die KuLe verzichtet übrigens konsequent und bewußt auf die Möglichkeit, im Erdgeschoß eine Galerie einzurichten.) Zu einem Eklat kam es, als 1995 zur Eröffnung der Gerhard-Merz-Ausstellung in den "Kunst-Werken" Kunstaktivisten dem Galeristen Biesenbach sowie den Architekten Gerhard Merz und Hans Kollhoff die "Hanno-Klein-Gedenkmedaille" überreichen wollten - als Kritik an der "ästhetischen Nobilitierung der Macht" in der Tradition von Hanno Kleins Satz "Berlin braucht eine Gründerzeit mit Markanz und Brutalität." Kollhoff wies die Ehrung als "unverfroren und geschmacklos" zurück.

Die aus Dresden stammende Künstlergruppe BEWEGUNG NURR reagierte auf die Eröffnung der Sophie-Gips-Höfe mit einer Schenkung: das von ihnen im ersten Hof plazierte Objekt "Verwertungshindernis" (Sandstein, 30 x 30 x 36 cm) als Würdigung des dynamischen Engagements der Hoffmanns, denen mit ihrer Sammlung eine "Präsentation der S-Klasse" gelungen sei.

Doch statt Auseinandersetzung folgt als Reaktion auf Kritik lediglich die Verteidigung der eroberten Trutzburg mit allem zugehörigen Komfort: Auf eine zitty-Kritik des Kunstmitte-Booms kam umgehend der Aufschrei von Werner Müller (Galerie Zwinger). Der den Höhepunkt der Peinlichkeit erklomm, als er meinte, neben dem Kunstbetrieb nicht nur den italienischen Delikatessenladen (als eine Art neuen Tante-Emma-Shop), sondern auch den Swimmingpool der Hoffmanns verteidigen zu müssen: letzteres verhindere "möglicherweise Verslumung oder Segregation".

Nun gibt es wohl kaum ein Viertel, dem weniger die "Verslumung" drohen würde als der Spandauer Vorstadt. Aber vermutlich sind auch die "Scanscapes" im Hoffmannschen exklusiven Kunstwohnpark - elektronische Linsen über den Wechselsprechanlagen zur optischen Einlaßkontrolle - ebenfalls Instrumente zur Verhinderung von Segregation. Daß andere Quartiere kulturell ausbluten und ihren Bewohnern kaum noch kulturelle Infrastruktur bieten können, weil sich alles im Standort Mitte zentralisiert - darüber schweigen die Segregations-Experten.

Überhaupt, so Müller, sei die Kritik "die schwäbisch-Kreuzberger Perspektive der 80er: autonom, pietistisch und lustfeindlich, aber bitte subventioniert." Abgesehen davon, daß jene Kunstszene nicht gerade frei von Subventionen ist: so wurde Klaus Biesenbachs Margarine-Fabrik nicht nur mit satten Zuschüssen erworben und saniert, sondern auch sein neues Kunstspektakel, die "Berlin Biennale", großzügig mit Lotto-Geldern ausgestattet. Doch darüber hinaus wird inzwischen die Debatte ganz selbstverständlich als westliche Reinkultur geführt - kein Wunder, da der Ostteil, in dem man sich befindet, ja schließlich zum unbesiedelten Niemandsland deklariert worden war. Kommt doch einmal ein zaghaftes "Aber", so weicht die einstige Kiezverliebtheit der Kunstjünger den Totschlagargumenten: "Kunstfeindlichkeit" ruft es umgehend, "Kiezborniertheit, sentimentale Nostalgie, Biotopschutzbesessenheit". DAS "ist eben in allen großen Städten so." Wer will schon bockig-provinziell der Metropole im Weg herumstehen?

Ulrike Steglich

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